Kultur, Wissen, Bildung

Ist Persönlichkeit vorherbestimmt?

17.01.2023
Kurz und knapp

Ist die Persönlichkeit eines Menschen genetisch festgelegt, so wie seine Augenfarbe? Oder wird der Charakter maßgeblich durch das Elternhaus bestimmt, so wie hierzulande der Bildungserfolg? Studien zeigen, dass Gene und Bezugspersonen zwar eine große Rolle spielen, doch uns prägen noch ganz andere Faktoren. Und nicht nur das: Wir können auch aktiv unsere Persönlichkeit verändern, beispielsweise durch neue Gewohnheiten.

Was ist die Persönlichkeit?

Jeder Mensch ist einzigartig. Der eine ist gern in Gesellschaft, der andere zieht sich lieber zurück. Ein dritter regt sich schnell auf, einen vierten bringt nichts aus der Ruhe. Fachleute bündeln solche Verhaltensweisen zu den sogenannten „Big Five“, um unsere Persönlichkeit zu beschreiben. Dabei handelt es sich um fünf Eigenschaften, die bei jeder Person mehr oder minder ausgeprägt sind: Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Offenheit für Erfahrungen; außerdem die „Extraversion“, also Geselligkeit und Aktivität, sowie die emotionale Stabilität, also wie leicht ein Mensch in seinen Gefühlen zu irritieren ist, wie stark ihn das Auf und Ab des Alltags aus der Bahn wirft. Manchen Modellen zufolge gehören auch Ehrlichkeit oder Bescheidenheit zu den grundlegenden Merkmalen der Persönlichkeit eines Menschen.

Doch wie erlangen wir spezifische Merkmale? „Erbliche Besonderheiten stellen einen Ausgangspunkt dar“, sagt Alexander Strobel, Psychologe an der TU Dresden. Die Gene bestimmen unsere Persönlichkeit also zu einem Teil vorher. So reagieren schon Babys entweder neugieriger oder vorsichtiger auf ihre Umgebung. „Bei der weiteren Entwicklung kommt sehr viel Lernerfahrung dazu“, so der Fachmann, „wenn das Kind in einer sicheren Umgebung aufwächst, legt es seine angeborene Ängstlichkeit mitunter ab.“ Die kindliche Persönlichkeit passt sich also an die Umwelt an. Aber die Umwelt passt sich auch an die Persönlichkeit an, zum Beispiel wenn Eltern darauf eingehen, dass ihr Kind besonders offen auf andere Menschen reagiert und deshalb öfter andere Kinder zu sich einladen.

 

Umbruchszeiten prägen uns

Bis vor wenigen Jahren gingen Forschende davon aus, dass die Persönlichkeitsentwicklung im Alter von ungefähr 30 Jahren abgeschlossen sei, doch tatsächlich dauert sie ein Leben lang an. Besonders prägend sind Umbruchszeiten, etwa wenn Kinder die Schule wechseln, junge Erwachsene in den Beruf einsteigen oder Menschen ihr Erwerbsleben abschließen. „Erstaunlicherweise haben wir festgestellt, dass der Job die Persönlichkeit stärker verändert als familiäre Ereignisse“, sagt die Berliner Psychologin Jule Specht der Zeit. „Das hat mit den sozialen Erwartungen zu tun, denen wir dort ausgesetzt sind. Wir passen unsere Persönlichkeit an die neue Rolle an, um sie bewältigen zu können.“

Die Statistik zeigt, dass Menschen im jungen und mittleren Erwachsenenalter allgemein gewissenhafter werden. „Das kann mit beruflichen Herausforderungen zu tun haben oder auch damit, dass sie Kinder bekommen, um die sie sich kümmern müssen“, sagt Alexander Strobel. Die Zunahme der Gewissenhaftigkeit zwischen 20 und 40 Jahren ist somit zwar noch lange nicht vorherbestimmt, aber doch relativ typisch. Außerdem lässt sich davon ausgehen, dass junge Erwachsene besonders offen für neue Erfahrungen sind, während sie ab einem Alter von etwa 60 bis 70 Jahren häufig nicht mehr so leicht Neues ausprobieren – vermutlich, weil die dafür notwendige Energie abnimmt.

 

Gesellschaftliche Rollenmodelle sind wohl entscheidend

„Männer sind im Durchschnitt emotional stabiler. Frauen haben eine stärkere Neigung zu Ängstlichkeit und Sorgen. Das ist bei Kindern aber noch nicht so“, sagt Jule Specht. „Der große Geschlechterunterschied entwickelt sich erst mit Beginn der Pubertät.“ Gut möglich, dass Geschlechterklischees dafür ausschlaggebend sind. Häufig wird Mädchen nicht so viel zugetraut wie Jungen. Womöglich verinnerlichen sie das und werden somit sorgenvoller und ängstlicher. Die Psychologin plädiert dafür, darüber nachzudenken, welche gesellschaftlichen Neuerungen nötig wären, damit sich Mädchen zu genauso emotional stabilen Persönlichkeiten entwickeln wie Jungen.

So groß der Einfluss der Umwelt auch sein mag, bis zu einem gewissen Maß haben wir die Entwicklung unserer Persönlichkeit auch selbst in der Hand. „Wenn wir regelmäßig eine halbe Stunde laufen gehen oder anderen Sport treiben, fühlen wir uns oft ausgeglichener“, erläutert Psychologe Strobel. Auch durch Achtsamkeitsübungen, vergleichbare Techniken oder das Durchbrechen unserer Gewohnheiten kann es uns gelingen, unser Verhalten ein Stück weit zu steuern und – langfristig gesehen – unsere Persönlichkeit zu verändern.    

 

Auch mit 70 Jahren können sich Menschen stark verändern. Die Psychologin Jule Specht erläutert ihre Forschungsergebnisse in der Zeit.

Manche Persönlichkeitsmerkmale werden wir aber nicht so schnell los: Ängstliche Kleinkinder sind oft noch in einem Alter von 20 Jahren deutlich introvertierter als Gleichaltrige, zeigt eine Studie

 

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