Warum es für Musik mehr braucht als Künstliche Intelligenz

Ein Expertinnenbeitrag von Claudia Birkholz, Dozentin für Klavier und zeitgenössische MusikMozart, Bach, Beethoven: Wenn AIVA komponiert, nimmt sie sich die Werke der ganz Großen vor: Sie geht bekannte und weniger bekannte Stücke durch, sucht nach zusammenpassenden Mustern in den Partituren und entwickelt sie weiter zu neuen Stücken, die klingen wie die der Genies. Aber AIVA braucht dafür keine Monate und Tage, keinen Rückzugsraum, nicht einmal Stift und Papier. Denn AIVA ist ein Artificial Intelligence Virtual Artist, eine Künstliche Intelligenz. Im Mai 2016 war sie die erste virtuelle Künstlerin, deren Werke bei der französischen Urheberrechtsgesellschaft SACEM registriert wurden.

Seitdem hat AIVA zwei Alben veröffentlicht, für etliche Filme und Videospiele Soundtracks komponiert, die Stadthymne „Ode to Dubai“ kreiert und 2017 für die Luxemburger Philharmoniker das Eröffnungsstück zum Nationalfeiertag geschrieben.

AIVA ist allerdings nicht die erste KI, die Musik erstellt. Schon 1970 erforschte David Cope, Komponist, Wissenschaftler und vormals Professor für Musik an der Universität von Kalifornien die Rekombination von Mustern. Seine Software „EMI-Experimental Musical Intelligence“ kann jedes musikalische Muster erkennen und fortschreiben. So entstehen Kompositionen, die klingen wie ein verschollenes Werk von Mozart, Brahms oder Chopin.

Ja, Musik kann tatsächlich von Maschinen geschrieben werden. Aber das muss uns keine Angst machen, denn was den Algorithmus-Künstlern dann doch noch fehlt ist die Kreativität, ist die Leidenschaft, ist die Empathie.

Bei genauerer Betrachtung sind Künstliche Intelligenzen nämlich ziemlich „dumm“. Denn wie und nach welchen Kriterien sie Material bewerten und nutzen, muss immer durch einen Menschen programmiert werden. Das scheinbar selbstständige Komponieren findet also auf Basis festgelegter Abläufe statt. Die Qualität ist vom Input abhängig: Welche Musikdaten werden eingegeben, welche Grammatik und welcher Algorithmus werden benutzt und wie exakt ist das Endergebnis definiert. Aus dieser Flut an Daten kreiert die Maschine ein neues Stück. Eine Mazurka von Chopin ist für ein KI-System kein Problem. Doch letzten Endes ist es eben nur das: Ein neues Stück in einem bekannten Stil.

Claudia Janet Birkholz ist Dozentin für Klavier und zeitgenössische Musik an der Hochschule für Künste Bremen. Als international gefragte Interpretin für Klaviermusik des 20. und 21. Jahrhunderts spielt sie berühmte Klassiker in technischer Perfektion und tritt auch mit Eigenkompositionen auf. Außerdem ist sie Initiatorin des realtime – Festival für Neue Musik 2020 in Bremen.

Deep Learning – aber keine echte Kreativität

Musik ist eine Sprache. In ihr geht es um die reine, emotionale Grundlage und um die Botschaft, die sie vermittelt. Ganz wie in einem Sonett von Shakespeare oder einem Roman von Herrndorf. Diese Ergebnisse menschlicher Kreativität erzeugen Bilder, Gefühle oder sogar eine ganze Welt in uns.

Als kreativ bezeichnen wir etwas, das neu oder originell und dabei nützlich und brauchbar ist. In der Musik ist das zum Beispiel die Idee, in eine Sinfonie einen Chor zu integrieren oder die Erfindung der Bi-und Polytonalität, der Polyrhythmik, der 12-Ton Musik oder des präparierten Klaviers.

KI-Systeme lernen selbstständig und auf komplexe Weise („Deep Learning“) dazu, doch auf Geistesblitze oder bahnbrechende Ideen von KI-Programmen werden wir vergebens warten. Einem Computerprogramm fehlen dafür die Antriebskräfte von genialer Kreativität wie Emotionen, intrinsische Motivation, selbstbestimmte Absichten, Werte und Normen. Darum kann ein KI-Programm lediglich eine Simulierung von Kreativität erzeugen.

An der Universität Malaga wurde das KI-System IAMUS entwickelt. Seit 2010 produziert IAMUS Werke, die von klassisch ausgebildeten Musikern, Solokünstlern und Orchestern aufgeführt werden. Durch Replikation, Rekombination und Mutation von Datenstrukturen entwickelt sich das System quasi selbständig. Dank dieser Selektion durch einen evolutionären Algorithmus überleben die “besten” Strukturen, ähnlich dem Darwin’schen „Survival of the fittest“ (Fitnesstheorie).

Auch bei diesem KI-System wird schnell deutlich, dass die komponierte Musik definitiv menschliche Interpreten benötigt. Dieser Fakt ist auch in Zukunftsvisionen noch nicht verändert. Der Mensch besitzt emotionales Bewusstsein, das eine Maschine niemals nachempfinden kann. Und das ist gerade in der Musik die Zutat, die alles verändern kann und Kunst von reinem Handwerk unterscheidet.

Künstliche Intelligenz als Assistenzsysteme für Musiker

Künstliche Intelligenzen sind dennoch ein Gewinn für Musikschaffende und haben schon so manchem Künstler aus der Schaffenskrise geholfen. KI macht großartig klingende Musik erreich- und nutzbar für all jene, die nicht mit einem entsprechenden Talent ausgestattet sind oder zu kleine Budgets für große Produktionen haben.
Schon Wolfgang Amadeus Mozart hat mit Hilfe eines Würfelspiels Musik nach dem Zufallsprinzip erstellt und nutzte das Verfahren, um Inspiration für neue Werke zu erhalten. Wie in vielen anderen Lebensbereichen kann KI Prozesse vereinfachen, beschleunigen, ergänzen und unterstützen. Sie ist für die Musik also kein notwendiges, aber ein durchaus spannendes Instrument, das – richtig bedient – das kreative Schaffen des Künstlers bereichern kann.

 

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2019 – Künstliche Intelligenz.

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