• Portrait Prof. Matuschewski Kai Matuschewski, Abteilung für Parasitologie, Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Berlin
    “Wenn wir von vernachlässigten Krankheiten sprechen, meinen wir eigentlich vernachlässigte Menschen”
  • Portrait Serena Tschan Serena Tschan, Institut für Tropenmedizin, Kompetenz- zentrum BW, UK Tübingen
    “Was die „vernachlässigten Krankheiten“ verbindet, ist die Tatsache, dass sie in den Industrienationen kaum wahrgenommen werden.”

Wie kann es sein, dass Krankheiten, von denen weltweit insgesamt mehr als eine Milliarde Menschen betroffen sind, "vernachlässigte Krankheiten" sind?

  • Portrait Prof. Matuschewski

    Kai Matuschewski: Wenn wir von vernachlässigten Krankheiten sprechen, meinen wir eigentlich vernachlässigte Menschen: Die Betroffenen sind vernachlässigt, ihnen wird nicht ausreichend geholfen. Dabei sind die Auswirkungen fatal, etwa bei der Afrikanischen Schlafkrankheit, einer durch die Tsetsefliege übertragene Infektionskrankheit. Oder bei der tropischen Leishmaniose, die die Betroffenen entstellt und bei der eine vollständige Heilung häufig nicht möglich ist.

    Wir in Deutschland sehen die verheerenden Auswirkungen dieser Erkrankungen jedoch nicht, wir begegnen den betroffenen Menschen nicht. Würde es diese „vernachlässigten Krankheiten“ in Deutschland geben, würde man in der hiesigen Gesundheitsforschung sicher alles unternehmen, um die Krankheiten unter Kontrolle zu bringen.

    Betrachtet man den wirtschaftlichen Aspekt, verspricht die Medikamentenentwicklung für diese Krankheiten keinen großen Gewinn. Der Markt ist daher nicht attraktiv für die Produzenten.

  • Portrait Serena Tschan

    Serena Tschan: Unter dem Begriff „vernachlässigte Krankheiten“ fasst die Weltgesundheitsorganisation 17 verschiedene Erkrankungen zusammen, die sich in ihrer geographischen Ausbreitung und der Zahl der Menschen, die von ihnen betroffen sind, stark unterscheiden. So haben geschätzte eine Milliarde Menschen in Afrika, Asien und Südamerika Spulwurminfektionen. Bei anderen Krankheiten wie der durch den Medinawurm verursachten Drakunkulose werden dagegen nur noch sehr wenige Fälle pro Jahr registriert. Was die „vernachlässigten Krankheiten“ verbindet, ist die Tatsache, dass sie in den Industrienationen kaum wahrgenommen werden. Sie betreffen hauptsächlich arme Bevölkerungsgruppen, weshalb viele Infektionen selbst wenn sie behandelbar sind, nicht behandelt werden und kaum in die Entwicklung neuer oder besserer Medikamente oder Impfungen investiert wird, da die Zielgruppe über keine Kaufkraft verfügt.