Wie können strukturelle Veränderungen dazu beitragen,
dass Frauen nicht in Altersarmut geraten?

20.12.2022
Kurz und knapp

Frauen sind wesentlich häufiger von Altersarmut betroffen als Männer. Einflussfaktoren sind eine mangelnde finanzielle Bildung und die ungleiche Verteilung von Sorgearbeit.

Diese Frage aus dem IdeenLauf wurde von unserem Partner #InnovativeFrauen beantwortet. Mehr Informationen zu den Partnern des Wissenschaftsjahres 2022 finden Sie hier.

Sowohl Finanz- als auch Gleichstellungswissen ist in der Bevölkerung ungleich verteilt. Deutschland war viele Jahre lang eines der wenigen OECD-Länder, das keine institutionalisierte finanzielle Bildung verfolgte. Inzwischen sind wir auf einem guten Weg, vor kurzem hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung bekannt gegeben, eine nationale Strategie zur ökonomischen Bildung aufzulegen. Die finanzielle Bildung als wichtiger Bestandteil der ökonomischen Bildung sollte hiervon auch profitieren. Bisher ist es vom Elternhaus und engagierten Lehrkräften abhängig, ob junge Menschen mit finanzieller Bildung – oder auch den vermögensrechtlichen Folgen der Eheschließung in Berührung kommen. Eine allgemeine Vermittlung von Gleichstellungswissen und Finanzbildung, besser noch sozioökonomischer Bildung, die alltagsorientiert vermittelt wird und zum kritischen Denken befähigt, ist sehr zu begrüßen.

In Bezug auf die finanziellen Folgen von Mutterschaft werden soziale Normen und traditionelle Rollenzuschreibungen diskutiert, die es Frauen erschweren, ihre Erwerbsbiografien aufrecht zu erhalten. Ein besonderer Blick muss auch auf steuer- und sozialversicherungsrechtliche Fehlanreize gelegt werden. Wenn wir strukturelle Fehlanreize auseinanderdividieren, sehen wir beim Ehegattensplitting und insbesondere der Steuerklasse V einen negativen Erwerbsanreiz für Frauen. Die Bundesregierung hat mit der Steuerklassenkombination IV/IV mit Faktor eine partnerschaftliche und gerechte Steuerklassenwahl geschaffen. Doch sie ist zu wenig bekannt.

 

Existenzielle Risiken von Mutterschaft beseitigen

Ein bedeutender Ansatzpunkt zur Verbesserung der ökonomischen Situation von Frauen und damit auch zur Vermeidung von Altersarmut ist die Verteilung der unbezahlten Arbeit, von der Frauen, vor allem Mütter, den Großteil übernehmen. Diese Zeit fehlt ihnen für die Erwerbsarbeit. Je weniger Lebenserwerbseinkommen wir erzielen, desto geringer sind unsere Rentenansprüche. Mutterschaft ist nach wie vor ein besonderes biografisches Risiko für Frauen. Wir müssen weiterhin auf eine Veränderung der Rollenbilder hinwirken und Anreize schaffen, damit Väter mehr Sorgearbeit in Familien übernehmen. Zwar würde gern jeder zweite Vater die Hälfte der Kinderbetreuung übernehmen, aber nur knapp sieben Prozent der Väter mit Kindern unter sechs Jahren sind teilzeitbeschäftigt. Vor dem Hintergrund der hohen Mieten und Preissteigerungen können allerdings die wenigsten Familien auf Einkommen verzichten, etwa wenn auch Väter vermehrt in Teilzeit arbeiten. Eine Lösung wäre eine reduzierte Wochenarbeitszeit für Personen mit Fürsorgeaufgaben. Zum Beispiel eine 32-Stunden Woche für Eltern. Die Familienarbeitszeit könnte die existenziellen Risiken von Mutterschaft für Frauen abmildern, wenn sie mehr bezahlte Arbeit und weniger unbezahlte Arbeit verrichten. Das entgangene Einkommen zur regulären Vollzeit könnte durch ein Familiengeld teilweise kompensiert werden. Dabei würden allerdings negative Auswirkungen auf die Ansprüche aus der Sozialversicherung wie vermindertes Arbeitslosengeld und verminderte Rentenansprüche nicht ausgeglichen. Ein weiterer Vorschlag ist es, Eltern und andere Fürsorgeleistende gezielt bei den Beiträgen zur Sozialversicherung zu entlasten. Bisher wird die Erziehung von Kindern lediglich in der Pflegeversicherung als beitragsmindernd berücksichtigt.

 

Pflegeverantwortung besser absichern

Auch im Bereich Pflege übernehmen Frauen mehr Fürsorgeaufgaben. Immerhin ist die Pflegeverantwortung in der Rentenversicherung inzwischen besser abgesichert. Beispielsweise wurden die Demenzerkrankungen erst im Jahr 2016 in einer Pflegereform in den Leistungskatalog aufgenommen. Zuvor hatten Erkrankte keinen Anspruch auf Leistungen der Pflegekasse. Somit gingen auch die pflegenden Angehörigen leer aus und erhielten keine Rentenbeiträge der Pflegekasse für ihre Betreuungsleistungen. Auch bei einer stationären Unterbringung im Pflegeheim entfallen die Rentenansprüche, weil keine direkten Pflegeleistungen mehr erbracht werden. Je nach Schwere der Erkrankung kann der tatkräftige Einsatz von Angehörigen dennoch weiterhin erforderlich sein, insbesondere vor dem Hintergrund des sich zuspitzenden Pflegenotstands im Pflegesektor.

 

Elterndiskriminierung am Arbeitsplatz bekämpfen

Und nicht zuletzt müssen die Weichen für Wiedereinsteigerinnen gut gestellt werden. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat im Mai 2022 erschreckende Zahlen zur Elterndiskriminierung veröffentlicht. Fast zwei Drittel der Mütter machten nach der Rückkehr aus der Elternzeit schlechte Erfahrungen mit ihren Arbeitgebern. Das reicht von mangelnder Familienfreundlichkeit über Gehaltseinbußen bis hin zum Verantwortungsentzug. Die Unternehmen und Organisationen kommen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht in ausreichendem Maß nach. Politik muss Familien besser schützen und strukturelle Diskriminierung am Arbeitsmarkt bekämpfen.

 

Infotext zur Autorin

Die Soziologin Dr. Birgit Happel setzt sich als Referentin, Trainerin und Finanzcoach für finanzielle Gleichstellung und finanzielle Bildung ein. Im Vorstand des Präventionsnetzwerks Finanzkompetenz, als Mitglied von UN Women und als Partnerorganisation der Initiative Klischeefrei liegt ihr die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen am Herzen.

Link zum Profil von Dr. Birgit Happel auf der Plattform #InnovativeFrauen

 

Über die Plattform #InnovativeFrauen

Die Plattform #InnovativeFrauen macht innovative Frauen in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft sichtbar. Kernstück der Plattform ist eine Expertinnen-Datenbank, in die sich exzellente Wissenschaftlerinnen, Forscherinnen und Leistungsträgerinnen sowie junge, aufstrebende Innovatorinnen eintragen können. Die Plattform #InnovativeFrauen ist im Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V. angesiedelt und wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Förderrichtlinie „Frauen in Wissenschaft, Forschung und Innovation: Leistungen und Potenziale sichtbar machen, Sichtbarkeit strukturell verankern“ („Innovative Frauen im Fokus“) unter dem Förderkennzeichen 01FP21070 gefördert.

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