Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den vier Kopernikus-Projekten Ariadne, SynErgie, ENSURE und P2X plädieren für eine neue Ausgestaltung der Netzentgelte. In einem gemeinsamen Kurzpapier bündeln sie ihre Einschätzungen zu Anreizstrukturen, Verteilung und Zukunftsfähigkeit der Netzentgelte.
Stromnetzentgelte für Klimaneutralität
Ein Beitrag von Dr. Anna Billerbeck
Einleitung
Steigende Netzkosten
Der Umbau hin zu einem klimaneutralen Energiesystem erfordert Investitionen in die Stromnetze. Bis zum Jahr 2045 könnten die Investitionen in die deutsche Stromnetzinfrastruktur zwischen 520 und 600 Milliarden Euro betragen. Hinzu kommen Mehraufwände: Einerseits durch die wetterabhängige Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien, die stärker gesteuert werden muss. Andererseits durch ein verändertes Netznutzungsverhalten, das auf Speicher, Elektromobilität und Wärmepumpen zurückzuführen ist.
All dies wirkt sich auf die Netzkosten und damit auf die Strompreise aus, ist jedoch notwendig, um bis 2045 Klimaneutralität in Deutschland zu erreichen. Gleichzeitig bringt es mehrere Vorteile mit sich, insbesondere für den Klimaschutz, die Reduzierung der Importabhängigkeit und die Förderung eines flexiblen Nutzungsverhaltens.
Bisher tragen allein die Stromverbraucherinnen und -verbraucher die Netzkosten über die sogenannten Netzentgelte. Eine Reform der Netzentgelte ist dringend nötig, um Kosten fair zu verteilen und zugleich Anreize für ein systemdienliches Verhalten zu schaffen.
Systemdienliches Verhalten
Verbraucherinnen und Verbraucher, Stromerzeuger und Speicher sollten ihren Strombezug künftig stärker daran orientieren, wie ausgelastet das Netz gerade ist und wieviel erneuerbarer Strom eingespeist wird. Wenn Wärmepumpen, Elektroautos oder industrielle Verbraucher ihren Strombezug in Zeiten hoher Stromerzeugung aus Wind- oder Solaranlagen verlagern, kann das Netz effizienter genutzt werden. Dadurch lassen sich das erforderliche Ausmaß des Netzausbaus verringern und die Kosten senken. Systemdienliches Verhalten hilft also, sowohl Investitionen als auch Betriebskosten zu reduzieren.
Damit solche Flexibilität entsteht, müssen die Preissignale stimmen. Heute zahlen Verbraucherinnen und Verbraucher meist pauschale Entgelte, unabhängig davon, wann und wo sie Strom nutzen. Das setzt keine Anreize, das eigene Verhalten an der Auslastung des Netzes auszurichten. Eine neue Netzentgeltsystematik sollte hier gezielte Anreize setzen: Künftig sollten die Netzentgelte Engpässe im Netz widerspiegeln, während der Strompreis die Knappheit erneuerbarer Energien widerspiegeln sollte. Zusammen können diese Signale systemdienliches Verhalten anreizen.
Dynamische Netzentgelte
Eine besonders aussichtsreiche Variante sind dynamische Netzentgelte. Netzentgelte sollen sich danach richten, wann und wo das Netz stark belastet ist. So lassen sich Engpässe vermeiden und Stromflüsse besser steuern.
Die aktuell diskutierten Konzepte reichen von zeitvariablen Netzentgelten mit Vorlauf bis hin zu vollständig dynamischen Tarifen, die sich an der aktuellen Netzauslastung orientieren. Ihre Umsetzung hängt jedoch von der fortschreitenden Digitalisierung ab, insbesondere von der flächendeckenden Einführung intelligenter Messsysteme.
In einer Übergangsphase sollte die Bundesnetzagentur (BNetzA) – die für die Ausgestaltung der Netzentgeltsystematik zuständig ist – dynamische Netzentgelte schrittweise einführen und erweitern. Dazu könnte sie Tarifstufen eines zeitvariablen Netzentgeltes definieren und in den Folgejahren schrittweise ausweiten und flexibilisieren. Mit fortschreitender Digitalisierung könnte sie die dynamischen Tarifstufen perspektivisch in ein System vollständig dynamischer, zeitlich und örtlich differenzierter Netzentgelte überführen. Kürzlich hat die BNetzA ein Verfahren zur Festlegung der Allgemeinen Netzentgeltsystematik Strom (AgNes) eingeleitet.
Verteilungseffekte
Mit steigenden Netzentgelten verändern sich auch die Kostenlasten zwischen verschiedenen Nutzungsgruppen. Reduzierte Netzentgelte für die energieintensive Industrie oder bestimmte Speichersysteme können andere Gruppen belasten. Auch zunehmender Eigenverbrauch verschiebt die Finanzierungslast auf stärker netzabhängige Nutzerinnen und Nutzer. Grundsätzlich ist bei einer Neugestaltung der Netzentgelte zu beachten, dass die Kosten der Energieversorgung für alle tragfähig bleiben. Die BNetzA muss die Netzentgeltsystematik so weiterentwickeln und regelmäßig überprüfen, dass sie systemdienliches Verhalten von Anlagen und Nutzenden anreizt und eine insgesamt kostensenkende Wirkung entfalten kann. Benötigen einzelne Netznutzende dennoch Unterstützung, können Förderprogramme oder soziale Ausgleichsmechanismen außerhalb der Netzentgelte sinnvoll sein.
Fazit
Zusammenfassend muss eine Neugestaltung der Netzentgelte das Ziel verfolgen, die steigenden Netzkosten zu begrenzen, eine bezahlbare Energieversorgung sicherzustellen und gleichzeitig den klimafreundlichen Umbau des Stromsystems zu unterstützen. Dafür müssen die Netzentgelte nicht nur die tatsächlichen Kosten abbilden, sondern auch Flexibilität und Digitalisierung fördern. Nur wenn die Kosten fair verteilt werden und die richtigen Anreize gesetzt werden, kann die Energiewende gelingen.
Dr. Anna Billerbeck

Dr. Anna Billerbeck
Themenfelder: Energiemarktdesign, Energiesystemszenarien, Wärmenetze
Dr. Anna Billerbeck ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung. Sie arbeitet an nationalen und internationalen Forschungs- und Beratungsprojekten im Bereich erneuerbare Energien. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Transformationspfaden und politischen Maßnahmen für eine klimaneutrale Energieversorgung.
Mehr über das Kopernikus-Projekt „Ariadne“ und Dr. Anna Billerbecks Rolle erfahren Sie hier.
Link: Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung
Aufgabenfelder/Forschungsfeld: Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Digitalisierung