Kultur, Wissen, Bildung

Wieso lernen Erwachsene langsamer Sprachen als Jugendliche?

04.01.2023
Kurz und knapp

Viele Menschen drücken im Erwachsenenalter wieder die Schulbank. Zum Beispiel, weil es in einer globalisierten Welt wichtig ist, Englisch oder auch Spanisch oder Chinesisch zu sprechen. Und manchmal tun sich ältere Lernende so richtig schwer. Es heißt in Sachen Sprachenlernen ja auch häufig: Lieber früher als später. Doch die Forschung zeigt, dass es meist nicht das Alter an sich ist, das den Spracherwerb erschwert.

Äußere Faktoren bestimmen die Schnelligkeit des Spracherwerbs

Allen Erwachsenen, die den Eindruck haben, eine Fremdsprache langsamer zu erlernen als ihre Kinder im Teenager-Alter, sei gesagt: Es ist nicht so, dass das Gedächtnis Vierzig- oder Fünfzigjähriger deutlich schlechter funktioniert. Stattdessen beeinträchtigen vor allem äußere Faktoren den Lernerfolg. Vorneweg die geringere Menge des fremdsprachlichen Inputs. „An Erwachsene gerichtete Fremdsprachenkurse zum Beispiel an Volkshochschulen haben im Vergleich zum Fremdsprachenunterricht an der Schule meistens einen geringeren Umfang und werden typischerweise über kürzere Zeitspannen belegt,“ sagt Sarah Schimke, Linguistin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dies gilt umso mehr, wenn eine zweite Sprache in einem Migrationskontext erworben wird. Während Jugendliche die zu erlernende Sprache einen großen Teil des Tages in der Schule hören und sprechen, haben erwachsene Migrantinnen und Migranten häufig weniger intensiven Kontakt zur Umgebungssprache, und dafür häufig engen Kontakt zur Herkunftssprache. „Darüber hinaus ist bei Jugendlichen der Wunsch, sich an die neue Umgebung anzupassen, oft besonders groß. Das fördert die Motivation für den Spracherwerb und somit den Erfolg“, erläutert die Wissenschaftlerin.

 

Altersbedingte Lernstrategien spielen eine Rolle

Neben der Menge des Inputs, dem Grad der Eingebundenheit in einer Sprachgemeinschaft und der Motivation nennt Schimke noch weitere mehr oder minder altersspezifische Faktoren, die beeinflussen, wie schnell sich Menschen Fremdsprachen aneignen. Auffallend: „Mal sind jugendliche, mal erwachsene Lerner im Vorteil“, erläutert die Expertin. „Wir unterscheiden beispielsweise zwischen implizitem und explizitem Lernen.“ Besonders Migranten und Migrantinnen im Kindesalter, aber auch noch Jugendliche eignen sich etwa die deutsche Adjektivflexion implizit an. Sie lernen, dass es „der kleine Junge“ heißt, aber „ein kleiner Junge“. Sie speichern die drei Worte jeweils eher als Einheit ab.

Ältere Lernende hingegen machen sich öfter bewusst, dass sich Adjektive je nach Genus, Kasus und Numerus und nach dem vorangegangenen Artikel verändern. „Für die tatsächliche Anwendung beim Sprechen und Verstehen ist dieses System aber zu komplex, wenn es nur explizit durchdrungen wurde, aber nicht Teil des impliziten sprachlichen Wissens ist“, so Schimke. Auf das Beispiel bezogen bringt also implizites Lernen Vorteile mit sich, explizites hingegen führt eher zu Fehlern. Ein Pluspunkt für Jugendliche und ein Minuspunkt für Erwachsene.

 

Auch Erwachsene genießen Vorteile

Doch wer Grammatik büffelt, kann manchmal auch besonders schnell einen Lernerfolg verbuchen. Nämlich dann, wenn es um regelmäßige Systeme geht, wie die Verbstellung im Deutschen. Dabei wären dann eher Erwachsene im Vorteil.

Ein weiterer Faktor, der unter Umständen ältere Lernende begünstigt, ist das sogenannte „entrenchment“, die Verwurzelung der zuerst gelernten Sprache. Das Wissen aus der Erstsprache kann hilfreich sein, etwa beim Erlernen einer Sprache, die der eigenen stark ähnelt. So lernen Italiener und Italienerinnen wohl mitunter Spanisch als Erwachsene besonders schnell, denn dann gelingt der Transfer der eingeschliffenen Routinen aus der Erstsprache sehr gut. Andererseits erschwert das „entrenchment“ das Umschalten. So mag ein anderer Satzbau in einer Fremdsprache, die der eigenen nicht ähnelt, für Erwachsene eine größere Hürde darstellen als für Jugendliche, die eventuell noch flexibler sind.

Beim Spracherwerb spielt also der Kontext eine große Rolle. „Mit dem Alter kommen meist einige Faktoren zusammen, die das Sprachenlernen erschweren“, fasst Linguistin Schimke zusammen. Dass Erwachsene aber in jeder Hinsicht schlechter oder langsamer Sprachen lernen, sei ein Mythos.

 

Ein spannender Vergleich: Ein 47-Jähriger und ein 17-Jähriger lernen unter gleichen Bedingungen Chinesisch.

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46 JahreBerlin26.02.2022