Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Sicherheit

Gibt es Gleichberechtigung in Deutschland?

20.12.2022
Kurz und knapp

In Deutschland sind Männer und Frauen per Gesetz gleichgestellt. Doch die Realität sieht anders aus. Warum ist das so? Wie zeigt sich das? Und was kann dagegen unternommen werden? 

Diese Frage aus dem IdeenLauf wurde von unserem Partner #InnovativeFrauen beantwortet. Mehr Informationen zu den Partnern des Wissenschaftsjahres 2022 finden Sie hier.

Wie bei so vielen komplexen Fragen dieser Art gilt: Es kommt auf den Blickwinkel an.

Artikel 3 des Grundgesetzes stellt die rechtliche Grundlage für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen dar. Doch in der gelebten Realität sieht es anders aus: Laut des „Global Gender Gap Report 2022“ des Weltwirtschaftsforums dauert es noch 132 Jahre bis die Lücke zwischen den Männern und Frauen geschlossen ist. Dabei gibt es verschiedene Bereiche, die betroffen sind.

 

Gleichberechtigung in der Arbeitswelt

Auf dem Arbeitsmarkt werden bestimmte Berufe, Funktionen und Tätigkeiten von Frauen bzw. Männern dominiert. Branchen, die überwiegend von Frauen dominiert werden, sind häufig schlechter bezahlt und in vielen Berufen gibt es einen Gender Pay Gap, also eine Lohnlücke zwischen Männern und Frauen bei gleicher Qualifikation und Arbeit. Zusätzlich wird die Berufswahl junger Menschen durch Geschlechterstereotype eingeschränkt.

„Gläserne Decke“ bezeichnet das Phänomen, dass Frauen der Aufstieg in Führungspositionen erschwert wird. Das Pendant im Wissenschaftsbetrieb nennt sich „Leaky Pipeline“ und steht dafür, dass immer mehr Frauen „verlorengehen“, je höher es auf der Karrierestufe nach oben geht. Im Jahr 2019 waren nur 25,6 Prozent  der Professuren in Deutschland mit Frauen besetzt. Führungspositionen, Professuren, aber auch Vorstands- und Aufsichtsratsposten, sie stehen vor allem für eins: Macht. Und die ist in Deutschland nicht geschlechtergerecht verteilt.

Das Problem zeigt seine ganze Absurdität im sogenannten Thomas-Kreislauf: 2017 gab es in den Vorständen der an der Frankfurter Börse notierten Unternehmen mehr Personen, die Thomas oder Michael heißen (49), als es insgesamt Frauen gab (46). Diskriminierungen bei Stellenbesetzungen entstehen oft dadurch, dass Menschen sich gerne mit Menschen umgeben, die ihnen ähnlich sind – eine Bremse für Diversität.

 

Gleichberechtigung in der Politik

Die Abgeordneten vertreten das Volk – doch wie steht es um die Diversität des Bundestags? Aktuell liegt der Frauenanteil bei 31,4 Prozent, auch hier ist eine Gleichberechtigung noch nicht erreicht. Während auf Landesebene in keinem Parlament Frauen und Männer gleichberechtigt vertreten sind, ist auf kommunaler Ebene das Ungleichgewicht am größten: 10 Prozent Bürgermeisterinnen stehen 90 Prozent Bürgermeistern gegenüber.

Das Frauenwahlrecht gibt es seit mehr als 100 Jahren, aber der weibliche Einfluss auf politische Entscheidungen ist auch im Jahr 2022 noch begrenzt. Frauen, die politisch aktiv sind, haben häufig mit Arbeitsstrukturen zu kämpfen, die familienunfreundlich sind, sind ungleich häufiger als Männer Widerständen ausgesetzt und nicht selten werden sie Opfer von Anfeindungen und (digitaler) Gewalt.

 

Gleichberechtigung in den Medien

Journalistinnen und Journalisten tragen eine große Verantwortung, denn sie prägen mit den Themen und Menschen, denen sie in Zeitungen, Talkshow und digitalen Medien Raum geben, öffentliche Diskurse mit. Es gibt schon viele Redaktionen, die gleichberechtigt aufgestellt sind, auch in den Machtpositionen. Insgesamt werden die Chefredaktionen zunehmend weiblicher, doch viele Medienhäusern sind von einer Parität weit entfernt.

Auch auf der Seite derjenigen, die in Medienformaten gezeigt werden und zu Wort kommen, zeigt sich ein unausgeglichenes Bild. 2021 waren insgesamt 74 Prozent der Expertinnen und Experten in TV-Informationsformaten männlich. Dies gilt auch für Bereiche, in denen annähernd gleich viele oder überwiegend Frauen arbeiten. In Spielfilmen im Fernsehen und im Kino übernehmen zwar annähernd so viele Frauen wie Männer eine zentrale Rolle. Doch mit zunehmendem Alter sind immer weniger Frauen sichtbar.

 

Gleichberechtigung in der Familie

Frauen sind in der Arbeitswelt unter anderem deshalb benachteiligt, weil sie 1,5-mal mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit als für ihre bezahlte Arbeit aufbringen. Daraus resultieren ein Ungleichgewicht beruflicher Aufstiegschancen, finanzielle Abhängigkeiten und letztlich Altersarmut.

Wenn eine Frau Mutter wird, wird es mit der Gleichberechtigung oft noch schwieriger. Eine Mutter verdient im Laufe ihres Lebens rund 61 Prozent weniger als ein Mann – das entspricht etwa einer halben Million Euro Lebensvermögen weniger und dementsprechend weniger Rente. Während 98 Prozent der Frauen in Elternzeit gehen, sind es nur 42 Prozent der Männer.

Insgesamt zeigt sich, dass Gleichberechtigung in Deutschland politisch und gesellschaftlich gewünscht ist. Und dennoch: Das Patriarchat hält sich hartnäckig in den Strukturen und Köpfen. Erst wenn Frauen in allen entscheidenden Kreisen entsprechend ihres Bevölkerungsanteils vertreten sind, können wir davon sprechen, reale Gleichberechtigung in Deutschland zu haben. Zudem darf weder erwartet werden, dass jede Frau automatisch für Gleichberechtigung kämpft, noch, dass die Erreichung dieses Ziels alleinige Aufgabe von Frauen sei. Es braucht alle, um Gleichberechtigung zu erreichen und nachhaltig zu erhalten – und letztendlich werden davon alle profitieren.

 

Über die Plattform #InnovativeFrauen

Die Plattform #InnovativeFrauen macht innovative Frauen in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft sichtbar. Kernstück der Plattform ist eine Expertinnen-Datenbank, in die sich exzellente Wissenschaftlerinnen, Forscherinnen und Leistungsträgerinnen sowie junge, aufstrebende Innovatorinnen eintragen können. Die Plattform #InnovativeFrauen ist im Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V. angesiedelt und wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Förderrichtlinie „Frauen in Wissenschaft, Forschung und Innovation: Leistungen und Potenziale sichtbar machen, Sichtbarkeit strukturell verankern“ („Innovative Frauen im Fokus“) unter dem Förderkennzeichen 01FP21070 gefördert.

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