Kultur, Wissen, Bildung

Was macht den Menschen glücklich und was ist überhaupt Glück?

05.09.2022
Kurz und knapp

In der Philosophie ist die Frage nach dem Glück eine Frage nach dem guten Leben. In Abgrenzung zur Moral, bei der unser Zusammenleben im Vordergrund steht, unsere Rechte und Pflichten, die wir einander garantieren oder abverlangen, stellt sich die Frage nach dem Glück in der ersten Person Singular: Wie soll ich leben – ich, für mich?

Die biochemische Erklärung

Was macht uns glücklich? Die Antwort hängt ein bisschen davon ab, was man unter „Glück“ versteht. Glücksgefühle werden von Botenstoffen im Gehirn ausgelöst, wie zum Beispiel Serotonin und Endorphinen. Typischerweise werden diese Stoffe bei bestimmten Aktivitäten freigesetzt wie bei der Nahrungsaufnahme, beim Geschlechtsverkehr oder beim Sport, aber auch im Zustand zufriedener Entspannung. Aber: Ist es das, was wir meinen, wenn wir vom Glück reden? „Ich wünsche Dir, dass Dein Gehirn oft und viele Botenstoffe ausschüttet?“ Eher nicht.

Erkenntnisse der Glücksforschung

Gemeint ist doch das langfristige Lebensglück. Zufriedenheit. Wohlbefinden. Hierfür ist, auf Seiten der Wissenschaft, die empirische Glücksforschung zuständig. Deren Resultate schlagen sich beispielsweise im jährlich erscheinenden World Happiness Report nieder. Dort erfährt man: Glück ist erstaunlicherweise nur schwach gekoppelt an Einkommen und Wohlstand. Deshalb steht jene Art von Glücksforschung, die den World Happiness Report produziert, methodisch in der Kritik. Es scheint kaum plausibel, dass Menschen, die unter sehr schlechten Bedingungen leben, glücklicher sind als die Bevölkerung der Industrieländer – was der Report nahelegt. Einigkeit herrscht darüber, dass oberhalb eines Jahres-Familieneinkommens zwischen 70.000 bis 100.000 Euro das Glück nicht mehr signifikant durch mehr Geld gesteigert werden kann. Eine Antwort darauf, was das Glück ist, liefern solche Beobachtungen aber nicht.

Eine philosophische Frage

Tatsächlich ist die Frage nach dem Glück eine philosophische – sogar eine der philosophischen Fragen. Sie wird auch als Frage nach dem guten Leben bezeichnet oder als ethische Frage, und stellt sich in der ersten Person Singular: Wie soll ich leben – ich, für mich?

In der antiken Philosophie, bei Sokrates, Platon, Aristoteles und ihren Nachfolgern, finden sich zahlreiche Rezepte dafür, doch mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert kommen sie aus der Mode. Warum? Was für jemanden Glück bedeutet, komme auf sein individuelles Gefühl der Lust oder Unlust an, so Immanuel Kant, der übrigens von Glückseligkeit spricht. Was mein Glück ist, muss ich an mir selbst beobachten. Im Zweifel kann ich darüber nicht einmal verlässliche Prognosen aufstellen. Ob etwa ein Umzug von der Stadtwohnung in ein Häuschen im Grünen mein Glück steigern oder mindern wird, kann ich am Ende nur ausprobieren. Kant folgerte daraus: Glück ist kein Thema für Philosophen und Wissenschaftler – also für Fachleute, die sich, wie er, ernsthaft Gedanken machen.

Bis in die heutige Zeit hat es trotzdem immer wieder Versuche gegeben, das Glück zu definieren, beispielsweise mit einer Liste von Dingen, die glücklich machen, wie die Beziehung zu Freunden und Verwandten, die Pflege persönlicher Tugenden, intellektuelle Erfüllung und Ähnliches. Nicht benannt oder sogar explizit als nicht glücksrelevant aufgeführt werden Kreuzworträtsel, Computerspiele und Fernsehserien. Wie man sich denken kann, sind viele Menschen mit dieser Wertung aber nicht einverstanden.

Das Argument der offenen Frage

Eine noch krassere Position als jene Kants nimmt der Philosoph G.E. Moore ein. Er behauptet in seinem Werk „Principia Ethica“: Wir können nicht definieren, was Glück oder glücklich sein bedeutet. Denn immer lässt sich fragen: Ist das, was du als das Glück definierst, wirklich Glück?

Viele Philosophen vertreten die Ansicht, dass sich Glück nicht auf konventionelle und weit verbreitete Vorstellungen von Wohlbefinden reduzieren lässt. Ein guter Mensch könne selbst auf der Folterbank glücklich sein, allein Tugend und Geistesstärke reichten dazu aus. Von Luther heißt es, dass dieser jemandem, der das Glück als das Ziel des menschlichen Lebens bezeichnet hat, heftig widersprochen und gesagt haben soll: „leiden, leiden, Kreuz, Kreuz.“

Was folgt aus all dem? Es gibt kein Rezept zur Erlangung der „Glückseligkeit“, das für jeden Menschen funktioniert. Trotzdem ist Glück nicht völlig beliebig. Selbst die verrücktesten Vorstellungen und Wünsche zum Thema werden von den Betreffenden schließlich begründet. Luthers Meinung, dass das wahre Glück „leiden, leiden, Kreuz, Kreuz“ sei, ist dafür ein gutes Beispiel. Eine ganze Religion steht zur Verfügung, um diese Auffassung vom Glück oder davon, wie man leben soll, mit Gründen zu untermauern. Wichtiger noch: Über diese Gründe kann man tiefgehend streiten. Weitaus tiefgehender als darüber, was im Sinne von Reiz und Reaktion Schmerz oder Vergnügen bereitet.

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45 JahreBaden-Württemberg08.04.2022