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Was passiert, wenn die Schwerkraft für eine Sekunde aussetzt?

12.12.2022
Kurz und knapp

Wir lassen einen Gegenstand los und er fällt zu Boden. Die Schwerkraft zieht ihn in Richtung Erdmittelpunkt. Es ist die gleiche unsichtbare Kraft, die auch uns auf der Erde festhält, sowie die Erde und mit ihr alle anderen Planeten auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne. Stürzen wir ins Chaos, wenn die Schwerkraft kurz aussetzt?

Wir gehen buchstäblich in die Luft

Der Schwerkraft kann niemand entfliehen: Als Erdanziehungskraft hält sie uns auf unserem Planeten fest. Doch sie kann noch mehr: Sie bewirkt, dass sich alle Körper im Universum auf bestimmten Bahnen bewegen, in diesem Zusammenhang wird die Schwerkraft auch Gravitationskraft genannt. Mechanismen, die sie abschalten, sind nicht bekannt. Doch wir können berechnen, was passiert, wenn sie eine Sekunde lang aussetzt.

Wichtig ist dabei das 1. Newtonsche Gesetz. Demnach bewegt sich ein in Bewegung befindlicher Körper geradlinig mit konstanter Geschwindigkeit weiter, wenn keine Kraft auf ihn einwirkt. Es mag erstaunlich klingen, doch solch ein Körper ist zum Beispiel jeder einzelne Mensch auf der Erdoberfläche: Auch wenn er im Bett liegt und schläft, rotiert er zusammen mit der Erde um die Erdachse – wir fahren also quasi ohne es zu merken ständig Karussell. Befinden wir uns am Äquator, beträgt unsere Geschwindigkeit dabei etwa 1670 Kilometer pro Stunde, also rund 465 Meter in der Sekunde – das ist schneller als ein Passagierflugzeug über dem Atlantik. Fällt nun die Erdanziehungskraft weg, behalten wir diese Geschwindigkeit bei. Während die Erde weiter rotiert, hält uns jedoch nichts mehr am Boden fest und wir fliegen ein wenig geradlinig in die Höhe. Auch alle anderen Körper, die nicht fest am Erdboden verankert sind, beginnen zu schweben. 

 

Schwindel und kaputte Gegenstände

In dieser einen Sekunde ohne Schwerkraft entfernen wir uns also ein kleines Stück von der Erde. Es lässt sich auch recht leicht berechnen (man kann dafür den Satz des Pythagoras anwenden), wie weit: 0,034 Meter, also gut drei Zentimeter. Höher hinaus geht es nicht in dieser kurzen Zeit. Einigen Menschen wird womöglich trotzdem schwindlig werden, und empfindliche Gegenstände werden vermutlich zerbrechen, wenn die Schwerkraft wieder einsetzt und sie zurück auf die Oberfläche fallen. Soweit zur Situation am Äquator.

Je weiter wir in Richtung Nord- oder Südpol gehen, desto geringer sind die Effekte. Der Umfang der Breitengrade nimmt ab, entsprechend sinkt die örtliche Umfangsgeschwindigkeit der Erde und somit auch unsere eigene. Dadurch bewegen wir uns in der schwerkraftlosen Sekunde weniger weit in die Höhe. In der Nähe der Pole heben wir kaum noch ab. Eben weil wir dort der Erdachse, um die die Erde und alles auf ihr Befindliche rotiert, sehr nahe sind.

 

Die Sonne expandiert

So wie wir uns mit der Erde drehen, kreist die Erde auf einer Umlaufbahn um die Sonne. Fällt die Gravitation nicht nur auf der Erde, sondern im ganzen Sonnensystem aus, so passiert im Prinzip mit der Erde auf ihrer Bahn um die Sonne das gleiche, was mit uns auf der Erde passiert: Der blaue Planet fliegt geradlinig weiter – und zwar mit der gleichen Geschwindigkeit, mit der er sich vorher um die Sonne drehte. Sie liegt bei zirka 107.000 Kilometern pro Stunde, das sind rund 30 Kilometer pro Sekunde. Dabei entfernt er sich nun aber von seiner ursprünglichen Kreisbahn; der Abstand von der Sonne wird kurzzeitig etwas größer, die Sonneneinstrahlung auf der Erde nimmt dadurch um eine Winzigkeit ab. Mehr passiert wohl nicht. Setzt die Schwerkraft nach einer Sekunde wieder ein, kehrt die Erde auf ihre ursprüngliche Bahn zurück, die Sonne zieht sie quasi wieder dorthin.

Obendrein wird sich beim Abschalten der Gravitation die Sonne etwas ausdehnen, weil sie durch Gravitation zusammengehalten wird. Allerdings auch das in der kurzen Zeit einer Sekunde nur minimal und für uns auf der Erde kaum merklich. Denn selbst wenn diese Ausdehnung mit Lichtgeschwindigkeit erfolgte – der maximalen Geschwindigkeit, mit der Teilchen fliegen können – so würde uns ihre Oberfläche nur 300.000 Kilometer näher kommen. Sie ist aber rund 150 Millionen Kilometer, also ein 500faches, entfernt. Ihre Strahlung würde analog ein wenig zunehmen. Wird die Gravitation wieder eingeschaltet, schrumpft die Sonne vermutlich wieder auf ihre ursprüngliche Größe zurück.

 

Draußen im All könnte es Explosionen geben

Setzt die Schwerkraft sogar im ganzen Universum eine Sekunde lang aus, wären auch andere Sterne und auch Schwarze Löcher betroffen, da auch sie durch Gravitation zusammengehalten werden. Sie könnten sich stark ausdehnen, womöglich sogar explodieren. Auf der Erde würden wir davon vermutlich jedoch gar nichts oder erst viele Jahre später etwas merken. Schon das Licht der Sonne benötigt acht Minuten bis zur Erde; das Licht der Sterne, die uns am nächsten sind, bereits vier Jahre. Die meisten Sterne sind aber viel, viel weiter weg. Gleiches gilt für die Schwarzen Löcher. Wir registrieren also erst viele Jahre später, falls da etwas explodiert.

 

Weltweit beschäftigen sich Forschende mit der Gravitation. Auch in Deutschland sind viele Fachleute beteiligt. Ein Besuch der Internetseiten ihrer Institute lohnt sich:  

https://www.aei.mpg.de/

https://www.zarm.uni-bremen.de/de.html

https://goede-stiftung.org/