Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Sicherheit

Wie kann cradle2cradle im großen Stil funktionieren?

05.01.2023
Kurz und knapp

„From Cradle to Cradle“ (C2C) bedeutet so viel wie von der Wiege bis zur Wiege. Oder auch: Vom Ursprung zum Ursprung. Was an einem Ort beginnt, endet am selben Ort. Der Begriff beschreibt ein Produktionssystem, in dem Abfälle zu Rohstoffen werden und kein Müll die Umwelt verschmutzt. Das klingt nach Utopie, doch Fachleute raten, mehr in C2C zu investieren. Schon heute sind zahlreichekreislauffähige Produkte auf dem Markt – es könnten aber noch viel mehr sein, wenn die Weichen entsprechend gestellt werden.

Innovation bringt C2C voran

Kompostierbare T-Shirts, Schalter und Steckdosen, die vollständig recycelt werden, Putzmittel- und Shampoo-Flaschen, aus denen sich, wenn sie leer sind, neue herstellen lassen – einige hundert Produkte wurden bereits nach den Kriterien von Cradle to Cradle (C2C) auf den Markt gebracht. Sie lassen sich entweder in einem biologischen oder einem technischen Materialkreislauf verarbeiten. Die biologischen Materialien sind dabei vollständig ungiftig und gehören nach der Nutzung auf den Kompost. Technische Materialien hingegen sind so konzipiert, dass sie sich bei einem Maximum an Qualitätserhalt wiederverwerten lassen.

Es liegt auf der Hand, dass wir mehr kreislauffähige Gebrauchsgüter benötigen, damit Cradle to Cradle in der Breite gelingt. Der Chemiker Michael Braungart, der den Begriff mitgeprägt hat, sieht deshalb vor allem die Wirtschaft in der Pflicht, für entsprechende Innovationen zu sorgen. Sie müsse beispielsweise Reifen, Schuhsohlen und Bremsbeläge fertigen, die vollständig biologisch abbaubar sind. Das würde die Umwelt schützen: Bisher ist ein großer Anteil des weltweiten Mikroplastiks auf den Verschleiß von Autoreifen zurückzuführen. Darüber hinaus bräuchten wir Waschmaschinen und Fernseher, die bis zum kleinsten Bauteil in technische Systeme zurückgeführt werden können, wie Braungart im Interview mit dem Schleswig-Holsteinischem Zeitungsverlag erklärt.

 

Die öffentliche Beschaffung als Hebel

Doch auch die öffentliche Hand, also der Bund, Kommunen, Industrie- und Handelskammern, Universitäten und der öffentliche Rundfunk können dazu beitragen, dass C2C im größeren Stil funktioniert. Die Unternehmensberatung McKinsey & Company hat im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ausgerechnet, dass allein staatliche Stellen in Europa 16 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der EU für die Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen ausgeben. Würden sie beim Einkauf C2C-Produkte bevorzugen, wäre das ein großer Ansporn für Unternehmen, mehr kreislauffähige Produkte zu entwickeln. Sie könnten davon ausgehen, für ihre Waren Abnehmer zu finden.

Ein anderes Mittel für mehr C2C lautet: Weg vom Kaufen, hin zu mehr Dienstleistung. Diese Entwicklung könnte gelingen, wenn zum Beispiel Hersteller von Elektrogeräten als eine Art Bank fungieren, bei der Verbraucher und Verbraucherinnen Nutzungsstunden für die Apparate, aber nicht die Apparate selbst erwerben. Für ein solches System spricht sich zum Beispiel EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gegenüber der Zeitung Die Zeit aus: „Solange eine Waschmaschine gekauft wird, gibt es ein Interesse daran, dass sie nach einer Weile kaputt geht und billig entsorgt wird. Wenn sie aber vom Hersteller als eine Art Dienstleistung zur Verfügung gestellt wird, hat er selbst das größte Interesse daran, dass die Waschmaschine möglichst lange hält.“

 

Der Wandel beginnt im Kopf

Eine grundlegende Voraussetzung für eine konsequente Kreislaufwirtschaft ist wohl eine Veränderung in den Köpfen. Nicht mehr der direkte Nutzen eines Produkts und der Profit eines Unternehmens, das dieses Produkt herstellt, sollten im Mittelpunkt stehen. Stattdessen muss die Frage in den Fokus rücken, wie Rohstoffe nach der Nutzung verwertet werden. Wir brauchen ein Denken in Kreisläufen. Oder anders: Wir müssen uns an der Natur ein Beispiel nehmen. Außer uns produziert kein Lebewesen Müll. Rest- und Abfallstoffe sind dort immer nützlich.

 

Eckart von Hirschhausen interviewt Michael Braungart im Rahmen des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2021.

 

 

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