Evolution: Hier und Jetzt

24.11.2022
Ein Beitrag von Susanne Foitzik, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Die Evolution beschreibt die Entstehung und Entwicklung der Organismen auf der Erde. Eine abgeschlossene Geschichte des Lebens, auf die wir zurückschauen können? Dieser Eindruck täuscht. Evolution findet immer statt und das manchmal ganz schön schnell, wie auch die Coronapandemie gezeigt hat. Und: Der Blick in die Vergangenheit kann wichtige Informationen für die Gegenwart hervorbringen. So beeinflussen beispielsweise die Gene des Neandertalers, die viele Menschen in Europa und Asien in sich tragen, den Krankheitsverlauf bei einer Covid-19-Infektion.

Evolution findet immer statt

Mit dem Begriff der Evolution verbinden viele die Entstehung des Lebens auf unserem Planeten, das Auftreten der Dinosaurier und die Entwicklung des modernen Menschen. Dabei entsteht der Eindruck, dass die Evolution abgeschlossen ist und wir nun zurückblicken können auf die spannende Geschichte des Lebens. In der Tat hat die Evolutionsbiologie diese historische Komponente, da die äußeren Bedingungen, zum Beispiel in Bezug auf Klima oder Artenzusammensetzung, exakt genau so nie wieder vorkommen werden.

Die Evolution des Lebens und der Arten auf dieser Erde ist jedoch mitnichten abgeschlossen. Der Prozess der Evolution findet immer statt, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: Wenn unterschiedliche Merkmalsausprägungen bei einer Art auftreten (Variation), wenn diese erblich sind (Heritabilität) und mit unterschiedlichem Fortpflanzungserfolg gekoppelt sind. Dann werden sich die Varianten durchsetzen, welche eine höhere evolutive Fitness aufweisen. Dabei hat die Evolution kein Ziel. Während im Laufe der Zeit immer komplexere Lebensformen entstanden sind, sind die Einfachen mitnichten verschwunden. Bakterien, Mikroalgen und Pilze sind seit Jahrmillionen sehr erfolgreich.

 

Die Evolution eines Virus

Ist die Evolution denn heute noch wichtig, auf einem von uns Menschen so geprägten Planeten? Die Antwort auf diese Frage haben wir in den letzten Jahren hautnah miterlebt. Wir konnten beobachten, wie ein Virus von Tieren auf uns Menschen übersprang und wie er sich an diesen neuen Wirt rasant anpasste. Viren, genetische Parasiten, unterliegen den Prozessen der Evolution genauso wie wir. Dabei hängt die Geschwindigkeit der Evolution maßgeblich von der Populationsgröße und Generationszeit ab. Nun gibt es aber Milliarden Covid-19-Viren, also unendlich viele Gelegenheiten, dass neue Mutationen auftreten können.

Auch ist die Zeit, die ein Virus braucht, sich zu vermehren und wieder neue Viruspartikel zu produzieren extrem kurz, all dies beschleunigt evolutive Prozesse. Es ist nicht das Ziel eines Parasiten, seinen Wirt zu töten, sondern er will sich nur auf dessen Kosten vermehren und ausbreiten. Und eine Zunahme der Übertragungsrate konnten wir ja bei den neuen Virusvarianten wie Omikron beobachten. Mit der Geschwindigkeit der Virusevolution können wir Menschen natürlich nicht mithalten, unsere Generationszeiten messen sich ja in Jahrzehnten. Daher haben Wirbeltiere ein adaptives Immunsystem evolviert, dass neue Feinde kennenlernen, sich merken und eine Immunität dagegen entwickeln kann.

 

Evolutionsforschung in der Medizin

In diesem Zusammenhang ist interessant, was der frischgebackene Nobelpreisträger Svante Pääbo kürzlich publizierte: Gene des Neandertalers, die in vielen Menschen aus Asien und Europa vorkommen, erhöhen das Risiko an Covid-19 schwer zu erkranken. Diese Untersuchungen zeigen, dass Grundlagenforschung, die auch zur Sequenzierung des Neandertalgenomes geführt hat, manchmal später einen direkten Anwendungsbezug erhält. Ein anderes Beispiel, bei der die Evolutionsforschung in der Medizin eine wichtigere Rolle spielen sollte, ist die Vermeidung von Antibiotikaresistenzen. Der Prozess der Evolution erlaubt es auch Bakterien, sich an vorherrschende Selektionsdrücke anzupassen und evolutionsforschungsgeleitete Strategien, z. B. die abwechselnde Verwendung unterschiedlicher Antibiotika, kann die Entstehung von Resistenzen unterbinden oder verzögern. Und dies tut Not: An multiresistenten Keimen sterben in Deutschland jedes Jahr über 30.000 Menschen.

 

Anpassung an den Klimawandel?

Ein anderes brennendes Thema dieser Tage ist der Klimawandel, der nicht nur gravierende Auswirkungen auf uns Menschen und unsere Nahrungsmittelproduktion hat, sondern auch ganze Ökosysteme und damit das Artensterben weiter vorantreibt. Die Frage, die sich viele stellen, ist, ob sich denn die Arten nicht an die neuen Bedingungen anpassen können. Die Antwort ist, dass dies drauf ankommt. Arten mit großen Populationen und kurzen Generationszeiten können dies sehr gut. Arten jedoch, die langlebig und deren Populationen klein sind, eher nicht. Dazu gehören aber viele Wirbeltierarten, welche auf der Rote Liste stehen, man denke nur an den Eisbären.

In meiner Arbeitsgruppe untersuchen wir evolutive Anpassungsprozesse an sozialen Insekten, sowohl an das Klima als auch an Parasiten. Zum Beispiel analysieren wir dies bei den kleinen Ameisen der Gattung Temnothorax, die regelmäßig von sozial-parasitischen Sklavenhalterameisen ausgebeutet werden. Wir studieren deren Merkmale, das Verhalten, die Morphologie oder die chemischen Signalstoffe von Ameisenpopulationen aus dem ganzen Verbreitungsgebiet, die uns zeigen, auf welche Weise es den Ameisen gelingt, ihren Feinden zu entkommen oder die Austrocknung in warmen Sommern zu vermeiden. Wir haben ihre Genome sequenziert und werden diese genetischen Informationen mit den Merkmalsausprägungen verknüpfen. Damit werden wir sowohl auf organismischer wie auch auf molekularer Ebene zeigen können, wie sich diese sozialen Tiere an das Klima und ihren Sklavenhalterparasiten anpassen. Das Spannende dabei ist, dass wir Evolution in Jetztzeit vor unseren Augen beobachten können. Ja, das ist erst mal keine anwendungsbezogene Grundlagenforschung, aber wie wir oben am Neandertalerbeispiel gesehen haben, wissen wir oft zu Anfang nicht, was wir finden und wohin unsere Forschungen uns noch führen werden. Und genau das macht Wissenschaft ja so spannend.

 

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2022 – Nachgefragt!​

 

Weiterführende Informationen

Vita

Prof. Dr. Susanne Foitzik ist Evolutionsbiologin und Verhaltensforscherin. Die Professorin für Verhaltensökologie und Soziale Evolution leitet das Institut für organismische und molekulare Evolution der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und das Graduiertenkolleg „Genregulation in der Evolution“. Sie forscht zur Evolution und zum komplexen Sozialverhalten von Ameisen und dazu, wie sich diese gegen Parasiten aller Art zur Wehr setzen. In ihrem Buch mit Co-Autor Olav Fritsche „Weltmacht auf sechs Beinen: das verborgene Leben der Ameisen“ gibt sie spannende Einblicke in das soziale Leben dieser Insekten.