Die Wortwahl in Politik und Medien, auch Filme oder Kunstwerke spielen eine entscheidende Rolle dabei, wie wir die Energiewende kommunizieren, wie sie erzählt, gerahmt und inszeniert wird. Denn sie prägen die Wahrnehmung und den kulturellen Code des Wandels. Welche Rolle können Sprache und Erzählgesten spielen, wenn es um die gesellschaftliche Verankerung und – möglicherweise – das Momentum der Energiewende geht?
Wie wir über die Energiewende sprechen
Ein Beitrag von Prof. Dr. Ingo Uhlig
Einleitung
Vertraute Energien
Schon ziemlich alt ist sie, die Energiewende. Bereits seit 1980 kursiert der Begriff – damals erschien er auf einem leuchtend-orangen Buch, das sich der Zukunft der Energieversorgung widmete: „Energie-Wende. Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran.“ Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt sind Erneuerbare Energien seitdem immer mehr Alltag geworden. Ökostrom, Balkonsolar, Strom-Apps oder Batteriespeicher gelten vielen als vertraut – insbesondere im Vergleich zu jüngeren technischen Innovationen wie den Sprachmodellen und Bots der KI oder Entwicklungen im Biotech-Bereich. Während dort noch vieles disruptiv und unheimlich wirken mag, sind viele Set-Ups der Erneuerbaren schon alltäglich und bewährt. Das jüngste und vielleicht prägnanteste Beispiel: Nachdem 2023 die Wärmepumpe als Skandalobjekt inszeniert wurde, ist auch sie auf dem besten Weg, sich leise und effizient als Standardheizung zu etablieren. Damit gilt oft: Energiewende-Technik ist nicht Vision, sondern Routine – sie gehört zu unserer gesellschaftlichen DNA.

Vertraute Symbole
Die Energiewende hat die Aura des Neuen weitgehend verloren. Das zeigt nicht nur der Blick auf Technik und Infrastrukturen, sondern auch auf ihr kulturelles Erbe. Sie prägte Bilder, Erzählungen und Lebensstile – in Architektur und Stadtgestaltung, in Literatur, Film und Kunst, in Werbung, Alltagspraktiken und Medien. Die Sonne ist gleichermaßen zum Symbol der Energieversorgung wie auch der Gegenwartskunst geworden. Vielerorts stiftet die Energiewende Identität, schafft Vertrauen im Umgang mit Krisen, ermutigt zum aktiven Gestalten von Wandel. Was einst als Experiment erschien, ist heute selbstverständlicher Bestandteil moderner Lebenswelten.

Kräfte und Konflikte
Natürlich muss hinzugefügt werden, dass dieser Befund längst nicht überall gilt, wenn man an stockende Wasserstoff-Projekte oder an die schleppende Dekarbonisierung im Bereich Mobilität und Wohnen denkt. Auch wäre es naiv, nicht zu sehen, dass der Umbau des Energiesystems in einem kulturellen Kräftefeld verläuft. Fossile Beharrungskräfte bilden in unserem Land wie weltweit einen starken Gegenpol. Es geht hier jedoch nicht darum, diese Debatten im Detail zu führen. Wichtiger ist mir – gerade im Bewusstsein der schwierigen politischen Situation und des drängenden Bedarfs im Klimaschutz – die Frage zu stellen, wie wir die Energiewende begreifen, darstellen und kommunizieren.
Die Aura des Neuen
Es hat großen Reiz, in die künftige Energiewelt einzutauchen. Faszinierend ist zu erkunden, was möglich ist und womit bereits experimentiert wird – was Neues in Laboren entsteht und was bereits in Reallaboren am Netz getestet wird. Doch die Rückseite der Aura des Neuen ist das Ungewisse. Wer von Experimenten spricht, deutet zugleich an: Vieles ist noch nicht bekannt, manches wird scheitern. Vertraut ist hier wenig. Die Zukunft ist ein offenes Geschehen, ein unsicheres Terrain voller Überraschungen. Gerade deshalb liegt die These nahe, dass die Figur des offenen Ausgangs nicht ideal ist. Kraftvolle Zukunftsbilder entstehen, wenn das Neue und die Avantgarde mit bereits erreichtem Fortschritt verknüpft werden – gerade im Energiebereich, in dem Sicherheit eine so große Rolle spielt. Die Herausforderung liegt nicht mehr in der Frage der Machbarkeit, sondern im Skalieren und in der konsequenten Umsetzung des längst Erprobten. Was wiederum nicht heißt, dass Sicheres und Erprobtes keinen Platz für Neugier lässt.
Erfolgsgeografie
Neugierig machen insbesondere die regionalen Beispiele einer gelungenen Energiewende. Zukunftsperspektiven entstehen nicht immer mit Blickrichtung nach vorn, sondern viel häufiger mit Blick zur Seite – zum Beispiel auf die vielen Regionen, die bereits innovative Projekte realisiert haben: von Wildpoldsried im Allgäu über Nechlin in der Uckermark bis Ellhöft in Nordfriesland. Es ist die Ebene der Energieregionen und -kommunen, auf der die Erfolge der Energiewende am deutlichsten greifbar werden. Hier gab und gibt es die guten Nachrichten. Und hier erscheint die Energiewende als realer Prozess, geprägt von Menschen, Orten und ihren Geschichten. Sie zeigt, dass sie regionale Wertschöpfung ermöglicht, Gemeinschaft bildet, vielerorts ein neues Selbstbewusstsein hervorgebracht hat – und damit auch viele der einstigen Gegnerinnen und Gegner überzeugt hat. Dieses Selbstbewusstsein ist eine Ressource, die der Energiewende ein stabiles Fundament gibt, eine Plattform für Vertrauen schafft und ihr möglicherweise einen Flow verleiht, der Initiativen für weitere Schritte weckt.

Prof. Dr. Ingo Uhlig
Prof. Dr. Ingo Uhlig ist Kultur- und Medienwissenschaftler. Er arbeitet am Germanistischen Institut der Universität Halle und im Rahmen der 50Hertz-Gastdozentur Erneuerbare Energiesysteme und Energiekulturen an der TU Berlin. Sein Interesse gilt der Energiewende ‚beyond tech‘ – also dem Verständnis der Energiewende als gesellschaftliches und kulturelles Geschehen. Besonders reizvoll erscheint ihm dabei die Verbindung unterschiedlicher Wissensfelder. In den Seminaren der 50Hertz-Gastdozentur treffen zum Beispiel die Perspektiven von Studierenden der Kultur- und Bildungswissenschaften auf die Expertise des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz. Dabei zeigt sich: Die Energiewende ist mehr als Technik – sie wird zum Resonanzraum, in dem Erzählungen, Identität und Zukunftsbilder von großer Bedeutung sind.
Link: Martin-Luther-Universität Halle, Technische Universität Berlin
Forschung für erneuerbare Energien