„Das ist die Zukunft vom Fragenstellen!“

21.03.2022
Kurz und knapp

Die „Quasselstrippe“ ist ein digitales Dosentelefon, mit dem sich Fragen für die Wissenschaft und deren Antworten aufzeichnen lassen. Tomma Hinrichsen vom Design Research Lab der Universität der Künste Berlin und David Weigend vom Futurium erzählen, was es mit dem spannenden Projekt auf sich hat – und wie sowohl Kinder als auch Erwachsene dabei lernen, wie man gute Fragen stellt.

Frau Hinrichsen, Herr Weigend: Was hat es mit der Quasselstrippe auf sich?

Tomma Hinrichsen: Begonnen hat das Projekt Anfang 2021 in der Forschungsgruppe „Design Research Lab“ der Universität der Künste Berlin. Ziel war es, ein Tangible Voice Interface zu entwickeln, um Fragen für die Wissenschaft zu generieren. Solche Interfaces ermöglichen die Interaktion mit einer Maschine mittels der Stimme. So kamen wir auf die Idee mit dem digitalen Dosentelefon. Im Gegensatz zum klassischen Dosentelefon hat unseres nur ein Ende. Das hängt an einem sogenannten Raspberry Pi, einem kleinen Einplatinencomputer. Dieser wird mit Dialog-Elementen gefüttert, auf die wiederum andere – zum Beispiel Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – reagieren, sich also richtiggehend mit dem Dosentelefon unterhalten können ...

David Weigend: … quasi wie ein kleines, interaktives Mini-Theaterstück fürs Ohr, in dem ich eine aktive Rolle spiele und Fragen beantworte.

Hinrichsen: Genau. Hierfür soll die Quasselstrippe später in Institutionen wie Museen oder Forschungsinstituten stehen, um möglichst viele Antworten einzusammeln. Diese werden dann von einem weiteren Programm transkribiert und sind auf einer Website abrufbar.

 

Und wer füttert die Quasselstrippe mit den Fragen? 

Hinrichsen: Kinder und Jugendliche im Rahmen von Workshops. Hier kommen dann Partnerinstitutionen wie das Futurium ins Spiel, mit dem wir bereits einen Workshop realisiert haben …

Weigend: Wir waren als Futurium bereits in der Entwicklungsphase des Projekts als Praxispartner beteiligt. Uns interessierte vor allem: Was ist denn eigentlich eine gute Frage für die Wissenschaft? Neugierig sein, Dinge wissen und verstehen wollen, mit jemandem über Wissenschaft reden ist ja viel mehr, als bloß eine Frage in ein Online-Formular einzugeben.

 

Wie haben Sie dann den gemeinsamen Workshop konkret erarbeitet?

Weigend: Wir wollen in unseren Workshops kontrovers über die Zukunft diskutieren, mit neuen Technologien spielen, innovativ sein und auf diese Weise neue kreative Lösungen finden. Hierzu hat das Quasselstrippen-Projekt perfekt gepasst: Die Schülerinnen und Schüler lernen, wie sie gute Fragen entwickeln können. Und die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bekommen die Möglichkeit, sich nicht nur eine abstrakte Frage anzuhören, sondern eine lebendige Erfahrung zu machen. Sie hören die Stimme eines realen Menschen und bekommen durch die Dialogform eine Vielzahl zusätzlicher Informationen – etwa welches Gefühl die Fragestellerin oder den Fragensteller mit der Frage verbindet, wie diese genau gemeint ist und so weiter. Das ist viel besser als ein Online-Forum oder ein Fragebogen. Das war die Grundlage für die Erarbeitung des gemeinsamen Workshops.

Hinrichsen: Wichtig war uns, dass sich die Kinder nicht einfach nur Fragen für die Wissenschaft ausdenken. Sie sollten sich auch Gedanken darüber machen, wie ein Gespräch mit Menschen verlaufen könnte, die ihnen antworten. Sich also überlegen, wie ein Dialog überhaupt aufgebaut sein muss, welche Antwortmöglichkeiten mitgedacht werden müssen und so weiter. Wir haben dabei auch über KI-basierte Systeme wie Alexa oder Siri diskutiert und diese kritisch hinterfragt. Die Jugendlichen sollten sich auch entscheiden, was sie beim Füttern der Quasselstrippe eigentlich für ein Charakter sein wollen, denn das schafft möglicherweise gleich eine ganz andere Gesprächsatmosphäre. Das hat super funktioniert.

Weigend: Das finde ich auch! Für den Workshop haben wir das Quasselstrippen-Projekt mit unseren „Zukunftsboxen“ kombiniert. Dafür haben wir Methoden entwickelt, um mit den Schülerinnen und Schülern zukunftsrelevante Fragen zu erarbeiten. Das findet in den Schulen leider viel zu wenig statt. Meistens werden den Kindern dort ja Fragen gestellt, die sie beantworten müssen. Und nicht andersherum. In Zukunft kommen auf uns große soziale, technologische und ökologische Umbrüche zu, aus denen sich unglaublich viele Fragen ergeben: von Verständnisfragen (Wie soll das gehen mit der Energiewende?) über normative Fragen (Wie wollen wir leben?) bis zur Frage, was die oder der Einzelne ganz konkret zu einer besseren Zukunft beitragen kann. Diese Fragen wurden mit den Dialogen kombiniert und in die Quasselstrippen eingegeben.

 

Wie haben Sie die Kinder im Workshop erlebt?

Hinrichsen: Ich fand faszinierend, wie viele coole eigene Ideen sie hatten. Sie waren so proaktiv, das habe ich als unglaublich inspirierend empfunden. Ich war auch ein bisschen neidisch darauf, dass sie durch ihr junges Alter so wenig persönliche Schuld fühlen. Ohne diesen moralischen Ballast können sie ganz unbedarft Fragen stellen, manchmal auch anklagen, aber eben auch selbst Lösungsansätze entwickeln. Natürlich waren das jetzt nicht nur Ideen, die sofort umsetzbar wären, aber sie hatten eigentlich immer einen wahren Kern. Etwa auch ganz simple, manchmal beinahe philosophische Fragen wie: Warum geht’s den Menschen eigentlich immer nur ums Geld? Eine total gute, berechtigte Frage. Aber wie beantwortet man die?

Weigend: Mir ist klar geworden, wie wichtig es ist, auf junge Leute zu hören. Die haben einen sehr guten Radar für relevante Themen. Sie wissen, wie sie in Zukunft leben wollen und wie eine gute und lebenswerte Welt aussieht. Außerdem haben sie ein starkes Gerechtigkeitsempfinden. Wo wir als Erwachsene schon resigniert haben, haben die noch richtig Power und wollen etwas bewegen. Das spiegelt sich auch in ihren Fragen wider. Die wurden übrigens immer interessanter, je tiefer wir in ein Thema eingestiegen sind. Das half auch, um individuelle Wissenslücken zu identifizieren. In meiner Gruppe wusste zum Beispiel keiner, womit bei ihnen zuhause geheizt wird. Das fand ich verblüffend. Dadurch entstand bei den Schülerinnen und Schülern ein Problembewusstsein. Vorher war ihnen gar nicht so klar, wo und wie sie auch selbst handeln können beziehungsweise ihre Eltern bearbeiten müssen, damit das mit der Energiewende klappt. 

Hinrichsen: Bei solchen Beispielen wird deutlich, dass es in dem Projekt nicht darum gehen kann, Wikipedia-Antworten ausgespuckt zu bekommen. Es geht um den Dialog, sich auf Augenhöhe mit einem Kind über ein wissenschaftliches Thema auszutauschen und sich wirklich aufeinander einzulassen.

Weigend: Stichwort Wikipedia: Die bezieht sich ja meistens auf die Vergangenheit. Wenn ich Fragen für die Zukunft habe, finde ich da zum Teil gar nichts. Das ist ja der große Unterschied zu einer Expertin oder einem Experten. Die können mit ihrem Wissen kreativ umgehen und auch auf neue Fragen Antworten geben. Je mehr Neuland wir betreten, umso wichtiger ist der Dialog. Statt den Kindern zu sagen, guckt doch mal, was ihr dazu im Netz findet, sollten sie viel häufiger mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sprechen. Das ist für beide Seiten spannend. Denn das Wichtige bei der Beschäftigung mit der Zukunft ist ja gerade, sich zu überlegen, wie wir leben wollen – und davon die richtigen Fragen abzuleiten. Das lernen die Kinder bei so einem Projekt.

Hinrichsen: Und sie lernen noch etwas: dass man sich Technologien auch aneignen kann. Das ist generell ein wichtiger Lerneffekt, wenn es um Zukunftsfragen geht: die Angst vor einer Technologie zu verlieren – weil man weiß, wie es funktioniert. Sich von Alexa oder Siri nicht mehr um den Finger wickeln zu lassen, weil einem jetzt klar ist, dass da auch irgendein anderes menschliches Gehirn dahinter sitzt, das sich das alles ausgedacht hat.

 

Wie geht es mit dem Projekt weiter?

Weigend: Projekte dieser Art leben davon, dass sich möglichst viele Partner beteiligen: Workshops geben, gemeinsam tüfteln, Feedback geben und das Tool kollaborativ weiterentwickeln. Für Institutionen ist das eine großartige Gelegenheit, Teil eines richtig guten Projekts zu werden.

Hinrichsen: Wir haben auf jeden Fall total Lust, die Idee weiterzuentwickeln. Wenn Bibliotheken, Bildungs- oder Kulturinstitutionen Lust haben, einzusteigen, können sie sehr gerne auf uns zukommen.

 

Mehr Informationen:

Ein Video mit Eindrücken aus dem Workshop und weiteren Informationen finden Sie auf unserem YouTube-Kanal.  

Das Projekt „TOOLS – Analog-digitale Partizipationstools“ wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des „Ideenwettbewerbs für innovative analoge und digitale Partizipationsformate und -technologien“ gefördert. Kooperationspartner in der Projektentwicklung waren das Futurium, das Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung und Stadtprojekte e. V.

Mehr Informationen und Kontaktdaten auf

https://hallo-quasselstrippe.org

Informationen zu den Angeboten des Futuriums sowie viele spannende Bildungsmaterialien (unter anderem die Zukunftsboxen) zum kostenlosen Download gibt es auf https://futurium.de

Vita

David Weigend leitet den Bereich Bildung und Partizipation am Futurium in Berlin. Er ist Volkswirtschaftler, Design Thinker sowie Absolvent des Masterstudiengangs Zukunftsforschung an der Freien Universität Berlin. Als Trainer und Moderator hat er zahlreiche Innovations- und Strategieprozesse begleitet. Daneben hat er mehrere Jahre als Spieleentwickler gearbeitet. Ziel seiner Arbeit war es immer, komplexe Sachverhalte verständlich zu machen, für Zukunftsthemen zu begeistern und neue Formen der Auseinandersetzung zu ermöglichen.

Vita

Tomma Suki Hinrichsen hat Produkt- und Prozessgestaltung an der Universität der Künste Berlin studiert. Sie verfolgt einen kollaborativen Ansatz und glaubt, dass Design eine wichtige Rolle spielt, wenn es darum geht, Dinge zum Besseren zu verändern. Ihre Designpraxis besteht aus partizipativen Workshops, physischen Objekten und Illustrationen.

Seit 2019 ist sie Gründungsmitglied des Torhaus Berlin e. V., einem Gemeinschaftsraum für Menschen, die Formen der Urbanen Praxis und kollaborativen Prozessgestaltung ausprobieren.