Gesundes Leben, Medizin, Pflege

Wieso gibt es bis heute keine Pille für den Mann?

10.01.2023
Kurz und knapp

Die wirtschaftlichen und psychologischen Hemmnisse für eine kommerzielle Pille für den Mann sind groß. Denn die Hormonfabrikanten gewinnen keinen neuen Kunden, wenn in festen Beziehungen statt der Frau künftig der Mann hormonell verhütet. Noch dazu glauben Verantwortliche offenbar, dass viele Männer nicht bereit sind, auf einen zentralen Aspekt ihrer Männlichkeit zu verzichten, Verantwortung zu übernehmen, die Partnerin vor der Empfängnis zu schützen und die Nebenwirkungen für sich in Kauf zu nehmen.

 

Ein medizinischer Klacks

Bis heute gibt es keine Pille für den Mann, und Anläufe, ein solches Verhütungsmittel zu entwickeln, scheiterten oder ziehen sich immer noch hin. Derweil vermarkten Pharmafabriken mittlerweile schon die Pillen der zweiten Generation für die Frau. Wieso gibt es für Frauen so viel hormonelle Verhütungsmittel und für den Mann nicht eines?

Die Gründe für dieses Genderungleichgewicht sind nicht medizinischer Natur. Es gibt längst Hormone, um die Spermienproduktion so weit zu unterdrücken, dass die Eizelle nicht befruchtet wird. Ein Testosteron in Kombination mit einem Gestagen genügt, wie in der Forschung hinlänglich bekannt ist. Wissenschaftlich ist das Thema abgeschlossen, urteilt deshalb Michael Zitzmann vom Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie des Universitätsklinikums Münster.

Er verfolgt die Entwicklungen seit Jahrzehnten und betreute auch eine groß angelegte Studie der WHO mit einer Verhütungsspritze aus der Hormonkombination. Schering entwickelte das Mittel; Bayer kaufte das Unternehmen auf und stieß das Mittel aus dem Entwicklungsportfolio, überließ es aber der Weltgesundheitsorganisation zur Testung. Doch im Laufe dieser Studie traten Nebenwirkungen der Hormonspritze auf: Einige Männer bekamen Depressionen. Andere stellten eine Veränderung ihrer Libido fest.

 

Sind Nebenwirkungen für Männer eine Zumutung?

„Wir Frauen lachen über solche Nebenwirkungen nur“, sagt die Frauenärztin Claudia Schumann-Doermer in Northeim. „Schließlich müssen Pillen-Anwenderinnen seit Jahren mit vergleichbaren Nebenwirkungen leben.“ Etwa ging aus dänischen Bevölkerungsdaten an einer halben Million Frauen hervor, dass nicht nur Depressionen, sondern auch Suizide etwas häufiger auftreten, wenn Frauen hormonell verhüten. Das veranlasste die Arzneibehörde hierzulande dazu, seit 2018 einen Warnhinweis in der Packungsbeilage zu verlangen. Und auch Libidoveränderungen, hin zu weniger oder auch zu mehr Lust, sind dokumentiert.

Und dennoch veranlassten vergleichbare Nebenwirkungen bei Männern die WHO dazu, das Projekt zu stoppen. Mit Folgen: Seither ist es noch schwerer als zuvor, Kapitalgeber und die Pharmaindustrie zu überzeugen, in die Verhütung für den Mann zu investieren.

 

Verhütung nicht mehr nur Frauensache

Tradierte Widerstände spielen eine große Rolle: Unbewusst schließt Männlichkeit oft die Zeugungsfähigkeit mit ein und ist damit Teil der männlichen Identität. Kastriert waren in der Historie Eunuchen und Kastratensänger. Und indem die Empfängnisverhütung an die Empfangende, die Frau, delegiert wird, kann Mann ohne körperliche Folgen freizügig leben. Das fügt sich in ein überkommenes, aber immer noch vorhandenes Geschlechterverständnis ein, wonach Männer immer Lust haben sollen und ihnen Sexualität eher zugestanden wird als einer Frau.

Und doch zeigen Befragungen, dass Männer über diese Geschlechterstereotypen längst hinausgewachsen sind – Frauen sowieso. Eine Mehrzahl wäre auch in festen Beziehungen bereit, hormonell zu verhüten, wenn es ein Mittel gäbe. Und Frauen in stabilen Partnerschaften würden ihnen auch vertrauen, besagen diese Umfragen.

 

Aussichtsreiches Hormongel

Unterdessen halten die Bemühungen einzelner Organisationen und Forschenden an, ein Verhütungsmittel für den Mann auf den Markt zu bringen. Für besonders aussichtsreich hält Zitzmann etwa das Verhütungsgel des US-amerikanischen Forschungsförderzentrum „National Institute of Child Health und Human Development“. Das Hormongel, das sich Männer einmal täglich auf die Schulter auftragen müssen, habe bisher bei 420 Paaren weltweit wirksam jede Schwangerschaft verhindert. Es ist viel komfortabler anzuwenden als eine Spritze. Auch das spielt für die Akzeptanz eine große Rolle.

Doch um ein Medikament zur Marktreife zu führen, braucht es einen finanzstarken Investor. Das sind üblicherweise die großen Pharmaunternehmen. Und die haben kaum Interesse.

 

Kundenmangel

Das Problem: Warum sollte ein Unternehmen Millionen in ein Medikament investieren, mit dem es sich nicht etwa neue Kundschaft erschließt, sondern einfach nur bestehende Kundschaft auf mehrere Produkte aufteilt? Denn in festen Partnerschaften verhüten Frauen überwiegend derzeit mit der Anti-Babypille. Wenn Sie die Tablette absetzt und Er sich dafür seine Schulter cremt, hat ein Hersteller wenig gewonnen. Zudem dürfte das Verhütungsmittel für Männer mit wechselnden sexuellen Kontakten weniger interessant sein, da die Nebenwirkungen dann schwerer wiegen als der sporadische Nutzen bei gelegentlichem Sex. Aus demselben Grund nehmen Single-Frauen seltener die Pille. Auch für die Partnerin in einer flüchtigen Beziehung ist ein Mann, der sich angeblich die Schulter gecremt hat, womöglich nicht ausreichend vertrauenserweckend, zumal sie davon nichts sehen kann. Vertrauensvoller ist hier das Kondom, das man sehen kann und zudem vor Geschlechtskrankheiten schützt.

Wer eine Pille für den Mann gegen alle Widerstände realisierenmöchte, muss sich zu guter Letzt auch noch Argumente gegenüber den Zulassungsbehörden überlegen, denn in diesem Fall muss sich eine Person unfruchtbar machen, um eine andere vor der Empfängnis zu schützen. Ein regulatorisches Novum. Allerdings auch nicht unlösbar, denn sonst gäbe es die Sterilisation nicht.

Unterm Strich ist die Entwicklung einer Pille für den Mann ein Unterfangen mit Risiken und ohne großen Gewinn. Beides ist in der Wirtschaft unbeliebt.

 

Ein Fachartikel zu den Entwicklungen einer Hormonpille für den Mann gibt es hier.