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„Wir wissen, wie stark sich Vorbilder auf junge Generationen auswirken“

Einleitung

Die Energiebranche ist in den letzten Jahren deutlich diverser geworden. Trotzdem ist der Anteil von Frauen in Führungspositionen nach wie vor gering. Ein falsches Signal für kommende Generationen, findet Prof. Dr. Kathrin Goldammer, Expertin für Energiewirtschaft und -technik und Geschäftsführerin des Reiner Lemoine Instituts (RLI). Wir haben mit ihr über ihren Werdegang und die Sichtbarkeit von Frauen in der Forschung und Energiewirtschaft gesprochen.

Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag für Sie aus?

Mein Arbeitsalltag gestaltet sich sehr individuell, Meetings sind allerdings ein fester Bestandteil meiner Arbeit. Im Fokus steht dabei häufig die Entwicklung neuer Projekte – im RLI Management-Team überlegen wir etwa gemeinsam, ob und inwiefern eine Bewerbung für eine Forschungsausschreibung sinnvoll sein könnte. Wenn sich eine konkrete Idee abzeichnet, planen wir das weitere Vorgehen sowie die Einbindung von Partnerorganisationen.

Häufig sind auch Gespräche mit potenziellen Auftraggeberinnen und Auftraggebern. Dabei geht es vor allem darum, welche von unserem wissenschaftlichen Know-how abgeleiteten Dienstleistungen für deren Bedarfe interessant sein könnten und ob sich darauf basierend Angebote entwickeln lassen. Und dann sitze ich noch auf Panels, gehe auf Veranstaltungen und gebe Interviews.

Das RLI setzt sich für eine Zukunft mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien ein. Was motiviert Sie, an den Themenbereichen Energie- und Verkehrswende zu arbeiten und das RLI dahingehend voranzutreiben?

Unser Energiesystem ist entscheidend für die Zukunft unseres Planeten. Wie wir es gestalten, beeinflusst maßgeblich, wie sich die Welt verändert und ob wir hier auch in Zukunft gute Lebensbedingungen vorfinden. Ein weiterer Punkt ist, dass das Thema nicht nur globale Auswirkungen hat. Es betrifft auch unmittelbar unser alltägliches Leben. Jeden Tag werden wir mit Rahmenbedingungen konfrontiert, die unsere Entscheidungen – beispielsweise, wie wir uns fortbewegen oder welchen und wie viel Strom wir konsumieren – erleichtern oder erschweren. Dies hängt entscheidend davon ab, wie das Energiesystem ausgestaltet ist. Einen Beitrag dazu zu leisten, bedeutet daher nicht nur, aktiv gegen den Klimawandel vorzugehen. Es bedeutet auch, das tägliche Leben der Menschen zu verbessern und die Wirtschaft von morgen zu gestalten.

Welche konkreten wissenschaftlichen Fragestellungen stehen bei Ihnen und Ihrem Team im Fokus, um das Ziel der 100 Prozent Erneuerbaren zu erreichen?

Unser Schwerpunkt liegt auf der Technikforschung rund um die Energiewende. Wir entwickeln z.B. Web-Applikationen für Strominfrastrukturplanung, führen Datenanalysen durch und modellieren Energiesysteme sowie die Sektorenkopplung zwischen Verkehr, Wärme, Industrie und dem Stromsystem. Diese Methoden bilden das Fundament unserer wissenschaftlichen Arbeit.

Konkrete Fragestellungen in diesem Rahmen sind zum Beispiel: „Welche Flexibilitätsoptionen sind im Verteilernetz sinnvoll?“, „Wie verändert sich die Energieversorgung, wenn die Wärmewende kommt?“ oder „Welche Ladeinfrastruktur brauchen wir für den Hochlauf der Logistik in der E-Mobilität?“. In unseren internationalen Projekten beschäftigen wir uns vor allem mit der Frage, wie sich eine zuverlässige Energieversorgung dort aufbauen lässt, wo die Menschen heute noch keinen Strom haben – das nennt sich Energy Access.

Wie sind Sie dorthin gekommen, wo Sie heute beruflich stehen? Wie war Ihr Werdegang?

Ich habe Elektrotechnik studiert, fühlte mich jedoch gegen Ende des Studiums in der Physik besser aufgehoben. Daher habe ich dann auch in Physik promoviert. Am Ende meiner Promotion war ich allerdings ziemlich desillusioniert vom Wissenschaftssystem, also vom klassischen akademischen Karriereweg. Ich empfand ihn als wenig inspirierend und konnte mich darin nicht wiederfinden.

Deshalb bin ich in die Wirtschaft gewechselt. Meine Wahl fiel auf die Energiebranche, da Energie weltweit stets eine zentrale Rolle spielt. In den darauffolgenden Jahren war ich in verschiedenen Bereichen der Energiewirtschaft tätig, unter anderem im Strom- und Gashandel, im Kraftwerksmanagement sowie in der Beratung. Von dort führte mich mein Weg zu einem Think Tank, der sich auf Energiepolitik spezialisiert hat. Schließlich habe ich ein Projekt geleitet, welches das Ziel hatte, Stakeholderinnen und Stakeholder aus Energieforschung und -politik zusammenzuführen.

Als das RLI 2015 eine neue Geschäftsführung suchte, erschien mir diese Position als ideale Verbindung meiner bisherigen Erfahrungen. Ich komme aus der Wirtschaft, bin also eine Managerin, zahlenaffin, kann Controlling und Führung. Gleichzeitig verfüge ich durch meine wissenschaftliche Laufbahn über ein fundiertes Verständnis von Forschung, wissenschaftlichen Methoden und dem Thema Energiewende. Mit diesem Mindset habe ich mich beworben und wurde 2016 Geschäftsführerin des RLI.

Welche Unterstützung war für Sie auf diesem Weg wichtig?

Die Unterstützung war in meinem Fall begrenzt. Mein Werdegang wurde eher mit Skepsis betrachtet – insbesondere, weil ich häufig unkonventionelle Wege gegangen bin und einige Wechsel gemacht habe – von der Forschung in die Industrie, dann in die Beratung und dann zum Think Tank und so weiter. Allerdings habe ich es als eine Form von Unterstützung erlebt, dass man mir in der Energiebranche sehr früh sehr viel Verantwortung übertragen hat. Das hat es mir ermöglicht, mich schnell weiterzuentwickeln. Gerade in kleinen Unternehmen gibt es meiner Erfahrung nach viele Gelegenheiten, unterschiedliche Aufgaben zu übernehmen und dadurch vielfältige Kompetenzen aufzubauen.

Bei wenig Unterstützung ist es vorstellbar, dass Sie auf Ihrem Weg auch mal mit Zweifeln konfrontiert waren. Würden Sie Ihrem jüngeren Ich diesbezüglich retrospektiv einen Tipp geben?

Nein, das war nie mein Problem. Anderen Leuten musste ich aber häufiger sagen, dass sie mir das ruhig zutrauen können. Ich selbst bin meinen Weg gegangen.

Gab es Frauen, die Sie persönlich besonders beeindruckt oder inspiriert haben, Ihren Berufsweg einzuschlagen?

Ich habe mich immer gerne von gutem Leadership inspirieren lassen. Allerdings habe ich solche Vorbilder zunächst nicht in meiner eigenen Branche gefunden. Heute lasse ich mich von Managerinnen aus anderen Bereichen inspirieren und lerne immer wieder beeindruckende Frauen aus unterschiedlichen Netzwerken kennen. Während meines Studiums und in meinem frühen Berufsleben hingegen hatte ich keine weiblichen Vorbilder oder Mentorinnen. Heute scheine ich das für andere zu sein und das macht mir Spaß.

Haben Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn geschlechtsbezogene Rollenbilder erlebt? Wie erfolgte Ihrer Erfahrung nach der Umgang damit?

Ja, solche Situationen sind mir ständig begegnet. In allen Organisationen, in denen ich tätig war, haben Frauen eher die Office-Care-Arbeit übernommen – Männer widmeten sich währenddessen den fachlichen Inhalten. Diese Tendenz war vor einigen Jahren sogar noch am RLI erkennbar. Der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass wir solche Beobachtungen hier offen ansprechen und aktiv daran arbeiten, sie zu überwinden. Diese Form der bewussten Auseinandersetzung habe ich bislang nirgendwo sonst erlebt.

Sie gehören zum Gründungsteam und sind Teil des Vorstands des Vereins von „Women in Green Hydrogen“. Warum ist es wichtig, die Sichtbarkeit von Frauen in der (naturwissenschaftlichen) Forschung zu erhöhen?

Es gibt viele gute Gründe dafür. Zum einen sind die Frauen da, doch sie werden aktiv diskriminiert, indem sie nicht unterstützt, befördert oder in wichtige Gremien eingeladen werden. Daran möchte ich mich nicht mitschuldig machen. Zum anderen sprechen die Zahlen für sich: Der Anteil von Frauen in Führungspositionen oder auf Konferenzbühnen ist nach wie vor sehr gering. Das sendet ein falsches Signal an nachfolgende Generationen. Ich wünsche mir, dass junge Menschen, wenn sie auf die Energieforschung und -technik blicken, dort auch eine Zukunft für sich sehen. Wir wissen sowohl aus Erfahrung als auch aus zahlreichen wissenschaftlichen Studien, wie stark sich Vorbilder auf junge Generationen auswirken.

Doch es geht nicht nur um Sichtbarkeit: Entscheidend sind auch die Arbeitsbedingungen. Mein Ziel ist es, dass junge Menschen in Forschungsinstituten und anderen Organisationen ein Umfeld vorfinden, in dem sie sich entfalten können. Unabhängig davon, welchen Hintergrund und welche Chromosomen sie haben.

Wo stehen wir auf dem Weg zu mehr Sichtbarkeit von Frauen in Forschung und Energiewirtschaft? Hat da in den letzten Jahren eine Entwicklung stattgefunden oder stehen wir noch am Anfang?

Ich bin ziemlich begeistert von der Entwicklung der letzten Jahre. Besonders, weil ich beide Perspektiven kenne: die der Forschung und die der Wirtschaft. Ich nehme regelmäßig an wissenschaftlichen Konferenzen teil und engagiere mich in Forschungsnetzwerken. Gleichzeitig bin ich in der Energiewirtschaft aktiv und besuche große Konferenzen, wie zum Beispiel die E-world, Europas größte Energiefachmesse. Ich habe das Gefühl, vom Publikum bis hin zur Bühne hat sich wirklich viel getan: Die Energiebranche ist deutlich diverser geworden.

Prof. Dr. Kathrin Goldammer

Prof. Dr. Kathrin Goldammer

Prof. Dr. Kathrin Goldammer ist Expertin für Energiewirtschaft und Energietechnik. Als Geschäftsführerin des Reiner Lemoine Instituts (RLI) ist sie zuständig für die wissenschaftliche und kaufmännische Leitung. Sie ist Teil des Gründungsteams sowie des Vorstands des Vereins von „Women in Green Hydrogen“ und setzt sich für die Sichtbarkeit von Frauen in der Energiewirtschaft ein.

Foto: © RLI / Stefan Klenke

Forschung für erneuerbare Energien