• Portrait Prof. Matuschewski Kai Matuschewski, Abteilung für Parasitologie, Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Berlin
    “Was die Forschung zu den vernachlässigten Krankheiten angeht, so müssten wir die Fördermittel mindestens um Zehnerpotenzen erweitern.”
  • Portrait Dr. med. Dr. rer. nat. Dipl. Biologe Carsten Köhler Carsten Köhler, Institut für Tropenmedizin, Kompetenz- zentrum BW, UK Tübingen
    “Die Verbesserung der Gesundheit von über einer Milliarde Mitmenschen, die an den vernachlässigten Krankheiten leiden, gilt es auch mit Hilfe der Bundes- republik zu erreichen.”

Beteiligt sich Deutschland angemessen an den Forschungskosten für "vernachlässigte Krankheiten"?

  • Portrait Prof. Matuschewski

    Kai Matuschewski: In einem Satz: Nein. Deutschland kann beispielsweise große Erfolge in der Elementarteilchenphysik verzeichnen, da Forschung in diesem Bereich nachhaltig gefördert und natürlich von exzellenten Wissenschaftlern geforscht wird. Was die Forschung zu den vernachlässigten Krankheiten angeht, so müssten wir die Fördermittel mindestens um Zehnerpotenzen erweitern. Das bedeutet für uns als Forscher, dass wir zum heutigen Zeitpunkt in diesem Bereich nur minimales Forschungsengagement liefern können. Deutschland hat in der Forschung für vernachlässigte Krankheiten jedoch auch keine Tradition. Anders wie im Falle Englands und Italiens, die aufgrund ihrer Geschichte als ehemalige Kolonialmächte ungleich stärker zu vernachlässigten Krankheiten forschen. Oder wie im Falle Skandinaviens, das der Förderung seiner medizinischen Forschung andere Prinzipien zugrunde legt: Oberste Priorität haben hier Krankheiten, die große Teile der Weltengemeinschaft und insbesondere Kinder betreffen.

  • Portrait Carsten Köhler

    Carsten Köhler: Die Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO), zu denen auch Deutschland zählt, haben im Mai 2008 den Aktionsplan „Global Strategy on Public Health Innovation and Intellectual Property“ verabschiedet, der die weltweit bestehende Forschungslücke bei vernachlässigten Armutskrankheiten schließen soll. Dazu gehören Maßnahmen wie der Ausbau der Forschungsförderung, die Schaffung neuer Anreize für die kommerzielle und nicht-kommerzielle Forschung (z.B. Forschungsprämien) sowie die Unterstützung neuer, nicht-kommerzieller Forschungsmodelle (z.B. Produktentwicklungspartnerschaften). Eine teilweise Umsetzung dieses Aktionsplans findet sich im Rahmenprogramm Gesundheitsforschung (2011-2019) der Bundesregierung. Erfreulicherweise wird innerhalb dieses Rahmenprogramms bei der internationalen Ausrichtung ein besonderer Fokus auf vernachlässigte und armutsbedingte Krankheiten gelegt. Positiv hervorzuheben ist, dass die bereits eingeführten Förderinstrumente wie die nationale Projektförderung zur Erforschung von Infektionskrankheiten oder die Beteiligung an der europäischen Maßnahme EDCTP (European Developing Countries Clinical Trial Partnership) zur Durchführung klinischer Studien zu HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria in Afrika erhalten und in einem Förderkonzept aufeinander abgestimmt werden sollen. Eine zukünftig deutlichere federführende Beteiligung Deutschlands innerhalb der europäischen Maßnahmen wäre dabei wünschenswert. Neue Förderansätze wie die Förderung von sogenannten Produktentwicklungspartnerschaften (PDP) – Non-Profit- Organisationen, die sich die Entwicklung von Impfstoffen, Diagnostika oder Therapien zum Ziel setzen – oder Kooperationen im Rahmen der G8 bzw. G20 zur Stärkung afrikanischer Forschungsnetze sollen hinzukommen. Diese Vorhaben sind äußerst wichtig und weisen in die richtige Richtung. Mit Spannung wird momentan das vom BMBF für dieses Jahr angekündigte Förderkonzept für die Forschung an vernachlässigten und armutsassoziierten Krankheiten erwartet. Der geplante Mitteleinsatz für das gesamte Rahmenprogramm Gesundheitsforschung liegt für die Jahre 2011-2014 bei ca. 5,5 Milliarden Euro. Die Ausgaben für die Förderung der grundlagenorientierten und translationalen Forschung gegen vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten – ausgehend von ca. 11 Millionen Euro im Jahr 2010 – müssen dabei deutlich ansteigen. Die neu angekündigte Förderung von Produktentwicklungspartnerschaften (PDPs) mit einem Budget von 20 Millionen Euro für eine Laufzeit von 4 Jahren darf dabei nur ein Teil der ausgeweiteten Fördermaßnahme sein. Die Verbesserung der Gesundheit von weltweit über einer Milliarde Mitmenschen, die an den vernachlässigten und armutsbedingten Krankheiten leiden, gilt es auch mit deutlich finanzieller Hilfe der Bundesrepublik zu erreichen. Experten aus Forschung, Global Health und Entwicklungszusammenarbeit sollten in den zukünftigen Implementierungsprozess des BMBF Förderkonzepts aktiv involviert werden. Zwischen den in der Forschungsförderung involvierten Bundesministerien (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Bundesministerium für Gesundheit (BMG), Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und BMBF) sollte zudem zukünftig ein kohärenter Ansatz in der Forschungsförderung von Armutskrankheiten verfolgt und die Strategien der Ressorts konsequent miteinander abgestimmt werden. Hier besteht weiterhin ein großes Optimierungspotential.