Frauen sind in der Wissenschaft nach wie vor unterrepräsentiert – vor allem in Führungspositionen. Das sagt Katja Witte vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Wir haben mit ihr über ihren Werdegang und die Vorteile von geschlechtlicher Vielfalt im Berufsleben gesprochen.
„Bei sich bleiben und sich nicht entmutigen lassen“
Einleitung
Sie haben Sozialwissenschaften an der Bergischen Universität Wuppertal studiert. Jetzt arbeiten Sie am Wuppertal Institut in der Abteilung „Zukünftige Energie- und Industriesysteme“. Wie kam es dazu?
Ich habe mich damals für Sozialwissenschaften als Studiengang entschieden, weil ich sehr interessiert daran war, wie menschliches Verhalten in sozialen Kontexten funktioniert. Gleichzeitig wollte ich das mit dem Bereich Klima und Umwelt verbinden. Ich bin ein Kind der 80er und Ereignisse wie das Waldsterben, saurer Regen und die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl haben mich sehr geprägt. Deswegen habe ich mich an der Uni auch mit Studierenden und Lehrenden aus anderen Fachbereichen ausgetauscht, weil die Verknüpfung beider Themen im Studiengang nicht vorgesehen war. Bei einem Rechtsprofessor konnte ich zum Beispiel zwei Seminare zu Umweltrecht belegen, obwohl sie mit meinem Studienfach nichts zu tun hatten.
Damals machten sich zudem die ersten gesellschaftlichen Auswirkungen der Energiewende bemerkbar – zum Beispiel in Form von Protesten gegen Windenergieanlagen. Es schien mir deswegen naheliegend, sich diesen Bereich genauer anzusehen. Der Rechtsprofessor empfahl mir, in der Bibliothek des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie vorbeizuschauen. Am Institut habe ich direkt die Chance gesehen, das Umweltthema mit den Sozialwissenschaften zu verbinden. Ich habe mich als Hilfskraft beworben und wurde eingestellt. Das war der Start.
Welche Unterstützung war für Sie außer der Hilfe des Rechtsprofessors noch wichtig?
Zum einen war es toll, dass ich mich an der Uni disziplinübergreifend qualifizieren konnte – obwohl mein Studiengang nicht so angelegt war. Aber auch die inhaltliche Ausrichtung des Wuppertal Instituts und das kollegiale Umfeld haben mir geholfen. Wir möchten die Themen in ihrer Ganzheit betrachten. Daher sind auch technisch geprägte Kolleginnen und Kollegen bereit, den menschlichen Aspekt in ihren Projekten mitzudenken und anders herum. Disziplinübergreifend und umsetzungsorientiert zu forschen, empfinde ich als ein absolutes Geschenk.
Mit welchen Fragestellungen befassen Sie sich in Ihrem Arbeitsalltag?
Das Wuppertal Institut ist ein angewandtes Forschungsinstitut im Bereich Nachhaltigkeit. Uns ist es extrem wichtig, die ressourcen- und energiebedingten Aspekte einer nachhaltigen Wirtschaft und Lebensweise immer im Austausch mit Praxis, Politik und Gesellschaft zu betrachten. In meiner Abteilung schauen wir in die Zukunft und entwickeln hochaufgelöste Energiesystemmodellierungen und -szenarioanalysen, die Angebot und Nachfrage berücksichtigen. Im Austausch mit Akteuren aus der Praxis können wir damit umsetzungsnahes Wissen generieren – zum Beispiel für den zukünftigen Energiebedarf in der energieintensiven Stahlindustrie.
Wir untersuchen, wie sich der Bedarf an Infrastrukturen für Erneuerbare Energien entwickelt, und analysieren Technologiepfade wie Wasserstoff oder Carbon Capture and Storage für resiliente und anpassungsfähige Industrieregionen. Auch der Import von Grünem Wasserstoff – inklusive seiner sozialen und ökologischen Auswirkungen in den Erzeugerländern – ist Thema. Nicht zuletzt befassen wir uns mit den politischen Instrumenten zur Energie- und Industrietransformation, die letztlich zur Gestaltung einer gerechten Transformation beitragen müssen.
Sie forschen unter anderem auch zur gesellschaftlichen Akzeptanz von neuen Technologien. Warum ist das wichtig?
Zuallererst möchte ich sagen, dass es bei der Akzeptanzforschung nicht primär darum geht, die Akzeptanz in der Gesellschaft zu steigern. Das ist ein häufiges Missverständnis. Es geht darum, dass sich Menschen wohlbegründet eine stabile Meinung zu etwas bilden können. Erst auf dieser Basis können wir mit den Menschen einen Diskurs auf Augenhöhe führen und einen Konsens aushandeln. Denn die anstehende Energie- und Industrietransformation wird viele Lebens- und Arbeitsbereiche verändern. Das Wissen in Bezug auf Energie- und Industrietechnologien ist jedoch oft sehr gering, auch aufgrund der vielschichtigen Zusammenhänge.
Umso wichtiger ist auch der Aspekt des Vertrauens darauf, dass die Politik, Entscheidungsträgerinnen und -träger Prozesse gut gestalten. Leider ist dieses Vertrauen in den letzten Jahren insgesamt gesunken. Wir arbeiten daran, die Faktoren für eine fundierte Meinungsbildung zu identifizieren, um auf dieser Grundlage gute Partizipations- und Weiterbildungsinstrumente zu entwickeln.
Sind Partizipation und stabile Meinungsbildung Gründe, warum es für die Energiewende und Transformation hin zur Klimaneutralität wichtig ist, sich neben den technischen Aspekten auch mit sozialwissenschaftlichen Fragestellungen auseinanderzusetzen?
Ich glaube schon, dass Wissensbildung und Vertrauen bei diesem Prozess extrem wichtig sind. Fehlende Akzeptanz kann sich in Protest äußern, was Prozesse verlangsamt. Partizipation ist immer dann von Vorteil, wenn sich daraus am Ende ein Vorgehen ableiten lässt, das den menschlichen Aspekt stärker berücksichtigt. Gefühlt ist das natürlich manchmal ein Umweg. Am Ende des Tages lohnt es sich aber häufig, diesen Umweg zu gehen und gesellschaftliche Fragestellungen von Anfang an mitzudenken. Dialogveranstaltungen und partizipative Instrumente erst einzusetzen, wenn der Prozess schon konfliktär ist, ist meistens deutlich schwieriger und kostenintensiver.
Gab es Frauen in der Wissenschaft, die Sie inspiriert haben, Ihren Berufsweg einzuschlagen?
Es gibt keine Person, die mich in diesem Sinne geleitet hat. Ich habe aber schon früh beobachtet, dass Frauen in der Wissenschaft – vor allem in Spitzenpositionen – deutlich seltener vertreten sind als Männer. Daran hat sich auch heute noch nicht viel verändert. Meine Wahrnehmung ist, dass sich Frauen diese Positionen härter erarbeiten müssen. Sie müssen sich stärker Gehör verschaffen und fachlich immer eine Schippe mehr drauflegen. Das ist schade. Ich glaube, dass eine geschlechtliche Vielfalt in der Führungsebene wichtig ist und unterschiedliche Zugänge zu Themen schafft. Die Kombination ist der Schlüssel zum Ganzen.
Welche geschlechtsbezogenen Rollenbilder haben Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn erlebt – und wie sind Sie damit umgegangen?
Besonders offensichtlich finde ich immer die Anfragen für Vorträge oder Podiumsdiskussionen mit der Anmerkung: „Wir brauchen für eine paritätische Besetzung dringend noch eine Frau!“ In diesen Situationen besinne ich mich darauf, dass ich auch fachliche Kompetenzen und Referenzen mitbringe. Ich halte nichts davon, die Ellenbogen auszupacken und meine Stimme zu erheben, um mich präsenter zu machen.
Zu Beginn meiner beruflichen Karriere hatten viele Akteure insbesondere aus der Energie- und Industriewirtschaft eher Vorbehalte gegenüber meinem Thema, nicht unbedingt gegenüber meiner Person als Frau. Als es Anfang der 2010er-Jahre darum ging, die Energiewirtschaft stärker auf Erneuerbare umzustellen, kam in der Diskussion oft die Frage auf: „Wieso müssen wir die Gesellschaft auf Augenhöhe und durch Partizipation mitnehmen? Das kostet Zeit und ist wenig effektiv.“ Das waren zuweilen harte Auseinandersetzungen. Aber natürlich passte es auch ins Klischee, dass ich mich als Frau weniger um die technischen und vielmehr um die sozialwissenschaftlichen Aspekte gekümmert habe. Ich habe dieses Rollenbild wahrgenommen, aber immer darauf vertraut, dass die fachlichen Argumente am Ende überzeugen.
Was würden Sie jungen Frauen raten, die später in Forschungsbereichen mit naturwissenschaftlichem Bezug arbeiten möchten?
Sie sollten immer bei sich bleiben und sich nicht entmutigen lassen. Wenn sie das Gefühl haben, für die Sache zu brennen, dann werden sie auch zum Ziel kommen. Ich bin überzeugt: Alle Geschlechter zusammen bringen die Vielfalt und Würze in jeden Beruf. Wer sich darüber im Klaren ist, kann sich und die eigene Sache besser einbringen. Man muss es nur wirklich wollen und darf sich nicht aufhalten lassen.

Katja Witte
Katja Witte studierte Sozialwissenschaften und ist heute wissenschaftliche Mitarbeiterin, kommissarische Abteilungsleiterin und Co-Leiterin des Forschungsbereichs „Strukturwandel und Innovation“ in der Abteilung „Zukünftige Energie- und Industriesysteme“ am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem die gesellschaftliche Akzeptanz von Informations-, Kommunikations- und Empowerment-Prozessen im Bereich Energie- und Industrietransformation.
Foto: © Wuppertal Institut
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