Gesundes Leben, Medizin, Pflege

Was passiert im Gehirn beim Placebo-Effekt?

10.01.2023
Kurz und knapp

Kleine Kinder fühlen sich gleich besser, wenn Mama oder Papa mal pustet oder ein Pflaster über das „Aua“ klebt. Wir erleben Vitaminpräparate als stärkend, selbst wenn gar kein Mangel vorliegt. Und sogar starke Schmerzen lassen sich lindern mit Pillen oder Spritzen, die eigentlich keinen Wirkstoff enthalten. Was ein wenig nach Einbildung und Hokuspokus klingt, ist tatsächlich längst wissenschaftlich bewiesen: Es gibt ihn, den Placebo-Effekt. Nur wie funktioniert er eigentlich im Gehirn?

Die Erwartungshaltung zählt

Placebos funktionieren bei einer ganzen Reihe von Erkrankungen: Bei akutem und chronischem Schmerz etwa oder bei der Parkinson-Erkrankung. Und auch die körpereigene Abwehr spricht gut auf Scheinmedikamente an, etwa bei Allergien, bei Autoimmunerkrankungen und sogar wenn es darum geht, die Immunantwort zu drosseln um ein Abstoßen von transplantierten Organen zu verhindern. Und zumindest bei Ratten und Hunden hat sich im Experiment gezeigt, dass eine Kochsalzlösung den Blutzucker zu senken vermag, wenn die Tiere zunächst für einige Tage Insulinspritzen erhalten hatten.

Ein wichtiger Faktor für den Placebo-Effekt ist sicherlich die Erwartungshaltung. Verspricht sich ein Patient oder eine Patientin Besserung von einer bestimmten Therapie, besteht ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Behandlern oder hat man bei Leidensgenossen mitbekommen, dass eine bestimmte Medikation Linderung gebracht hat, so kann dies entscheidend sein für den Therapie-Erfolg. Umgekehrt kann die Erwartungshaltung auch ausschlaggebend sein für unerwünschte Nebenwirkungen.

Auch die Art des Scheinmedikaments ist mitentscheidend: auffällig gefärbte und große Tabletten sind effektiver, rote Pillen wirken eher stimulierend, blaue eher beruhigend, und vermeintlich teure Placebos zeigen eine bessere Wirkung als günstige. Zudem spielen Vorerfahrungen eine Rolle. Wer etwa regelmäßig zu Sprudeltabletten mit Schmerzmitteln greift, bei dem mag sich der Kopfschmerz auch verflüchtigen, wenn er die sprudelnde Lösung ohne Wirkstoff trinkt.

 

Spurensuche im Gehirn

Trotzdem ist der Placebo-Effekt kein reines Hirngespinst. Denn genau dort, im Gehirn, hinterlässt er seine Spuren. So weiß man, dass allein das vertraute Aussehen einer Pille oder Spritze Hirnstrukturen aktiviert, die auf das wichtigste Steuerelement des vegetativen Nervensystems, den Hypothalamus, einwirken – und damit auf unwillkürliche Körperfunktionen wie Herzschlag Atmung, Verdauung und Stoffwechsel. Auf diesem Weg vermag die Erwartung beispielsweise das Immunsystem zu beeinflussen, oder, wie im Tierexperiment, den Blutzuckerspiegel.

Beim Schmerz ist der Placebo-Effekt im Gehirn besonders gut untersucht – und involviert gleich mehrere Ebenen. Im Experiment tragen Forschende ihren Probandinnen und Probanden zum Beispiel eine wirkstofflose Creme auf die Haut auf, von denen sie einmal behaupten, es handle sich um eine schmerzlindernde Salbe und einmal angeben, dass es eine Kontrollcreme ohne Wirksubstanz ist. Dann untersuchen sie im Magnetresonanztomographen die Gehirnaktivität während sie die Freiwilligen mit schmerzhaften Hitzereizen traktieren. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede im MRT – je nachdem, ob die Freiwilligen glauben eine Schmerzsalbe bekommen zu haben oder eine nutzlose Creme. Und daraus wiederum lassen sich Schlussfolgerungen ziehen, wie das Placebo-Schmerzmittel wirkt.

 

Netzwerke des Placebo-Effekts

So zeigt sich, dass eine Region im präfrontalen Kortex, also im Stirnhirn, aktiver ist, wenn die Probanden und Probandinnen annehmen, es mit einer Schmerzsalbe zu tun zu haben. Das gilt insbesondere dann, wenn der angekündigte Schmerzreiz kurz bevor steht. Diese Region ist unter anderem dafür zuständig, Ziele und Erwartungen zu verarbeiten, und sendet entsprechende Informationen an andere Hirnregionen. Je aktiver der präfrontale Kortex in dieser Phase ist, umso besser ist die Placebo-Wirkung.

In der Folge sind Regionen vermehrt aktiv, die wichtig sind für die Schmerzkontrolle. Sie sorgen dafür, dass das Schmerzsignal, das normalerweise von der gereizten Hautstelle in Richtung Gehirn rasen würde, im Rückenmark gehemmt wird. Die Schmerzempfindung kommt also nicht oder zumindest deutlich abgeschwächt im Gehirn an. Entsprechend sind dort diejenigen Zentren weniger aktiv, die einen empfundenen Schmerzreiz verarbeiten. Mittler dieser dämpfenden Regulation sind unter anderem körpereigene Opioide, also körpereigene Schmerzmittel wie Endorphin. Der Beweis: Verabreicht man Probanden einen Opioid-Antagonisten, also eine Substanz, die die Wirkung der körpereigenen Schmerzmittel blockiert, so ist auch der Placebo-Effekt weitgehend dahin.

Doch das ist nur ein Teil der Geschichte. Im Gehirn passiert – unter anderem gesteuert vom präfrontalen Kortex – noch mehr. So sind Strukturen, die für positive Vorerfahrungen und Erwartungen zuständig sind und die zum Belohnungssystem gehören, vermehrt im Einsatz. Sie sorgen mit verschiedenen Botenstoffen für Entspannung. Im Gegensatz dazu sind Hirnareale, die eher negative Emotionen verarbeiten, weniger aktiv als wenn die Probanden wissen, dass sie eine Creme ohne Wirkstoff bekommen.

 

Den Placebo-Effekt nutzen

Längst also gilt der Placebo-Effekt nicht mehr nur als skurriles Phänomen – oder gar ein Ärgernis, weil er in klinischen Studien die Wirkung der erprobten Substanz in Zweifel zieht. Vielmehr zeigt sich, dass er sich in manchen Fällen tatsächlich für die Therapie nutzen lässt – zum Beispiel um die Dosis eines Medikaments zu reduzieren. Das funktioniert nicht zuletzt in der Schmerzmedizin, und zum Teil sogar dann, wenn die Behandelten wissen, dass sie nur ein Scheinmedikament bekommen.

Ein ausführliches Special der Wissenschaftssendung Quarks über den Placebo-Effekt.

 

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