Viele Prototypen, wenige Einsatzsysteme

Ein Expertinnenbeitrag von: Yvonne Hofstetter, Autorin

 

Künstliche Intelligenz (KI) ist en vogue. Technologieriesen, ihre Investoren und globale Beraterfirmen drängen zur Eile: Wer heute nicht KI einrüstet, ist morgen der Verlierer im globalen Wettbewerb.
Doch die Stimmen mehren sich, die sagen: Alles nur Science Fiction. Alles übertrieben. KI kann die Erwartungen, die man an sie hat, heute noch nicht erfüllen. Am Horizont erneut das Wetterleuchten eines milderen Winters der KI: „Das funktioniert alles nicht“, haben wir ja schon in den 1990er-Jahren gehört.

Yvonne Hofstetter, 1966, Juristin und Essayistin, begann ihre IT-Karriere 1999 als Produktmanagerin für Verteilte Künstliche Intelligenz. Sie ist Mitglied des Datenschutzbeirats der Deutschen Telekom; des Ethikbeirats der HdM Stuttgart, Institut für Digitale Ethik, und beliebte Keynote-Speakerin zur Digitalisierung. Ihre Bücher Sie wissen alles (2014) und Das Ende der Demokratie (2016) wurden Bestseller. Ihr neuer Titel Der unsichtbare Krieg ist ab Herbst 2019 in allen Buchhandlungen erhältlich.

Nach wie vor ist die Wirtschaft zurückhaltend und die Anzahl ihrer KI-Einrüstungen noch immer gering. Babylonische Verwirrung herrscht namentlich darüber, worum es sich bei KI überhaupt handelt. Im strengen Sinne ist sie Machine Learning, künstliche neuronale Netze, die aus Rohdaten neue, relevante Informationen extrahieren. Sie klassifizieren und identifizieren Objekte in Bildern, Videos und Freitext oder extrahieren Information aus Messdaten. Nur der Mainstream hat die Vorstellung, jeder Roboter, jede Automatisierung menschlichen Tuns, jede solide Programmierarbeit sei schon KI.
Nur wenige Firmen wagen die Innovation, denn nach wie vor sind die Hürden hoch. KI gilt als Datenfresser; Unternehmen können ihre Daten nur mit größtem Aufwand effektiv nutzen. Entweder reichen ihre Daten nicht für das Training einer KI, oder die vorhandenen Daten sind nicht die richtigen, um ein Problem zu lösen. Fast immer sind Daten für das KI-Training ungeeignet, weil sie nicht vorverarbeitet sind. Schließlich erfordern sowohl die Datenbevorratung als auch ein KI-Training Speicher- und Rechenkapazitäten, deren Kosten beträchtlich sind.

Wer dennoch eine Machbarkeitsstudie für KI, die eine bestimmte operative Funktion übernehmen soll, beauftragt, trifft auf eine Verkäuferseite mit wenig Interesse an der Lösung seines Problems. Verkauft wird nur, was leicht verfügbar ist: KI-Tools der Technologieriesen von der Stange. So bleibt KI oft die falsche Lösung für viele Aufgaben, die mit anderen Technologien leichter und transparenter bewältigt werden könnten.
Nach der Pilotphase fällt die Entscheidung deshalb schwer. Man hat Einsichten in die Machbarkeit von KI gewonnen, doch was nun? Unternehmen haben Mühe, sowohl Einsatzdoktrinen für KI zu definieren als auch deren konkreten wirtschaftlichen Nutzen zu beziffern. Es ist die Ratlosigkeit über die operative Anwendung von KI, mit der Unternehmen zu oft über die Vorhölle der Prototypen nicht hinauskommen.

KI braucht einen Markt, der nicht mit enttäuschter Hoffnung und gebrochenen Versprechen gepflastert ist. Was er liefern muss, sind konzeptstarke Lösungen aus einer Hand, die nicht nur technologische Innovation sind, sondern Firmenphilosophie, Einsatzkontexte und Geschäftsprozesse gleich mit in den Blick nehmen. Nicht KI-Teillösungen, die im kleinen Schmutz stochern, sind gefragt, sondern durchgängige Anwendungen mit kognitiven Eigenschaften, deren Betriebskosten klar abschätzbar sind, kurz: KI aus einem Guss, kundenorientiert, clever modelliert und wirtschaftlich gemacht.
Erste Lösungsanbieter haben den Schuss gehört. Ihr Credo wird lauten, KI in Zukunft nur dort einzusetzen, wo sie wirklich sinnvoll ist.

 

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2019 – Künstliche Intelligenz.

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