Gesundes Leben, Medizin, Pflege

Wie weit ist die Forschung bezüglich eines Impfstoffs gegen HIV?

23.08.2022
Kurz und knapp

Rund 40 Jahre sind seit der Entdeckung des Humanen Immundefizienz-Virus (HIV) vergangen – und noch immer kann die Impfstoff-Forschung keinen Durchbruch feiern. Denn die Sache ist hoch kompliziert und bisherige Impfstoffkandidaten führten nur zu einem unzureichenden Schutz. Aktuell setzen Forschende auf Mosaikimpfstoffe und die mRNA-Technologie – mit welchem Erfolg, muss sich noch zeigen.

Fehlerhaft und variantenreich

Eine Infektion mit dem Humanen Immundefizienzvirus (HIV) löst – unbehandelt – die Immunschwäche-Erkrankung AIDS aus. 1983 hatten französische und US-amerikanische Forschende das Virus unabhängig voneinander entdeckt. Damals waren Expertinnen und Experten weltweit überzeugt, dass es schnell gelingen würde, einen Impfstoff gegen HIV zu finden – eine Hoffnung, die sich bis heute nicht erfüllt hat. Denn die Sache ist höchst kompliziert, weil sich das Virus schnell verändert und zudem vor der Immunantwort versteckt und diese sogar aushebelt.

Dass Viren schnell mutieren, ist spätestens seit der Covid-Pandemie allgemein bekannt. Doch das HI-Virus verändert sich sehr viel schneller als etwa das Corona-Virus. Das liegt unter anderem an einem viruseigenen Enzym namens Reverse Transkriptase. Es schreibt das RNA-Genom des Virus in DNA um, damit sich diese in das Erbgut der infizierten Zelle integrieren kann. Die Reverse-Transkriptase arbeitet jedoch äußerst fehlerhaft. Zusammen mit weiteren Mechanismen führt dies dazu, dass HIV die höchste Mutationsrate besitzt, die man bislang kennt.

Weltweit existieren daher viele verschiedene Subtypen und Varianten, die sich zum Teil stark voneinander unterscheiden. Einen Impfstoff zu entwickeln, der sich zumindest gegen einen Großteil dieser Virusvarianten richtet, ist extrem schwierig.

Wenig Angriffsfläche und eingeschränkte Immunantwort

Ohnehin bietet HIV vergleichsweise wenig Angriffsfläche. Während das Corona-Virus exponierte „Spikes“ besitzt, trägt das HI-Virus eher Noppen in seiner Hülle, die ansonsten vorwiegend aus körpereigener Zellmembran besteht. Zudem haben die Noppen einen hohen Zuckeranteil. Die möglichen Angriffspunkte für das Immunsystem liegen dadurch unter einer zuckerwatteähnlichen Schicht verborgen und werden nur kurz freigegeben, damit das Virus an die Wirtszelle andocken kann. Es ist für das Abwehrsystem und seine Antikörper also äußerst schwierig, hier anzugreifen und eine wirksame und langlebige Immunantwort zu bilden.

Doch damit nicht genug: Das HI-Virus befällt vorwiegend Zellen des Immunsystems, die normalerweise bei der Virusabwehr als eine Art Kommandozentrale agieren. Es hindert diese Immunzellen daran, Botenstoffe an andere Mitspieler der Abwehr zu senden und hebelt so die Immunantwort aus. Mit der Zeit, wenn die Infektionfortschreitet und die Immunschwäche Aids entsteht, gehen diese Immunzellen mehr und mehr zugrunde.

Die Ausgangssituation ist also mehr als kompliziert. Wenige Impfstoffansätze waren bislang so vielversprechend, dass überhaupt Effektivitätsstudien zu ihnen durchgeführt wurden – also jene Phase der klinischen Testung, in der Forschende menschlichen Probanden mit einem hohen Infektionsrisiko ihre Impfstoffkandidaten verabreichen. Die Ergebnisse waren immer wieder ernüchternd, die Schutzwirkung zu gering. Erst 2021 wurde eine Effektivitätsstudie vorzeitig abgebrochen: Die Schutzwirkung lag bei nur rund 25 Prozent. Zur Einordnung: Fachleute sehen eine Schutzwirkung von 60 bis 70 Prozent als Erfolg an. Ein hundertprozentiger Schutz gilt als nicht realistisch.

Mosaik, mRNA und Safer Sex

Aktuell befindet sich in der so genannten MOSAICO-Studie ein Impfstoff in der Erprobung, bei dem ein Adenovirus Erbinformation für HIV-Proteine verschiedener Subtypen in menschliche Zellen einschleust. Diese stellen dann die entsprechenden Proteine her, was eine Immunantwort auslösen sollte – ein Prinzip, auf dem auch die Vektor-basierten Impfstoffe gegen SARS-CoV2 beruhen (die Impfstoffe von AstraZeneca sowie Johnson&Johnson). Eine Besonderheit: Die MOSAICO-Studie setzt auf Booster-Impfungen, die zudem die Information für Proteine weiterer Virusvarianten enthalten. Dies könne man sich wie ein Mosaikbild vorstellen, erklärt der HIV-Forscher Hendrik Streeck von der Universität Bonn gegenüber Spektrum der Wissenschaft. „Es wurden alle bekannten HI-Virentypen genommen und ein neues Virusprotein daraus gebastelt.“ Die Studie läuft noch bis 2024, erste Ergebnisse werden 2023 erwartet.

Aktuell steht außerdem die mRNA-Technologie, die ja bei Covid-19 große Erfolge feierte, auch im Zentrum der HIV-Impfstoffforschung. So testet der Hersteller Moderna derzeit einen mRNA-Impfstoff, der die Bauanleitung für Bestandteile des viralen Hüllproteins enthält. In der ersten Impfdosis fehlen dabei einige der störenden Zuckeranhänge, die dem Immunsystem die Angriffspunkte verdecken, während die zweite Impfdosis eine Bauanleitung mit sämtlichen Zuckeranhängen enthält. Das, so die Hoffnung, soll eine effektivere Immunantwort auslösen. Bei Affen führte diese Herangehensweise zu einem um 70 reduzierten Ansteckungsrisiko. Aktuell wird ein erster mRNA-Impfstoff in einer klinischen Studie der Phase I bei Menschen getestet. Zunächst geht es dabei darum, die Sicherheit des Impfstoffs zu prüfen und ob sich eine vielversprechende Immunantwort anregen lässt.

Bislang bleiben zum Schutz vor einer HIV-Infektion vor allem Maßnahmen wie Safer Sex. Für Menschen mit erhöhtem Infektionsrisiko existiert zudem die so genannte Präexpositionsprophylaxe (PrEP). Dabei soll ein vorsorglich eingenommenes Medikament aus der HIV-Therapie das Infektionsrisiko reduzieren. Diese Methode gilt als ähnlich sicher wie der Gebrauch von Kondomen.