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Energieplanung der Zukunft: Klimaneutrale Städte dank Künstlicher Intelligenz

Ein Beitrag von Prof. Dr. Frank Dinter

Einleitung

Mit modernen Technologien wie Künstlicher Intelligenz und Data Science können wir Werkzeuge entwickeln, mit denen wir Erneuerbare Energien optimal in den Energiemix integrieren können.

Der Weg zur Klimaneutralität erfordert mehr als nur den Ausbau der erneuerbaren Energiebereitstellung; wir müssen auch unsere städtischen und dezentralen Energiesysteme völlig neu denken. Dafür ist ein systemischer Ansatz erforderlich, der es ermöglicht, den Energiebedarf verschiedener Wirtschaftssektoren zu verstehen und jene Technologien zu identifizieren, die diesen Bedarf nachhaltig und kosteneffizient decken.

 

MERLIN: Mit KI zu individueller und effizienter Energieplanung

Diese Aufgabe gehen die Forscherinnen und Forscher von Fraunhofer Chile mit dem Projekt Multisectoral Energy planning through GIS and Artificial Intelligence (MERLIN) an. Das Projekt entsteht derzeit gemeinsam mit Greenventory, einem Spin-off des Fraunhofer-Instituts für Solarenergie in Deutschland.

Die Initiative ist Teil des Eurogia-Clusters im Eureka-Netzwerk. Die Förderagentur CORFO (Corporación de Fomento de la Producción) fördert das Vorhaben auf chilenischer Seite, das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) auf deutscher Seite.

Ziel ist die Entwicklung einer Software, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) und Geoinformationssystemen (GIS) Daten analysiert und optimierte Szenarien erstellt, um den CO2-Ausstoß von Städten verringern zu können. Die Software berücksichtigt dabei mehrere Bereiche wie Industrie, Wohnen, öffentlichen Nahverkehr und Gewerbe. Das Werkzeug ermöglicht eine präzise und an die spezifischen Bedürfnisse jeder Kommune angepasste Energieplanung. Anfänglich soll MERLIN in Chile zum Einsatz kommen und dann auf Basis dieser Erfahrungen international repliziert werden.

Das Projekt läuft in drei Phasen ab:

  1. Das Projektteam speist das System mit einer umfassenden Datenbank, die öffentliche Informationen, Interviews und Feldforschung umfasst. Mit Hilfe von maschinellem Lernen verarbeiten sie die Daten, um detaillierte Karten des Energieangebots und -bedarfs einschließlich Zukunftsprognosen zu erstellen.
  2. Anhand von Optimierungsmodellen definiert das Projektteam optimale Standorte für die Energieinfrastruktur. Dabei berücksichtigt es Kosten, Emissionen und die technische Machbarkeit von Technologien wie Solarenergie, Wärmepumpen, Wasserstoff und Netzanschluss.
  3. Das Projektteam entwickelt eine fortschrittliche Benutzeroberfläche, durch die Nutzerinnen und Nutzer mit den Karten und Simulationen interagieren können. Schließlich testet das Team das System unter realen Bedingungen, gestützt durch einen soliden Geschäftsplan für die internationale Einführung.

Das Team von Fraunhofer Chile hat sich auf die Anwendung fortschrittlicher Technologien wie KI spezialisiert, um Entscheiderinnen und Entscheidern – ob im privaten oder im öffentlichen Sektor – eine robuste Informationsgrundlage an die Hand zu geben. Dieser Ansatz fördert die Einführung Erneuerbarer Energien durch den Nachweis ihrer technischen und wirtschaftlichen Machbarkeit.

 

ANCESTRAL: KI ermittelt Einsatzmöglichkeiten von nachhaltig erzeugter Wärme

Ein weiteres Beispiel dafür ist das Projekt ANCESTRAL. Darin evaluierten Forscherinnen und Forscher mithilfe eines Algorithmus auf Basis physikalischer Simulationen und Data Science den Bedarf an Warmwasser und Dampf in der Industrie sowie den Heizbedarf im Wohn-, Gewerbe- und öffentlichen Sektor für ganz Chile. Die 2024 abgeschlossene Untersuchung prüfte auch, wie verschiedene Solartechnologien diesen Bedarf decken könnten. Sie kam zu dem Schluss, dass Systeme für solare Prozesswärme (SHIP) und Fernwärme (District Heating) in Chile ein enormes Potenzial als wichtige und skalierbare Lösungen zur Reduzierung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen haben.

SHIP nutzt Sonnenkollektoren, um Strahlungsenergie einzufangen und in nutzbare Wärme für industrielle Prozesse umzuwandeln. Fernwärme hingegen nutzt zentrale Heizkraftwerke, die Wärme aus verschiedenen Quellen (Biomasse, Geothermie, Solarthermie) erzeugen und über ein unterirdisches Rohrleitungsnetz an die angeschlossenen Gebäude verteilen.

Im Bereich der Fernwärme analysierte das Projektteam fast 10 Millionen Immobilien anhand von Geodaten, um stündlich aufgelöste Profile des Wärmeverbrauchs zu erstellen. Sie identifizierten 332 Gebiete mit hohem Potenzial und einem Wärmebedarf von 18,4 Terawattstunden/Jahr, in denen 3,3 Millionen Menschen mit nachhaltigeren Systemen versorgt werden könnten.

Im Bereich der industriellen Prozesswärme untersuchten die Forschenden 281 Unternehmen. Sie stellten fest, dass 205 dieser Unternehmen Solarenergie für Warmwasser und 130 für die Dampferzeugung nutzen könnten. Dies entspricht einem Solarenergiepotenzial von 3,6 Terawattstunden/Jahr und leistet einen wesentlichen Beitrag für eine klimaneutrale Industrie.

Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass in zahlreichen Regionen die Wärmegestehungskosten von Hybridsystemen (Solarthermie mit fossilem Backup) niedriger oder wettbewerbsfähig im Vergleich zu rein fossilen Systemen sind.

Sowohl MERLIN als auch ANCESTRAL zeigen überzeugend auf, wie die Integration von Daten, die Anwendung modernster Technologien und ein systemischer Ansatz – der die Komplexität von Energienachfrage, -verteilung und -bereitstellung analysiert – die Energiewende wesentlich beschleunigen kann.

Prof. Dr. Frank Dinter

Frank Dinter hat einen Doktortitel auf dem Gebiet der thermischen Energiespeichersysteme für solarthermische Kraftwerke (CSP). Er ist leitender Wissenschaftler am Solar Energy Research Center (SERC) Chile und Dozent am Energiezentrum der Universidad de Chile.

Institution: Fraunhofer Chile

Funktion: Geschäftsführer

Themenfelder: Konzentrierende Solarthermie (CSP); Solarthermische Systeme; Technologien für erneuerbare Energien