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Was war vor dem Urknall?

02.08.2022
Kurz und knapp

Die meisten Astronominnen und Kosmologen antworten auf diese Frage mit „Nichts“. Und nach allem, was wir bisher über das Weltall und die Teilchenphysik herausgefunden haben, haben sie damit auch recht, denn demnach ist mit dem Urknall auch die Zeit überhaupt erst entstanden. Doch es gibt einige Ideen, dass es auch anders sein könnte und es sehr wohl ein „Vorher“ gab.

Unsere Welt nahm in einem winzigen Punkt ihren Anfang

Die Theorie, dass unsere Welt aus einem Urknall heraus entstanden ist, gilt inzwischen als ähnlich gut gesichert wie zum Beispiel die Theorien von der Evolution oder der Entstehung der Erde. Wir waren zwar nicht dabei und können daher nicht hundertprozentig sicher sein, aber alle Indizien – physikalische Modelle, komplexe Berechnungen und zahlreiche Beobachtungen, die Physiker und Astronominnen angestellt haben – deuten darauf hin.

Dazu zählt etwa die Tatsache, dass beinahe alle Galaxien von uns wegstreben, und zwar umso schneller, je weiter weg sie von uns sind. Das Universum expandiert also. Und sollte in grauer Vorzeit aus einem verdichteten Ursprung hervorgegangen sein. Man hat sogar die Restglut dieses Urknalls, die kosmische Hintergrundstrahlung, messen können. Entstanden bei jenem unvorstellbaren Ereignis vor rund 13,8 Milliarden Jahren, als alle Materie des Weltalls auf einen Punkt konzentriert war und dieses winzige, extrem dichte und heiße Körnchen dann mit einem Mal in alle Richtungen auseinanderstob – warum auch immer.

 

So unsinnig wie nördlich des Nordpols

Immer wieder wird Fachleuten die Frage gestellt, was denn vor diesem Urknall war. Und die übliche Antwort darauf lautet: Nichts! Der berühmte Astrophysiker Stephen Hawking schrieb dazu bereits 1988 in seinem Bestseller Eine kurze Geschichte der Zeit: „Nach der Zeit vor dem Urknall zu fragen, ist so unsinnig wie die Frage: Was ist nördlich vom Nordpol?“ Damit meint er, dass mit dem Urknall nicht nur der Raum überhaupt erst entstanden ist, sondern auch die Zeit. Ein „Vorher“ kann es deshalb nicht geben.

An dieser Stelle könnte man die Antwort auf diese Frage abschließen, und kein Wissenschaftler und keine Wissenschaftlerin würden entschieden widersprechen. Allerdings gibt es einige Ideen, die sozusagen Schlupflöcher in den gängigen Modellen von Raum und Zeit wie Einsteins Relativitätstheorie sehen. Diese lassen – zumindest theoretisch-mathematisch – doch ein „Vorher“ zu.

 

Urschwung statt Urknall

Denn der Urknalltheorie haftet ein Makel an: die Singularität. Dieser Anfang vom Anfang, ein ausdehnungsloser Punkt, in dem alle Masse und Raumzeit vereinigt waren – unendlich heiß, unendlich dicht, unendlich klein – ist mit herkömmlicher Physik nicht erklärbar. Und manche Theoretiker und Theoretikerinnen glauben daher auch: Es hat ihn nie gegeben. Stattdessen könnte unser Universum in einer Art Urschwung aus einem vorhergehenden Spiegeluniversum heraus entstanden sein, das in einem Endknall kollabierte, quasi durch ein Raumzeit-Nadelöhr schlüpfte, um sich sofort wieder auszudehnen. Wie ein Luftballon, der die Luft verliert, sich umstülpt und wieder aufbläht.

Es gibt alternative Theorien zur Allgemeinen Relativitätstheorie und zur Quantenmechanik wie die sogenannte Schleifen-Quantengravitation, auch „Loop-Theorie“ genannt. Sie beschreibt unser Universum nicht als Sammelsurium aus Elementarteilchen, sondern als winzige ringförmige Schleifen, die mit der Raumzeit verwoben sind wie Maschen zu einem Strickpullover. Oder die Stringtheorie, die davon ausgeht, dass unsere Welt vielmehr aus lauter winzigen Fäden aufgebaut ist und zehn statt vier Dimensionen hat. Diese Theorien würden rechnerisch ein solches auf links gedrehtes Universum zulassen – wir haben nur keinerlei klaren Beleg, dass sie tatsächlich zutreffen.

 

Probleme in den Urschwungmodellen

„Stattdessen haben tiefer gehende theoretische Untersuchungen der letzten Jahre Schwierigkeiten mit Urschwungmodellen gezeigt“, sagt der deutsche Astrophysiker Martin Bojowald von der Penn State University in den USA, der die Loop-Theorie einst im Team des indischstämmigen Amerikaners Abhay Ashtekar mit entwickelt hat. „Zum Beispiel verhält sich die Raumzeit bei extremer Dichte anders, als wir es kennen. Die Zeit verschwindet bzw. verhält sich plötzlich wie eine zusätzliche Raumdimension. Sie beginnt also erst bei niedrigerer Dichte wie im ursprünglichen Urknallmodell, aber nicht mit einer Singularität und unendlicher Dichte.“ 

Das alles klingt wahnsinnig theoretisch. Ist es auch. Am Ende hat vielleicht der deutsche Astronom und Wissenschaftsblogger Florian Freistetter recht, der auf die beliebte Frage antwortet: Selbst wenn es vor dem Urknall etwas gab, würde das die Frage ja nur verlagern, und man wollte dann wissen, was wiederum vor diesem Davor gewesen sei. „Denn wenn wir fragen ‚Was war vor dem Urknall?‘ meinen wir ja meistens: ‚Wie ist ALLES entstanden? Warum existiert etwas und nicht nichts?“

Die ebenfalls beliebte und genauso schlecht belegbare „Multiversum-Theorie“ geht davon aus, dass unser Universum sogar nur eines von unzähligen ist in einer Art Badeschaum aus Universen, die ständig kommen und gehen.

Das alles ist und bleibt Spekulation. Also vielleicht doch lieber die einfache Antwort: Vor dem Urknall war – nichts.

 

In diesem Video aus der Reihe Terra X erklärt Astrophysiker Harald Lesch sehr anschaulich die gängige Antwort auf die Frage