Macht (keine) Arbeit krank?

 

  • Prof. Dr. med. Wolfgang Gaebel, Vorsitzender des Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Ärztlicher Direktor LVR-Klinikum Düsseldorf Wolfgang Gaebel, Vorsitzender des Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der HHUD, Ärztl. Direktor LVR-Klinikum Düsseldorf
    “Zunächst ist Arbeit eine wichtige Voraussetzung für das seelische Wohlbefinden.”
  • Porträt Prof.Dr.med. Johannes Hebebrand, LVR-Klinikum Essen Johannes Hebebrand, LVR-Klinikum der Universität Duisburg-Essen, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
    “Zur Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen zwischen 16 und 25 Jahre wird leider nur wenig geforscht.”
  • Dr. Werner Kissling, Leiter des Centrums für Disease Management der Psychiatrischen Klinik der Technischen Universität München Werner Kissling, Leiter des Centrums für Disease Management der Psychiatrischen Klinik der Technischen Universität München
    “Arbeitslosigkeit erhöht das Risiko, an einer Depression zu erkranken.”

 

  • Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Universitätsklinikum Leipzig, Sprecher des Kompetenznetzes Depression, Suizidalität, Vorsitzender des Deutschen Bündnis gegen Depression e.V., Leipzig Ulrich Hegerl, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Universitätsklinikum Leipzig, Sprecher des Kompetenznetzes Depression, Suizidalität, Vorsitzender des Deutschen Bündnis gegen Depression e.V., Leipzig
    “Für die große Mehrheit der Menschen ist Arbeit ein eher schützender Faktor.”
  • Prof. Dr. med. Peter Falkai, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen Peter Falkai, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen
    “Häufig ist es für die Betroffenen besser irgendeiner als keiner beruflichen Tätigkeit nachzugehen.”
  • Dipl.-Psych. Heiko Kilian, Geschäftsführer Berufliches Trainingszentrum Rhein-Neckar Heiko Kilian, Geschäftsführer Berufliches Trainingszentrum Rhein-Neckar
    “Es kommt auf eine Gesundheit erhaltende Gestaltung der Arbeit an. Psychische Faktoren wie Team- und Kommunikationsfähigkeit gewinnen im Arbeitsleben an Bedeutung”
  • Porträt Wolfgang Gaebel

    Wolfgang Gaebel: Zunächst ist Arbeit eine wichtige Voraussetzung für das seelische Wohlbefinden. Arbeit stiftet Sinn, auf dem Arbeitsplatz werden soziale Kontakte geknüpft und gepflegt, und das Gefühl, gebraucht zu werden, ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. So finden sich bei Menschen, die Ihre Arbeit verloren haben und länger arbeitslos bleiben, vermehrt psychische Erkrankungen wie Depressionen.

    Auf der anderen Seite können persönliche Konflikte auf der Arbeit (Stichwort Mobbing), belastende Arbeitsbedingungen wie ständiger Leistungsdruck und Schichtarbeit, Unsicherheit des Arbeitsplatzes, andauernde Überlastung, aber auch Unterforderung, mit dazu beitragen, dass Menschen, deren Widerstandskraft bereits fast aufgebraucht ist, psychisch erkranken oder eine bereits vorhandene psychische Erkrankung sich verschlechtert.

  • Porträt Johannes Hebebrand

    Johannes Hebebrand: Die Forschungsergebnisse zeigen, dass je selbstständiger eine Arbeit ausgeführt wird, umso gesünder ist sie. Andersrum ausgedrückt: Auf Kommando arbeiten macht krank. Das bezieht sich sowohl auf die Arbeitsinhalte als auch auf Arbeitstempo und Arbeitszeit. Das heißt aber auch in der Regel, dass je niedriger der Berufsstand umso krankmachender die Arbeit.
    Und: Es ist weniger die Quantität der Arbeit, die krank macht, als vielmehr ihre Qualität.

    Zur Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen zwischen 16 und 25 Jahre wird leider nur wenig geforscht. Es zeigt sich hier, dass die Jugendlichen nicht nur durch ihre Arbeitslosigkeit krank werden, sondern häufig gesundheitliche oder soziale Faktoren bereits das Arbeit-finden erschweren.

  • Porträt Werner Kissling

    Werner Kissling: Wenn Arbeit krank machen würde, dann müsste ja im Umkehrschluss Arbeitslosigkeit gesund machen. So einfach ist es natürlich nicht. Arbeitslosigkeit erhöht sogar das Risiko, an einer Depression zu erkranken beträchtlich. In einer eigenen Umfrage bezifferten von uns befragte Psychiater den Anteil ihrer Patienten, bei denen die Arbeitsbedingungen Hauptauslöser der psychischen Erkrankung waren auf rund 25 Prozent, genauso wichtige Auslöser sind aber auch die persönliche Lebenssituation und die Gene.

  • Porträt Ulrich Hegerl

    Ulrich Hegerl: Für die große Mehrheit der Menschen, die zu psychischen Erkrankungen neigen, ist Arbeit ein eher schützender Faktor, da sie meist mit einer klaren Tagesstruktur, Sozialkontakten und günstigenfalls auch mit Erfolgserlebnissen verbunden ist. Bei Menschen, die durch genetische Faktoren oder frühe Lebenserfahrungen eine erhöhte Vulnerabilität hinsichtlich einer Depression oder anderer psychische Erkrankungen haben, kann z. B. eine Überforderungssituation oder erhöhte Anspannung durch einen unsicheren Arbeitsplatz als Auslöser für eine Erkrankung fungieren, so wie viele andere Faktoren wie Arbeitslosigkeit, Urlaubsantritt, bestandene Prüfungen, Partnerschaftskonflikte etc.

  • Porträt Peter Falkai

    Peter Falkai: In einer Gesellschaft, die auf Leistung und ein erfolgreiches Berufsleben großen Wert legt, ist es mit großem Stress verbunden, wenn man keine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt hat. Die gängige Vorstellung ist: junge Menschen müssen und dürfen lernen, ältere Menschen dürfen in Rente die Früchte ihrer Arbeit genießen, aber in den Jahren dazwischen „müssen wir produktiv“ sein. Sich diesem gesellschaftlichen Druck zu entziehen, ist sehr schwierig. Für Menschen ohne Arbeit bedeutet das, dass sie am gesellschaftlichen Leben weder wirtschaftlich, noch persönlich vernünftig teilnehmen können. Sie ziehen sich häufig zurück, sind weniger am gesellschaftlichen Leben beteiligt und auch weniger aktiv.

    Arbeitslos zu sein ist darum meist mit mehr körperlichen, aber vor allem auch mit psychischen Erkrankungen verbunden. Häufig ist es für die Betroffenen besser irgendeiner als keiner beruflichen Tätigkeit nachzugehen, auch wenn sie nicht ihrer Qualifikation entspricht. In einem großen Dilemma befinden sich hier Menschen im arbeitsfähigen Alter, die bereits psychisch krank sind. Sie spüren, dass sie den normalen Belastungen des ersten Arbeitsmarktes nicht standhalten können. Ihr Umfeld, aber auch sie selbst erwarten aber, dass es gehen müsste.. Die Folge sind erneutes Auftreten ihrer Krankheitssymptome oder die Ausbildung anderer Erkrankungen. Insofern hat der behandelnde Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie die Aufgabe, Menschen mit psychischen Krankheiten so gut zu beraten und sie darin nachdrücklich zu unterstützen eine Tätigkeit zu finden, die mit ihrer Erkrankung vereinbar ist. Das ist im Einzelfall manchmal schwierig, sollte aber immer oberstes Ziel sein, damit der Zustand ohne Arbeit nicht krank macht.

  • Porträt Heiko Kilian

    Heiko Kilian: Was wir wissen:

    - Psychische Faktoren wie Team- und Kommunikationsfähigkeit gewinnen im Arbeitsleben an Bedeutung.

    - Die psychischen Anforderungen steigen.

    - Die häufigste bis zweithäufigste Ursache für Frühberentungen sind psychische Erkrankungen.

    - Der Anteil psychischer Erkrankungen an den krankheitsbedingten Arbeitsausfällen schwankt nach Branchen erheblich, z.B.: Baugewerbe 4,1 %, Gesundheits- und Sozialwesen 12,3 %Etwa 10 % aller krankheitsbedingten Produktionsausfälle und gesamtwirtschaftlicher Ausfallkosten gehen auf psychische Erkrankungen zurück.

    - Aber: Die höchste Rate an Psychopharmakaeinnahme verzeichnen arbeitslose Frauen und Männer, sie ist fast doppelt so hoch wie bei den Erwerbspersonen mit Sozial- und Gesundheitsberufen.

    - Für Menschen, die psychisch krank sind und Hilfe für den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt benötigen, stehen bundesweit 15 berufliche Trainingszentren zur Verfügung.

    Was bedeutet das?

    - Arbeit kann (psychisch) krank machen.

    - Keine Arbeit kann (psychisch) kränker machen.

    - Es kommt auf eine Gesundheit erhaltende Gestaltung der Arbeit an.

    - Auch ein mäßiger Job ist meist besser für die psychische Gesundheit als kein Job.