Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Sicherheit

Was rät die Wissenschaft, damit wir beim weltweiten Klimaschutz besser vorankommen?

10.01.2023
Kurz und knapp

„Ich kann nur empfehlen, dass wir möglichst schnell zu Potte kommen! Wenn wir die Treibhausgas-Emissionen auf einem noch relativ niedrigen Niveau stoppen wollen, dann müssen wirklich alle innerhalb des nächsten Jahrzehnts etwas tun“, mahnte der schwedische Meteorologe Bert Bolin vor 25 Jahren, wie im Deutschlandfunk zu hören ist. Passiert ist wenig, Bolins Warnung klingt noch heute brandaktuell. Welche Antwort hat die Wissenschaft auf das Problem, dass Gesellschaft und Politik in Sachen Klimawandel nicht genug ins Handeln kommen? Aus unserer Reihe Fragende im Porträt.

 

Warum kommen wir beim Klimaschutz nicht voran?

Schon seit 60 Jahren warnt die Wissenschaft vor den Folgen des Klimawandels. Doch noch immer haben wir es nicht geschafft, umzusteuern. Im Gegenteil: Allein in den vergangenen 30 Jahren stiegen die weltweiten CO2-Emissionen um 60 Prozent. In Deutschland sanken sie im gleichen Zeitraum zwar um 40 Prozent, doch auch hierzulande werden wir die Klimaziele verfehlen. Das im August 2021 verschärfte Bundes-Klimaschutzgesetz sieht vor, die Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber 1990 um 65 Prozent und bis 2040 um 88 Prozent zu senken. 2045 will man klimaneutral sein. Laut einem „Projektionsbericht“ des Umweltbundesamts, den externe Fachleute angefertigt haben, reichen die aktuellen Maßnahmen dafür nicht aus. Man würde nur auf 49 Prozent bis 2030 und 67 Prozent bis 2040 kommen. Das heißt also: In Deutschland kommen wir zwar voran, aber nicht schnell genug. Woran liegt das?

Die Politik richtet sich nicht nur nach der Wissenschaft, sondern berücksichtigt auch die Interessen verschiedener Gruppen, im Sektor Verkehrspolitik zum Beispiel die der Autoindustrie. So liegen zwar zahlreiche Studien vor, aus denen hervorgeht, wie sich der Pkw-Verkehr reduzieren ließe. Doch die Verantwortlichen handeln allenfalls zögerlich. Die Emissionen im Straßenverkehr sind seit 1995 gleichbleibend hoch. Obendrein ist für die Zivilgesellschaft umweltfreundliches Verhalten oft nicht attraktiv: „Biolebensmittel sind teurer, Radfahren in der Innenstadt ist vergleichsweise gefährlich und stressig, der Öffentliche Nahverkehr leider unzuverlässig“, erklärt die Wirtschaftswissenschaftlerin Lucia Reisch von der Copenhagen Business School dem Science Media Center. Hinzu kommt, dass Menschen sehr stark am Status Quo und ihren Gewohnheiten festhalten. Sprich: Veränderung braucht Zeit – doch die läuft nun ab. Was also ist nötig, um dem Klimaschutz auf die Sprünge zu helfen?

 

Eine internationale Allianz der Willigen

Wir bräuchten mehr globale Zusammenschlüsse, starke Allianzen, um zum Beispiel die natürlichen CO2-Senken besser zu schützen, fordern Fachleute der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und des Rats für Nachhaltige Entwicklung 

(RNE) in einem gemeinsamen Positionspapier. Nötig sind etwa weitreichendere Meeresschutzabkommen und Beschlüsse zum Erhalt der Moore und des Regenwalds. Darüber hinaus sollte der globale Süden beim Klimaschutz stärker unterstützt werden, so die Forschenden. Zum einen durch mehr Transfer von Technologien wie Photovoltaik und Windkraft sowie dem nötigen Know-how, um Anlagen selbstständig zu betreiben. Zum anderen sollte sich Deutschland für weitgehende Schuldenerlasse einsetzen, „zum Beispiel von den Ländern, die überhaupt nicht die Mittel haben, diese Transformation zu machen“, sagt die Meeresbiologin Antje Boetius im Deutschlandfunk. Sie ist Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven und Mit-Autorin des Positionspapiers.

Auch die Wirtschaft muss mitspielen. Damit das gelingt, sollte die Politik die richtigen Anreize setzen, und Handelsbarrieren für klimafreundliche Produkte abschaffen, beispielsweise für nachhaltigere Handys. Zölle für umweltschädliche Waren hingegen sollten bestehen bleiben, etwa für Rindfleisch oder Soja als Tierfutter. Zudem braucht es eine andere Wirtschaftsförderung, betonen Ökonomen. Es sollten solche Unternehmen stärker unterstützt werden, die einen Beitrag zu den Klimazielen oder den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung leisten und bei denen nicht nur der Profit im Mittelpunkt steht. Und natürlich müssten klimaschädliche Subventionen wie für fossile Brennstoffe abgebaut werden.

 

Wir alle sind verantwortlich

Laut Umweltbundesamt halten 65 Prozent aller Menschen in Deutschland den Umwelt- und Klimaschutz für ein sehr wichtiges Thema, und viele Menschen engagieren sich. Beispielsweise eröffnen und kontrollieren hierzulande immer mehr Bürgerinitiativen Windparks zur regionalen Versorgung mit grünem Strom. Doch die Zivilgesellschaft muss sich noch viel mehr beteiligen. Was und wer hilft ihr dabei? Erstens: Anreize für klimafreundlichen Konsum. Alternative Produkte und Dienstleistungen müssen attraktiv und bezahlbar sein. In den Urlaub nach Südeuropa zu fliegen etwa sollte 

deutlich teurer sein, als mit dem Nachtzug dorthin zu fahren. Zweitens orientieren sich Menschen an anderen in ihrer Nähe – zum Beispiel Nachbarn. Wer in seiner Straße einen nachhaltigen Lebensstil vorlebt und darüber spricht, findet oft auch Nachahmer. Drittens: „Viele Menschen verändern ihr Verhalten nicht, weil Ihnen die Auswirkungen des eigenen Verhaltens zu klein erscheinen“, erklärt der Umweltpsychologe Gerhard Reese von der Universität Koblenz-Landau. „Daher ist es wichtig, dieses Gefühl von Wirksamkeit auf eine kollektive Ebene zu bringen.“ Eine Herausforderung gemeinsam zu stemmen, mache den Menschen Mut.

Unterm Strich muss das Thema kommunikativ noch präsenter sein und die konkrete Umsetzung erleichtert werden. Es geht zum Beispiel darum, Genehmigungsverfahren für Wind- oder Solarparks effizienter und schneller zu gestalten und Anwohner und Anwohnerinnen frühzeitig zu beteiligen. Darüber hinaus sollte etwa in Kommunen Klimaschutz in den Standards für Hausbau und Verkehr fest verankert werden. Leopoldina und RNE fordern, Klimaschutz zu einer Aufgabe kommunaler Daseinsvorsorge zu erklären, ähnlich wie die Wasserversorgung ja auch als grundlegendes Bedürfnis behandelt wird. Dann stünde für Klimaschutz in den Kommunen mehr Geld zur Verfügung. Es würde leichter gelingen, bürgerschaftliches Engagement zu unterstützen und zum Beispiel Flächen zu begrünen, als Gärten zu nutzen oder Kurse zu veranstalten, in denen Menschen lernen, Photovoltaikanlagen selbst zu bauen.

 

Antje Boetius im Interview mit dem Deutschlandfunk über Blockaden in der Politik – und Strategien, die dagegen helfen.

Seit rund 60 Jahren wissen wir, dass der Klimawandel eine Bedrohung darstellt. Eine der ältesten Warnungen findet sich in einem Bericht des Ausschusses für Umweltfragen der USA. Die relevanten Passagen sind gelb markiert.

 

Inspirierende Fragen

1 Artikel  ·  Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Sicherheit
Christine Rüth57 JahreBayern19.02.2022