Kultur, Wissen, Bildung

Wieso werden wir durch
Musik traurig?

05.01.2023
Kurz und knapp

Macht uns Musik traurig oder hören wir traurige Musik, weil wir bereits traurig sind? Wieso geht es den meisten besser, wenn sie traurige Musik hören, anderen nicht? Wie Studien zeigen, hilft Empathie dabei, traurige Musik zu genießen – aber nur, wenn wir auch eine Distanz dazu aufbauen können. Erinnerungen spielen in jedem Fall eine große Rolle.

Die Rolle der Hormone

Wenn wir durch Musik in eine traurige Stimmung geraten, liegt das meist daran, dass traurig-melancholische Melodien nostalgische Erinnerungen in uns wecken. Die können schön sein, aber auch schmerzlich. Die Hormone Prolaktin und Serotonin, die dafür sorgen, dass es uns besser geht, wenn wir geweint haben, treten auch bei einer durch Musik beförderten Traurigkeit auf den Plan. Traurigkeit und Glückshormone – dieses Wechselbad der Gefühle – erzeugt oft eine regelrechte „Lust, traurig zu sein“, wie der Schriftsteller Victor Hugo einst die Melancholie definierte.

Wenn Musik von traurigen Texten begleitet wird und wir darin etwas von unserem eigenen Erleben erkennen, hilft sie uns darüber hinaus, unsere Gefühle zu definieren und auszudrücken. Mehr noch: Dadurch, dass wir uns verstanden fühlen, fühlen wir uns weniger einsam und schöpfen neuen Mut, mit unserer Situation umzugehen.

 

Traurige Musik kann ein Freund sein

Darum ist es oft gar nicht die Musik, die uns traurig macht, sondern wir suchen uns gezielt traurige Musik, wenn wir bereits traurig sind. So wie eine Freundin oder einen Freund, die uns unterstützen. Bei den meisten Menschen funktioniert das, doch manchmal macht traurige Musik den Schmerz einfach nur noch schlimmer. Um traurige Musik genießen zu können, muss man einerseits mit ihr mitfühlen, sich aber auch von ihr emotional distanzieren können.

Der finnische Musikprofessor Tuomas Eerola zeigte in einer Studie, dass Freigeister eher eine Vorliebe für Balladen haben als reine Kopfmenschen, für die Regeln und Muster wichtig sind: Die „Systematiker“ stehen eher auf Rock oder Punk. Eerola wollte auch wissen, ob traurige Musik Menschen wirklich traurig macht. Die Versuchsanordnung: 120 Studierende, aufgeteilt in vier Gruppen, hörten entweder ein unbekanntes, gewissermaßen „neutrales“ Lied, ein unbekanntes trauriges Lied, ein trauriges Lied, das sie selbst mitbrachten oder gar keine Musik. Die Teilnehmenden in der musikfreien Gruppe sollten über ein trauriges Ereignis in ihrem Leben schreiben.

 

Empathische Menschen profitieren am meisten

Anschließend wurden mit Tests und Fragebogen die Gefühle der Studierenden erkundet. Das Ergebnis: Traurige Musik vermochte dieselben Emotionen zu wecken wie traurige Erinnerungen, selbst wenn das Lied unbekannt und keinen Bezug zum Leben der Probanden hatte. Der Effekt war umso ausgeprägter, je empathischer jemand war. Und, wenig überraschend: Vor allem Stücke in Moll riefen ähnliche Reaktionen hervor wie ein trauriges Ereignis.

Auch andere Studien kamen zu dem Ergebnis, dass Menschen mit hohem Einfühlungsvermögen und geringer emotionaler Stabilität besonders von trauriger Musik profitieren und deren Fähigkeit, negative Gefühle zu regulieren, sie einzuordnen helfen und Trost zu spenden. Wer besonders empathisch ist, „kann besonders gut Emotionen aufspüren, anhand von akustischen Zeichen in der Musik“, sagt etwa die Musikpsychologin Jonna Vuoskoski von der Universität Oxford. Diese Menschen seien „häufig in der Lage, ihre Gefühle sehr gut zu regulieren.“ Menschen mit niedrigen Empathie-Werten dagegen können trauriger Musik keinen Genuss abgewinnen.

 

Wenn traurige Musik wie eine Glücksdroge wirkt: ein Artikel aus der Tageszeitung „Die Welt“.

 

Inspirierende Fragen

1 Artikel  ·  Kultur, Wissen, Bildung
Anonym28.06.2022