Podiumsdiskussion: Die Gesundheit des Einzelnen – zwischen Verantwortung und persönlicher Freiheit



Blick auf das Eingangsschild



Welche Chancen bietet moderne Gesundheitsforschung, und was bedeutet das für das Leben des Einzelnen? Bei einer Podiumsdiskussion am 20. Oktober in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften gab es dazu unterschiedliche Ansichten aus Wissenschaft, Ethik und Gesellschaft. Die Veranstaltung mit dem Titel „Wie viel Verantwortung hat jeder Einzelne für seine Gesundheit?“ war Auftakt der Diskussionsreihe „Positionen der Forschung“ im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2011 – Forschung für unsere Gesundheit.



Eingeladen hatten das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gemeinsam mit der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Erfolge in der Gesundheitsforschung, insbesondere in der individualisierten Medizin, machen verbesserte Ansätze zu Früherkennung, Diagnose und Therapie von Krankheiten greifbarer. Darüber, wie die Gesellschaft mit diesen Entwicklungen umgeht, ist eine frühzeitige und interdisziplinäre Diskussion in der Gesellschaft notwendig – das betonten Prof. Dr. Elke Lütjen-Drecoll, Vizepräsidentin der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, und Dr. Georg Schütte, Staatssekretär im BMBF, zu Beginn der Veranstaltung. Von den Diskutanten wurde dieser Gedanke im Anschluss wieder aufgegriffen. Einig waren sie sich zwar darin, dass sich aus den Fortschritten moderner Medizin mehr Möglichkeiten für den Einzelnen ergeben, ihm wird aber auch mehr Verantwortung übertragen. Die Antworten der Podiumsgäste darauf, wie der Einzelne und die Gesellschaft mit dieser Entwicklung umgehen können und müssen, fielen allerdings unterschiedlich aus.



Das Podium



Zu den Diskutanten gehörten Prof. Dr. Hans-Hilger Ropers, Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, Prof. Dr. Detlev Ganten, Vorsitzender des Stiftungsrates der Stiftung Charité, Prof. Dr. Klaus Tanner, Ordinarius für Systematische Theologie und Ethik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg sowie Vorsitzender der Zentralen Ethikkommission der Bundesregierung für Stammzellenforschung, und die Autorin Dr. Juli Zeh. Die Moderation übernahm Christiane Grefe, Journalistin bei der ZEIT. Medienpartner war DRadio Wissen.

Gesellschaftliche Diskussion als Aufgabe für alle
Der Molekularbiologe Prof. Dr. Hans-Hilger Ropers begrüßte es, wenn jeder per Gentest mehr über genetisch bedingte Erkrankungen erfahren könne. Er sah die Wissenschaft sogar in der Bringschuld, genetische Tests bereitzustellen, um dem Einzelnen die Fortschritte in der Medizin zugänglich zu machen. Der Ethiker Prof. Dr. Klaus Tanner stand den medizinischen Möglichkeiten eher skeptisch gegenüber: Individualisierte Medizin gelte als „Wundertüte“, deren konkreter Nutzen sich in der Praxis erst noch beweisen müsse. Er betonte jedoch die Bedeutung der Grundlagenforschung.



Juli Zeh und Detlev Ganten im Dialog



Die Schriftstellerin Dr. Juli Zeh nahm vor allem den Umgang mit dem Wissen um mögliche Krankheitsdispositionen in den Blick. Die Menschen seien stets mit der Unvorhersehbarkeit der Zukunft konfrontiert. Bestrebungen, persönliche Krankheitsrisiken analysieren zu lassen, seien daher der hilflose Versuch, die Unwägbarkeiten des Lebens zu domestizieren – mit der Gefahr, die Gesundheit als oberstes Gut zu ernst zu nehmen und das persönliche Lebensglück zurückzustellen. Eine Kluft zwischen biologischen Gegebenheiten und modernem Lebenswandel diagnostizierte auch Prof. Dr. Detlev Ganten: Die Menschen lebten mit uralten biologischen Patenten, die mit unserem aktuellen Alltag nicht mehr kompatibel seien. Diesen Umstand zu thematisieren und gleichzeitig den Dialog über Chancen und Herausforderungen individualisierter Medizin weiter voranzutreiben, sei Aufgabe von Forschung und Gesellschaft. Dem Gedanken stimmten die anderen Podiumsgäste trotz aller Differenzen zu. Ziel sei es, einen gesellschaftlichen Konsens anzustreben – auch wenn sich dieser wohl nie vollständig erreichen lasse. Umso wichtiger war es daher auch den Diskutanten, künftig die Diskussion aufrechtzuerhalten und fortzuführen, um eine neue Kultur der Verantwortung und die Bedeutung des Einzelnen darin zu thematisieren. 

 

Die Diskussion können Sie in einem Radiobeitrag des Deutschlandfunk vom 27.10 nachhören. Zum Radiobeitrag



Dialog mit der Öffentlichkeit



Fortsetzung der Dialogreihe
Zu dieser Aufgabe will auch die nächste Veranstaltung von „Positionen der Forschung“ beitragen. Die zweite Podiumsdiskussion am 12. Dezember 2011 im Berliner Humboldt Carré widmet sich der Frage „Wie viel Individualität bleibt uns noch?“ Es diskutieren dazu ab 18 Uhr Prof. Dr. Marcella Rietschel vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, Prof. Dr. Jochen Taupitz, Mitglied des Deutschen Ethikrates, Prof. Dr. Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und der Publizist Frank Schirrmacher. Bei Interesse an einer Teilnahme wird um Anmeldung unter dialog@forschung-fuer-unsere-gesundheit.de gebeten.

Die Podiumsdiskussionen gehören zu den mehr als 800 Veranstaltungen, die bislang im Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung stattgefunden haben. Weitere Informationen über das Angebot gibt es unter hier.