Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Sicherheit

Wie sieht unsere Gesellschaft in 1000 Jahren aus?

14.11.2022
Kurz und knapp

Cyborgs, die 300 Jahre lang leben? Kolonien auf Jupiter-Monden? Oder ein Neustart der Zivilisation in abgelegenen Höhlen? Auf die Frage, wie unsere Gesellschaft in 1000 Jahren aussehen wird, gibt es keine seriöse Antwort, dazu ist der zu überschauende Zeitraum zu groß. Dennoch ist es gut, eine Vision von der Zukunft zu haben.

1000 Jahre sind eine lange Zeit

Wie soll man 1000 Jahre in die Zukunft schauen? Blicken wir, um einen Eindruck von der Aufgabe zu bekommen, einmal 1000 Jahre zurück in die Vergangenheit: In Europa leben fast alle Menschen auf dem Land. Die bedeutendsten Städte sind Konstantinopel, das heutige Istanbul, und das spanische Córdoba, damals Hauptstadt des Kalifats al-Andalus. Die Wikinger ziehen auf Eroberungszügen durch Europa – und entdecken Amerika. In China und Mexiko bestehen mächtige Reiche und riesige Städte. Die Erde gilt als Mittelpunkt des Universums.

Hätten die Menschen damals eine Chance gehabt, sich das Leben von heute vorzustellen? Eher nicht. Zudem verläuft der Wandel im Zeitalter von Gentechnik, Informatik, Nanotechnik und Materialforschung heute noch viel schneller und grundlegender als in den letzten 1000 Jahren. Nicht einmal sehr allgemeine Aussagen der Art „Der Mensch wird sich physisch in 1000 Jahren nicht wesentlich verändern“, haben Aussicht auf Bestand.

 

Eine Nummer kleiner

Versuchen wir es also eine Nummer kleiner: Wie sieht unsere Gesellschaft in hundert Jahren aus? Diese Frage wurde schon oft behandelt. 1910 etwa erschien ein Sammelband mit dem Titel „Die Welt in hundert Jahren“. Darin beschrieben Künstler und Wissenschaftler die Welt im Jahre 2010: Krankheiten sind besiegt, neue Energiequellen gefunden, der Weltfrieden gesichert, das Verhältnis der Geschlechter harmonisch, die Arbeitszeit gering. Futuristische Zeichnungen modernster Städte, fliegender Häuser und von Menschen, die winzige Telefone auf dem Schoß halten, die vibrieren, wenn jemand anruft, illustrieren den Band, eine aufgehende Sonne ziert den Kopf jeder Seite. Es ist ein Manifest des Optimismus. Manches, etwa die kleinen Telefone, ist erstaunlich gut erahnt, anderes, etwa der Sieg über die meisten Krankheiten, war zu optimistisch. Wieder anderes, etwa das Internet, kommen gar nicht vor.

Gut hundert Jahre später bat der Journalist Ernst A. Grandits Experten, sich die Welt im Jahre 2112 vorzustellen. Der neue Band fiel deutlich skeptischer aus. Die Autoren sagen den ein oder anderen Fortschritt voraus, aber auch Dauerkriege, mit denen der reiche Norden die Menschen des armen Südens fernzuhalten versucht. Oder eine Phase des Zusammenbruchs der Zivilisationen und eine Zukunft, in der eine Minderheit gut lebt, der große Rest hingegen fast nichts von den verbliebenen Ressourcen bekommt. Die sparsamen Illustrationen des Bandes zeigen Fraktale und verschwommene Fotografien.

So sagen die beiden Bände vor allem etwas über die Stimmung der Zeit aus, in der sie verfasst wurden. Heute würde eine Prognose vielleicht noch düsterer ausfallen. Utopien, also positive Zukunftsvorstellungen, kommen allenfalls noch von den großen Techno-Konzernen. Schriftstellerinnen und Schriftsteller sehen dagegen eher Dystopien, negative Zukünfte aufziehen, geprägt vom Klimawandel und den von ihm ausgelösten oder verstärkten Konflikten um Wasser, Nahrungsmittel und brauchbares Ackerland. Die Erosion der ohnehin fragilen internationalen Ordnung, die Konkurrenz von demokratischen und autoritären Systemen und das Unterlaufen politischer Regulierung durch große Konzerne werden zu den großen Linien gehören, die die nächsten Jahre prägen werden.

Man kann nur spekulieren, ob es in näherer Zukunft zu einer ganz großen Krise kommen wird, gar zum Ende der Menschheit oder einem Neuanfang weniger Überlebender, die diese Krise in tausend Jahren schon wieder nur noch aus fernen Geschichten kennen. Oder ob wir doch noch „die Kurve kriegen“ und in gemeinsamer Anstrengung eine bescheidenere aber lebenswerte Zukunft aufbauen.

 

Möglichkeiten denken üben

Dennoch ist die Frage nach der fernen Zukunft nicht sinnlos, denn man stellt Fragen nicht nur, um richtige Antworten zu bekommen, sondern, um über mögliche Antworten nachzudenken, „Möglichkeitsdenken“ nennt dies der Literaturwissenschaftler Wilhelm Voßkamp.

Zukunftsentwürfe sind keine Handlungsanweisungen, es sind Orientierungspunkte, die helfen, nicht in der Gegenwart verhaftet zu bleiben, und die Richtung nicht aus dem Blick zu verlieren, in die man gehen möchte. So können sie den Traum von einer besseren Welt wachhalten. Zu weit in die Zukunft gedacht, verlieren sie allerdings ihre motivierende Kraft. Also schauen wir statt tausend vielleicht lieber hundert Jahre nach vorn und malen uns aus, wie schön die Welt sein könnte: mit einer freien und friedlichen Weltordnung, grünen Städten, neuen Formen der Energie- und Nahrungsmittelerzeugung, neuen Formen von Demokratie, einem neuen Gesellschaftsvertrag – und was wir heute dafür tun müssen.

 

Hier finden Sie eine ZDF-Dokumentation zum Leben vor 1000 Jahren.

Website der Stiftung Zukunftsfähigkeit „Futurzwei“

Festival „Tage der Utopie“

Vortrag von Prof. Wilhelm Voßkamp: „Möglichkeitsdenken: Utopien und Dystopien der Gegenwart"