Künstliche Intelligenz bei der Beseitigung von giftigem Müll

Ein Expertenbeitrag von Dr. Janko Petereit, Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB und Prof. Dr. Jürgen Beyerer, Leiter des Fraunhofer IOSB, Lehrstuhlinhaber für interaktive Echtzeitsysteme am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Eine Maschine, die auf den ersten Blick aussieht wie ein ganz normaler Bagger. Der Unterschied: Kein Mensch sitzt im Führerhaus. Ganz automatisch hebt der Bagger Erde mit seiner Schaufel aus und sammelt sie auf einem Haufen (Abb. 1). Bald schon könnten solche weitgehend autonom agierenden Maschinen Menschen den Aufenthalt in „menschenfeindlichen“, potenziell gefährdenden Umgebungen ersparen, die zum Beispiel durch radioaktive Strahlung oder Schadstoffe belastet sind – etwa bei der Sanierung von Deponien und Altlasten.


Der Bedarf ist und bleibt für die kommenden Jahrzehnte absehbar groß: Kernkraftwerke müssen zurückgebaut, Altlasten beispielsweise von Chemieunternehmen dekontaminiert, Deponien saniert und giftige Abfälle sortiert werden. Es geht dabei darum, Gesundheits- und Umweltgefährdungen vorzubeugen, aber ebenso um ökonomische Interessen: Nicht wenige der verseuchten Grundstücke etwa liegen in Ballungsgebieten und sind von enormem wirtschaftlichen Wert für eine Nachnutzung.

Dr.-Ing. Janko Petereit leitet die Forschungsgruppe Multisensorsysteme am Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB in Karlsruhe. Er koordiniert zudem die Geschäftsstelle des  Kompetenzzentrums ROBDEKON (Robotersysteme für die Dekontamination in menschenfeindlichen Umgebungen).


Prof. Dr.-Ing. habil. Jürgen Beyerer
ist Leiter des Fraunhofer IOSB, Lehrstuhlinhaber für interaktive Echtzeitsysteme am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Sprecher des Kompetenzzentrums ROBDEKON.

Effiziente Roboter statt Menschen in der Gefahrenzone

Für derartige Arbeiten gelten hohe Anforderungen. Insbesondere für die ausführenden Menschen sind aufwändige Schutzmaßnahmen erforderlich. In Deutschland existiert nur eine Handvoll Spezialunternehmen, die zum Rückbau von Altlasten und kerntechnischen Anlagen in der Lage sind – und das bei großer und steigender Nachfrage. Es sind also Lösungen gefragt, die dafür sorgen, dass Menschen der Gefahrenzone fernbleiben können, und die gleichzeitig die Arbeit möglichst noch effizienter machen, damit die Spezialfirmen die vielen Projekte auch bewältigen können.
Genau dieses Potenzial bieten mit Künstlicher Intelligenz (KI) ausgestattete Roboter – (teil-)autonome Systeme, die selbstständig anspruchsvolle Aufgaben verrichten können, beispielsweise Objekte identifizieren, sich auch in unwegsamem Gelände orientieren und fortbewegen sowie gezielte Manipulationen ausführen können. Die äußere Gestalt kann je nach Anwendungszweck sehr unterschiedlich sein: Vom humanoiden Roboter mit zwei Armen und zwei Beinen bis zur rollenden oder auf langen Spinnenbeinen laufenden Plattform, vom Wände emporkletternden Fräsroboter bis zum autonomen Bagger ist alles denkbar – und vieles tatsächlich bereits in Entwicklung.
Der Mensch als Bediener kann dem Ort des Geschehens fernbleiben und muss im Idealfall auch nicht mittels Fernbedienung einzelne Aktionen steuern. Das Ziel ist vielmehr, dass der Mensch der Maschine die Aufgabe vorgibt und danach nur noch in Sondersituationen, die die Maschinenintelligenz überfordern, Entscheidungen trifft. Zur möglichst schnellen Verwirklichung dieser Vision wurde im Sommer 2019 das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Kompetenzzentrum „ROBDEKON – Roboter für die Dekontamination in menschenfeindlichen Umgebungen“ aus der Taufe gehoben, in dem namhafte Forschungsorganisationen und Spezialunternehmen zusammenarbeiten.

Von der Erkundung und Planung bis zum Einsatz in verseuchten Gebieten

KI ist dabei in vieler Hinsicht gefordert: Damit die Roboter giftigen Müll ausfindig machen und entsorgen können, müssen sie oftmals zunächst das Umfeld möglichst präzise kartieren und darin navigieren. Wichtige Rollen hierbei spielen Bildauswertung und Objekterkennung, Laserentfernungsmesser und Sensoren wie Inertialmesssysteme, die die Eigenbewegung messen. Befinden sich Giftstoffe in oder unter der Erde, sind dabei zudem Werkzeuge mit weiteren Sensoren nötig, die gefährliche Substanzen oder Strahlung detektieren. Erst komplexe Algorithmen machen dann aus der Vielzahl der Sensordaten – und den möglicherweise vorab gesammelten Zusatzinformationen – ein stimmiges Gesamtbild der Lage, auf dessen Basis wiederum geplant werden kann, in welchen Teilschritten die gestellte Aufgabe auszuführen ist.

Bei der folgenden Manipulation gilt es, ebenfalls mittels geeigneter Sensoren ständig den Ist-Zustand zu ermitteln und mit dem Soll-Zustand abzugleichen. Und selbst ganz einfach anmutende Bewegungen etwa eines Greifarms erfordern – wenn sie sich flexibel den Umständen anpassen und nicht nur einem fest vorprogrammierten Bewegungsablauf folgen sollen – eine große Portion Künstlicher Intelligenz.

Auch für Anwendungsfälle, in denen der Mensch noch stärker in die Steuerung eingebunden ist, haben die Entwicklerinnen und Entwickler Funktionen im Sinn: So kann ein Bediener durch den Einsatz von Virtual Reality auch aus der Ferne einen immersiven 3D-Eindruck der Umgebung erhalten, in der die Maschine gerade agiert. Für eine effiziente und intuitive Steuerung sorgt dabei eine haptische Rückkopplung etwa durch ein Exoskelett. Das ist eine Art Roboteranzug, der die am Roboter auftretenden Kräfte während des Einsatzes nachahmt, damit die bedienende Person die Situation mit allen Sinnen unmittelbar erfassen und so schneller auf Hindernisse und Störungen reagieren kann.

Dass KI Maschinen all die genannten Fähigkeiten verleihen kann, haben Forscherinnen und Forscher bereits bewiesen. Nun geht es darum, die noch auf sehr spezifische Situationen getrimmten Demonstratoren und Prototypen für wirklich praxisrelevante Einsatzbedingungen weiterzuentwickeln und auch in realen Anwendungsszenarien zu testen – bis die autonomen Systeme wirklich nach und nach Arbeiten in menschenfeindlichen Umgebungen übernehmen und so den Menschen Gefährdungen und Belastungen ersparen können.

 

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2019 – Künstliche Intelligenz.

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