Mehr als Gerede

Bürgerbeteiligung als unverzichtbarer Baustein einer erfolgreichen Stadtentwicklung

Bürgerbeteiligung boomt – auch auf dem Papier: Die Zahl aktueller Artikel, Aufsätze, Fachbeiträge und Bücher ist mittlerweile unüberschaubar. Bürgerbeteiligung boomt darüber hinaus im öffentlich-politischen Diskurs: Tagungen und Workshops laden allerorten zu Diskussionen ein und es gibt kaum eine politische Gruppierung, die nicht über die Notwendigkeit einer verbesserten Ansprache und stärkeren Mitwirkung von Bürgerinnen und Bürgern debattiert. Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa, die im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2015 – Zukunftsstadt durchgeführt wurde, zeigt zudem, dass mehr als die Hälfte der Bundesbürger (58 Prozent) gerne stärkeren Einfluss darauf hätten, was in ihrer Stadt umgesetzt wird. 71 Prozent der Deutschen wünschen sich laut der Umfrage einen stärkeren Beratungsbedarf der Kommunalpolitik durch wissenschaftliche Experten. Nicht zuletzt boomt auch die Umsetzung von Bürgerbeteiligungsprojekten auf den unterschiedlichsten Ebenen: Ein Blick aufs Detail offenbart, dass Bürgerbeteiligung unterschiedliche Ausprägungen hat. Die einen interpretieren sie als bürgerschaftliches Engagement, die anderen fassen neue Formen lokaler Demokratie darunter und wieder andere konzentrieren sich auf Beteiligungsangebote an konkreten Planungsprozessen und -verfahren.

Konferenz
©Matej Kastelic/shutterstock

Bürgerbeteiligung: Mehr als ein Hype

Die gegenwärtige Beteiligungswelle ist keineswegs Ausdruck für die Auseinandersetzung mit einem neuen Thema. Bürgerbeteiligung in der Stadtentwicklung ist nicht neu, sie wird seit mehreren Jahrzehnten praktiziert. Sie ist in den Städten und Gemeinden erprobt, routiniert eingeführt und gehört vielerorts zum Handwerkszeug einer guten Stadtentwicklung. Beteiligt wird sowohl im Zuge formeller Verfahren, z. B. in der Bauleitplanung und in Planfeststellungsverfahren, als auch bei informellen Prozessen, wie bei Wettbewerben und im Zusammenhang mit Bürgerwerkstätten. Zielgruppenorientierte Ansprache und kreativer Methodeneinsatz sind heute in vielen Kommunen Standard, insbesondere wenn Stadtentwicklung und Beteiligung auf der Quartiersebene stattfinden wie im Rahmen der Städtebauförderungsprogramme „Soziale Stadt" sowie „Stadtumbau Ost" und „Stadtumbau West".

Die mittlerweile über 40 Jahre gesammelten Erfahrungen zeigen, wie wichtig es ist, Menschen an Debatten und Projekten zur Zukunft ihrer Stadt und Gemeinde zu beteiligen. Ihr alltägliches, anwendungsbezogenes Wissen und ihre Kompetenzen können zur Verbesserung der Qualität von Planungen und Projekten beitragen. Sie sind es letztlich auch, die mit den realisierten planerischen Visionen im Alltag zurechtkommen müssen. Nur so kann es gelingen, die Akzeptanz auch für strittige Planungen zu erhöhen. Und nur so lassen sich nachhaltig Verantwortungsbewusstsein und Identifikation für und mit dem Quartier und der Stadt fördern.

Über die Autorinnen

Stephanie Bock und Bettina Reimann

Dr. Stephanie Bock und Dr. Bettina Reimann sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) . Sie setzen sich bei ihrer Arbeit u.a. mit den Themenschwerpunkten Stadt- und Regionalentwicklung, Bürgerbeteiligung und Governance auseinander.

Auf dem Weg zu kommunalen Beteiligungskulturen

Trotz aller guten Erfahrungen gibt es auch Kritik. Unzureichende Informationen, fehlende Transparenz, unkoordiniertes Nebeneinander, reine Lippenbekenntnisse und falscher Zeitpunkt sind nur einige der immer wieder genannten Punkte. Gefordert werden veränderte Formen und neue Qualitäten der Bürgerbeteiligung und eine erhöhte Transparenz der Planungsprozesse, die Zuständigkeiten offenlegt, Rollen definiert, Mitwirkungen ermöglicht und insgesamt mit einer veränderten Haltung und verbesserten Kommunikation einhergeht. Diese ernst zu nehmende Kritik greifen immer mehr Kommunen auf und begeben sich auf einen neuen Weg des Miteinanders von (Kommunal-)Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft. Dabei geht es in Weiterentwicklung der „klassischen" Bürgerbeteiligung um den Aufbau, die Weiterentwicklung und Etablierung kommunaler Beteiligungskulturen. Kommunale Beteiligungskultur steht dabei für einen integrierten Ansatz der Mitwirkung und Mitgestaltung und ist somit weitaus mehr als eine zusätzliche Methode.

Bürgerbeteiligung löst keine Konflikte auf

Eine so verstandene kooperative Gestaltung der Stadtentwicklung weiß auch um die Grenzen von Bürgerbeteiligung und sucht einen Umgang mit falschen oder zu hohen Erwartungen, die allerorten an Bürgerbeteiligung herangetragen werden. Denn: Bürgerbeteiligung ist kein Allheilmittel zur Befriedung und zur Vermeidung von Konflikten. Sie ist auch nicht überall und für jeden Anlass einsetzbar. Zudem braucht Bürgerbeteiligung – mit Blick auf den zu verhandelnden Anlass – zumindest ein gewisses Maß an Ergebnisoffenheit. Eine Beschränkung auf die Information über feststehende Planungen kann in einigen Fällen notwendig sein, sie sollte aber nicht mit Bürgerbeteiligung verwechselt werden. Und nicht zuletzt: Der Ruf nach legitimen Formen der Bürgerbeteiligung sollte nicht darin münden, die Bürgerbeteiligung als gescheitert zu erklären, wenn sich nicht alle Menschen gleichermaßen über lange Zeiträume in hochkomplexen Beteiligungsverfahren engagieren.

Beteiligung fördert die Akzeptanz künftiger Stadtentwicklungsprojekte

Bund, Länder, Kommunen und Forschung sind gut beraten, die Wirkungen von Bürgerbeteiligung noch stärker als bislang in den Blick zu nehmen. Im Mittelpunkt stehen dann Strukturen, Strategien und Konzepte für Beteiligung bzw. eine beteiligungsorientierte Stadtentwicklung, die im Unterschied zu punktuellen Planungsprojekten und -verfahren eine kontinuierliche Kommunikation über Stadtentwicklung ermöglichen. Hierfür Ressourcen zur Verfügung zu stellen, fördert die Qualität der Stadtentwicklung und stärkt die Identifikation der Menschen mit ihrer Stadt.

 

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2015 – Zukunftsstadt.

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