• Portrait Dr. Christa Scheidt-Nave Christa Scheidt-Nave, Epidemiologie nicht übertragbarer Krankheiten, Robert Koch Institut
    “Gesamteinschätzungen zur Entwicklung von Volkskrankheiten gelten nicht unbedingt für alle Gruppen der Bevölkerung gleichermaßen.”
  • Portrait Prof. Dr. Hajo Zeeb Hajo Zeeb, MSc, Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS)
    “Wenn Gesellschaften altern, gibt es einfach mehr ältere Menschen, die auch tendenziell mehr an Erkrankungen leiden”

Warum nehmen Volkskrankheiten zu?

  • Portrait Dr. Christa Scheidt-Nave

    Christa Scheidt-Nave: Was versteht man überhaupt unter einer Volkskrankheit? Volkskrankheiten sind Krankheiten, die unsere Bevölkerung und damit unser Gesundheits- und Sozialsystem in besonderer Weise herausfordern. Zum einen sind diese Krankheiten häufig. Zum anderen ziehen sie schwerwiegende Folgen nach sich, z. B. dauerhafte Abhängigkeit von medizinischer Behandlung, Beeinträchtigung der Lebensqualität, Arbeits-/Erwerbsunfähigkeit oder auch vorzeitigen Tod.

    Ob sie zunehmen, lässt sich pauschal nicht beantworten. Dies ist abhängig von der Art der Krankheit und davon, welche Maßzahl man genau betrachtet, also etwa Neuerkrankungsrate (Inzidenz), aktuelle Verbreitung in der Bevölkerung (Prävalenz) oder auch bestimmte Krankheitsfolgen, z. B. krankheitsspezifische Sterblichkeit. So nimmt die Prävalenz von Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes mellitus und Adipositas, von Demenzerkrankungen und von degenerativen Krankheiten des Muskel-Skelettsystems im Zuge des demografischen Wandels und des veränderten Lebensstils zu. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind zwar nach wie vor die vorherrschende Volkskrankheit, sie gehen jedoch in den letzten Jahrzehnten zumindest in den reichen Ländern wie Deutschland zurück. Insbesondere gilt dies für die Sterblichkeit. Hier reflektieren sich verbesserte Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten.

    Auch ein Rückgang von wichtigen Risikofaktoren durch gesündere Lebensweise spielt vermutlich eine Rolle. Gesamteinschätzungen zur Entwicklung von Volkskrankheiten gelten nicht unbedingt für alle Gruppen der Bevölkerung gleichermaßen. So zeigt die Inzidenz des Lungenkarzinoms bei Männern einen klaren Rückgang, während bei Frauen eine Zunahme zu verzeichnen ist - ein Hinweis auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der Entwicklung des Rauchverhaltens.

  • Portrait Prof. Dr. Hajo Zeeb

    Hajo Zeeb: Wie häufig Krankheiten in der Bevölkerung auftreten, ist von vielen Faktoren abhängig. Ein wichtiger ist das Alter: wenn Gesellschaften altern, gibt es einfach mehr ältere Menschen, die auch tendenziell mehr an Erkrankungen leiden. Natürlich tragen auch äußere Einflüsse dazu bei, vorneweg der Lebensstil, das Rauchen, die Ernährung. Auch unser medizinisches Versorgungssystem, das immer besser Krankheiten (früh) erkennt, trägt zu steigenden Zahlen bei. Andererseits: nicht alle wichtigen Erkrankungen werden durchweg häufiger: Diabetes, Asthma und Rückenbeschwerden steigen an, bei Krebs gibt es zum Teil günstigere Trends, und ganz klar bei der Sterblichkeit an Herz-Kreislauferkrankungen, ein wichtiger Erfolg guter Versorgung.