Vertragen Frauen wirklich weniger Alkohol als Männer?

 

  • Porträt Prof.Dr.med. Johannes Hebebrand, LVR-Klinikum Essen Johannes Hebebrand, LVR-Klinikum Essen, Kliniken/Institut der Universität Duisburg-Essen, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
    “Wenn Frauen die gleiche Menge Alkohol trinken, können sie durchaus stärkere Auswirkungen erwarten.”
  • Prof. Dr. med. Wolfgang Gaebel, Vorsitzender des Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Ärztlicher Direktor LVR-Klinikum Düsseldorf Wolfgang Gaebel, Vorsitzender des Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der HHUD, Ärztl. Direktor LVR-Klinikum Düsseldorf
    “Mit der Frage sind auch geschlechtsspezifische Vorstellungen über den Alkoholkonsum verbunden.”
  • Prof. Dr. med. Karl F. Mann, Sprecher des Deutschen Suchtforschungs-netzes, Stellvertretender Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit, Direktor der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin Karl F. Mann, Sprecher des Dt. Suchtforschungsnetzes, Stellvertr. Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit, Direktor der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin
    “Die WHO gibt für Männer und Frauen unterschiedliche Grenzwerte für einen riskanten Alkoholkonsum an.”
  • Prof. Dr. med. Andreas Heinz, Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie CCM der Charité Berlin Andreas Heinz, Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie CCM der Charité Berlin
    “Der entscheidende Unterschied besteht im zeitlichen Verlauf der Abhängigkeitsentwicklung.”
  • Porträt Johannes Hebebrand

    Johannes Hebebrand: Wenn Frauen die gleiche Menge Alkohol trinken, können sie durchaus stärker Auswirkungen erwarten. Das liegt zum Einen an der geringeren Körpergröße, d.h. die Alkoholmenge verteilt sich auf ein kleineres Körpervolumen. Zudem ist bei Frauen die relative Fettmasse größer als bei Männern. Da Fettgewebe kaum durchblutet wird, sind Muskeln und Organe, wie Hirn oder Herz, entsprechend stärker durchblutet und die Auswirkungen des Alkohols sind hier intensiver. Das bedeutet auch, dass das Risiko für Schädigungen der Organe, beispielsweise Leberzirrhosen, bei Frauen größer ist. Dann sind die für den Abbau des Alkohols zuständigen Enzyme bei Männern stärker vorhanden, das heißt, Männer bauen den Alkohol schneller wieder ab.

    Die Forschung hat außerdem gezeigt, dass sich bei Männern der Alkohol positiv auf ihre sexuelle Lust auswirkt und sie soziale Anerkennung erfahren. Frauen hingegen trinken eher um Spannung abzubauen und erfahren im sozialen Umfeld eher Stigmatisierung als Anerkennung. Alkohol kann zu einer Gefährdung von Frauen führen, sofern sie sich mit ihnen unbekannten bzw. wenig bekannten Männern einlassen. Insofern sollten Frauen Alkohol noch mehr meiden als Männer.

  • Porträt Wolfgang Gaebel

    Wolfgang Gaebel: Technisch gesehen, ja: bei gleicher konsumierter Alkoholmenge ist der zu erwartende Alkoholspiegel bei einer Frau etwas höher als bei einem Mann, wenn andere den Alkoholspiegel beeinflussende Faktoren sich nicht unterscheiden (z. B. Gewicht, Alter, Mageninhalt, Konzentration des konsumierten Alkohols). Dies liegt hauptsächlich am höheren Fett- und niedrigeren Wasseranteil im weiblichen Körper, da der Alkohol überwiegend im Körperwasser gespeichert wird.

    Mit der Frage sind jedoch auch geschlechtsspezifische Vorstellungen über den Alkoholkonsum verbunden. Die Auswirkungen des Alkoholkonsums, also der Rausch und die damit verbundenen Ausfallerscheinungen (Lallen, Gangunsicherheit, Enthemmung) werden bei Frauen meist negativer als bei Männern wahrgenommen. Dies führt dazu, dass eine betrunkene Frau stärker aus dem Rahmen fällt als ein ähnlich stark betrunkener Mann, was wiederum den Anschein erwecken kann, die Frau vertrüge weniger. Diese kulturellen Geschlechtsunterschiede beginnen sich jedoch langsam aufzulösen, wie das Beispiel Binge-Drinking („Komasaufen“) zeigt, das zunehmend auch von Mädchen und jungen Frauen praktiziert wird.

  • Porträt Karl Mann

    Karl Mann: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt für Männer und Frauen unterschiedliche Grenzwerte für einen riskanten Alkoholkonsum an. Bei Männern liegt er bei 40 g reinen Alkohols pro Tag (ca. 0,25 li Rotwein, bzw. 0,5 Liter Bier), für Frauen gelten 20 g. Die Differenz geht auf empirische Befunde zurück, wonach Frauen bei gleichen Trinkmengen und gleichem Gewicht deutlich höhere Blutalkoholspiegel erreichen. Damit verbunden sind mehr alkoholbedingte Organschäden z.B. an Leber, Herz oder Gehirn.

    Alkohol verteilt sich in vielen Bereichen des Körpers, nicht aber im Körperfett. Da Frauen in der Regel ein größeres Kompartiment an Fett haben als Männer ist bei ihnen das Restvolumen in dem sich Alkohol verteilen kann entsprechend kleiner. Das führt zu den geschilderten höheren Blutspiegeln und als Konsequenz zu niedrigeren Trinkempfehlungen.

  • Porträt Andreas Heinz

    Andreas Heinz: Frauen trinken in der Regel weniger und seltener als Männer. Aber in einer großen Querschnittsuntersuchung von 1999 berichteten Frauen bei gleicher Trinkmenge über größere Probleme als Männer. In einer Stichprobe von Probanden mit problematischem Trinkverhalten tranken Männer insgesamt mehr, hatten früher damit angefangen und erlebten auch früher ihren ersten Rausch. Frauen berichteten dagegen häufiger, dass sie vor allem in negativen Stimmungszuständen tranken.

    Große retrospektive Studien mit mehreren hundert bis zu über tausend behandelten Alkoholabhängigen zeigen, dass der durchschnittliche, auf das Körpergewicht bezogene Alkoholkonsum bei Frauen und Männern im Jahr vor einer Behandlung annährend identisch ist. Der entscheidende Unterschied besteht im zeitlichen Verlauf der Abhängigkeitsentwicklung: Frauen beginnen später als Männer regelmäßig Alkohol zu konsumieren. Sie entwickeln aber sehr viel schneller eine Abhängigkeitserkrankung. Während das Durchschnittsalter zum Zeitpunkt der ersten stationären Behandlung weitgehend übereinstimmt, erfolgt der Beginn der Abhängigkeit bei den Patientinnen deutlich später als bei den Männern. Das spätere Auftreten von alkoholassoziierten Problemen und dass schnellere Voranschreiten wird „Teleskop-Effekt“ genannt und ist sehr robust.