Gesundes Leben, Medizin, Pflege

Warum gähnen wir?

17.01.2023
Kurz und knapp

Mag man den, mit dem man gemeinsam gähnt? Oder hat man nur ein überhitztes Gehirn, wenn man nicht aufhören kann, den Mund weit zu öffnen? Viele Fragen rund um das Gähnen können Forschende noch nicht abschließend beantworten. Jedoch haben sie in den letzten Jahren so einige interessante Erkenntnisse dazu gesammelt.

Gähnen steckt an und hängt mit dem Mitgefühl zusammen

Warum wir gähnen, ist bis heute Gegenstand der Forschung. Offensichtlich ist nur eines: Gähnt eine Person, schließen sich viele ungewollt an. Das speiste früh Theorien, wonach das Gähnen eine Form der archaischen Kommunikation sei. Das reflexartige gemeinsame Gähnen stärke quasi das Wir-Gefühl. Nach dem Motto: Wer gemeinsam gähnt, hält eher zusammen.

Dazu passte die These, die der Entwicklungspsychologe Steven Platek von der University of Liverpool ab 2003 in Umlauf brachte. Seinen Experimenten zufolge ließen sich empathische Menschen eher vom Gähnen anderer anstecken. Andere Forschende fügten weitere Indizien hinzu, die dieses Bild ausschmückten: Das Gähnen von Verwandten und Freunden regt eher zum Nachahmen an als das von Fremden. Autisten und psychopathische Menschen lassen sich dagegen nicht so leicht anstecken.

 

Klimaanlage des Gehirns

Als der österreichische Verhaltensbiologie Jörg Massen jedoch die Daten zu der Frage auswertete, ob die Gähngabe vom Mitgefühl abhängt, kam er zu zwiespältigen Ergebnissen: Er fand viele Ungereimtheiten und weitere Einflussfaktoren. Zum Beispiel gähnen wir weniger, wenn wir uns beobachtet fühlen. Weitere Studien seien daher nötig. Es ist denkbar, dass das Gähnen eher ein motorischer Reflex ist, der nur im Nebeneffekt mit der Empathie einhergeht, ohne ursächlich vom Mitgefühl abzuhängen.

Massen wie auch andere Forschende vertreten die Ansicht, dass das Gähnen der Aufrechterhaltung von Hirnfunktionen dient. Experimente zeigen nämlich, dass die Häufigkeit des ansteckenden Gähnens von der Umgebungstemperatur abhängt und dass beim Gähnen die Temperatur im Gehirn von Ratten und Menschen geringfügig sinkt. Somit wäre das Gähnen eine Möglichkeit, die Großhirnrinde zu kühlen, indem frische Luft einströmt. Dazu scheint zu passen, dass Menschen mit Temperaturregulationsstörungen des Gehirns, wie sie bei Migräne, Epilepsie und Multiple Sklerose auftreten, mitunter viel gähnen müssen. Manche Menschen mit Migräne erleben sogar regelrechte Anfälle, bei denen sie pausenlos gähnen müssen, kurz bevor eine Migräne-Attacke einsetzt.

 

Gemeinsam dösen und gemeinsam wach werden

Aber warum sollte Gähnen dann anstecken, wenn es nur dem Kühlen des Gehirns dient? Wahrscheinlich ist, dass sich im Laufe der Evolution mehr als nur ein einziger Nutzen herausgebildet hat. Im Gehirn wird das Gähnen über zwei Rezeptoren gesteuert, die abhängig vom Botenstoff Dopamin arbeiten. Dopamin ist wichtig für den Antrieb und die Belohnung. Morgens etwa ist der Dopaminspiegel im Blut hoch. Vielleicht müssen wir deshalb viel gähnen. Daran anknüpfend hält sich seit den 90er Jahren die Theorie, dass Gähnen dabei hilft, die kortikale Erregung zu verändern und deshalb stets bei Änderungen des Aktivitätsniveaus im Gehirn auftritt.

Ehe wir schlafen, wenn wir aufstehen, wenn uns im Zug langweilig wird, wenn wir uns auf der Yogamatte entspannen, ja selbst kurz vor einer sportlichen Höchstleistung wie einem Wettlauf – immer müssen wir gähnen. Und es könnte durchaus sinnvoll sein, Menschen in der Umgebung ebenso einzustimmen. Gemeinsam wach zu werden, wenn der Tag anbricht, gemeinsam zu dösen oder zu entspannen, wenn keine Gefahr lauert, ermöglicht ein harmonisches Miteinander. Wer zusammenlebt, lebt dann eher im Gleichtakt. Das Gähnen würde dieser Theorie zufolge bei der zwischenmenschlichen Synchronisation helfen.

 

Inspirierende Fragen

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Anonym12.04.2022