Energiewende und Populismus

14.07.2022
Ein Gastbeitrag von Dr. Fritz Reusswig (PIK) und Dr. Beate Küpper (Hochschule Niederrhein)

Der Klimawandel und die damit verbundene Energiewende erfordern tiefgreifende Veränderungen unseres Lebensstils. Das öffnet das Thema für Populismus, der insbesondere in Krisenzeiten erstarkt. Wie sieht eine demokratische Konfliktkultur beim Ringen um Lösungen aus, die einerseits Forderungen nach rascher, fundamentaler Umgestaltung wahrnimmt, andererseits damit verbundene Sorgen und Kritik ernst nimmt, aber wachsam ist gegenüber antidemokratischen Tendenzen?

Wieso ist Populismus in Zusammenhang mit Klimawandel und Energiewende überhaupt ein Thema?

Fritz Reusswig: Der Klimawandel ist Realität, die sich mittlerweile spürbar in extremen Wetterereignissen bemerkbar macht. In massiven Regenfällen und Überflutungen ebenso wie aktuell etwa in der bedrohlichen Trockenheit in Norditalien. Umso wichtiger ist die Energiewende. Durch den Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Energieknappheit, bekommt das Thema noch einmal eine ganz besondere Dringlichkeit. Neben dem Klimaschutz kommt nun auch der Sicherheitsaspekt hinzu. Umso fataler ist das Stocken des Ausbaus erneuerbarer Energien in den letzten Jahren. Neben sachlich begründeten Bedenken gegenüber einzelnen Maßnahmen spielt hierbei zunehmend auch der Populismus eine Rolle. Gemeinsam mit Kolleg:innen untersuchen wir in dem von der Stiftung Mercator geförderten Verbundprojekt DEMOKON – Eine demokratische Konfliktkultur für die Energiewende den Einfluss von Populismus auf Dynamiken rund um Energiewendekonflikte. Wir schauen hier sowohl auf Stimmungslagen in Deutschland insgesamt als auch exemplarisch in besondere Konfliktregionen des Wind- und Netzausbaus sowie des Braunkohleausstiegs – konkret der Lausitz und im Rheinischen Revier. Wir wollen besser verstehen, wie sich nachvollziehbare Sorgen und berechtigte, ja auch wichtige Kritik an der Energiewende populistisch auflädt bzw. – umgekehrt – populistische Akteure die Energiewende für ihre eigene Agenda nutzen, sodass mancherorts sogar zunächst am Konflikt wenig Beteiligte ins Antidemokratische bis hin ins Extremistische abdriften. Aufbauend auf den Einblicken in diese Dynamiken versuchen wir Empfehlungen für neue Ansätze für die Konfliktbearbeitung zu entwickeln.

Beate Küpper: Der Populismus erzählt die Geschichte des von den korrupten Eliten betrogenen Volkes und nimmt für sich in Anspruch, ihm Gehör zu verschaffen. Das Volk fühlt, was richtig und was falsch ist und ist sich darin einig. Menschen mit anderer oder anders wahrgenommener Meinung, sind folglich nicht Teil des Volkes, oder, schlimmer noch: Sie sind Fremdkörper oder gar Verräter, denen gegenüber notfalls auch Gewalt ein legitimes Mittel ist.
Im Kern geht es um die Gegenüberstellung von Volk und Elite – verkörpert durch etablierte Politik, Medien, Wissenschaft (bemerkenswerterweise ist die Wirtschaft weniger im Blick)  – entsprechend begleitet von Misstrauen in „das System“.
In Krisenzeiten, d. h. Zeiten rascher, grundlegender Veränderungen, die als krisenhaft erlebt werden, erstarkt der Populismus, so die gängige Annahme. Populistische Akteure greifen die unzufriedene Stimmung „im Volk“ auf, das Volk wiederum sucht Nähe und Anschluss an populistische Akteure, die helfen, Protest und Widerstand gegen die Veränderungen und dafür verantwortlich gemachte Personen(gruppen) zu artikulieren. Der Klimawandel ist eine solche Krise, damit verbunden auch die Energiewende hin zu klimaneutralen Energien. Die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist für die Energiewende. Geht es aber um die Umsetzung, werden kritische Stimmen laut.

 

Hilft der Populismus denn nicht, Kritik Gehör zu verschaffen?

Beate Küpper: Das wird kontrovers diskutiert. Die einen meinen, der Populismus diene Demokratie, weil er Missstände aufdeckt, Verkrustungen löst und „dem Volk“ eine Stimme gibt. Die anderen meinen, der Populismus gefährde die Demokratie, weil er das, was unsere liberale Demokratie im Kern ausmacht, untergräbt: nämlich die Pluralität, sowohl in Bezug auf vielfältige Ansichten und Interessen, als auch in Bezug auf die Vielfältigkeit der Bevölkerung, die eben keineswegs homogen ist, in der aber jeder und jedem die gleiche Würde und Wertigkeit zukommt. Antidemokratisch am Populismus ist mindestens der Anspruch auf alleinige Wahrheit, wie der ehemalige Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle argumentiert. Wichtig ist es hierbei natürlich, Meinungen von Fakten zu unterscheiden – den menschengemachten Klimawandel mit seinen Folgen gibt es nun mal, der lässt sich nicht als bloße Meinung abtun. Empirisch korrelieren in Deutschland populistische Einstellungen nicht nur mit dem Misstrauen in Demokratie, sondern auch mit der Neigung zu rechtsextremer Ideologie.

 

Welche Rolle spielt Populismus beim Thema Klimawandel und Energiewende?

Fritz Reusswig: Natürlich ist nicht jeder Protest gegen eine Windkraftanlage, eine Stromtrasse oder andere Energiewendemaßnahme per se populistisch. Es kann viele Sorgen und gute Gründe geben, die gegen eine Anlage an dieser Stelle oder in dieser Auslegung sprechen. Viele Menschen sind etwa um den Naturschutz besorgt oder befürchten Lärmbelästigung. Einige Protestgruppen gegen Windkraft- und Netzausbau sowie den Kohleausstieg suchen den Beistand von populistischen Akteuren. Im Ergebnis wird der Protest dadurch zu einer Fundamentalopposition gegen die Energiewende und nimmt an Härte zu. Der politische Gegner, der andere Ansichten hat, wird zum Feind. Umgekehrt suchen gerade rechtspopulistische Akteure ganz gezielt die Nähe zu Gegner:innen von Energiewendevorhaben. Und auch Aktivist:innen für Klimaschutz und Energiewende bedienen sich bisweilen populistischer Argumentation. Das Ganze ist also kompliziert und komplex, braucht dementsprechend einen scharfen Blick, wann Protest für oder gegen ins Populistische abgleitet.

Beate Küpper: Es gibt auch jede Menge Verschwörungsmythen rund um den Klimawandel, die der Populismus kräftig anheizt und für sich nutzt. Die grundsätzliche Leugnung eines Klimawandels ist inzwischen fast überholt, auch, dass der rasante Klimawandel menschengemacht ist, wird, anders als noch vor zehn Jahren, nur noch einer kleinen Minderheit bezweifelt. Verbreitet ist derzeit eher das Lächerlichmachen der Versuche, den Klimawandel aufzuhalten, damit verbunden der Maßnahmen für erneuerbare Energien. Immerhin rund ein gutes Fünftel der Bevölkerung hält die Behauptung, „Studien, die einen Klimawandel belegen, sind meist gefälscht.“ Für zumindest teils-teils, eher oder ganz zutreffend. Wer dies vermutet, neigt auch eher ganz allgemein zu Verschwörungsglauben, der hinter diversen Krisen eine kleine, heimlich die Stippen ziehende Gruppe vermutet, was leider nicht selten auch antisemitische Züge trägt.

Fritz Reusswig: Gefordert wird ein zurück zu Kohle und Öl, ebenso wie ein Zurück zur Atomkraft. Begriffe wie „Gutmenschen“ fallen, die Engagement für Klimaschutz als naive Ideologie verspotten. Daher nennen sich Akteure gegen die Energiewende zum Beispiel „Vernunftkraft“ und geben sich den Anschein von Wissenschaftlichkeit, auch wenn sich bei näherem Hingucken darin wenig Wissenschaftliches findet. Sie nähren sich aus der verkündeten Gegnerschaft zur „etablierten Wissenschaft“ ebenso wie zu „etablierter Politik und Parteien“, versprechen „Alternativen“. Ihre Logik und ihre Argumentation folgen dabei ganz klassisch dem Populismus.

 

Frage: Was macht denn einen Energiewende-Populismus aus?

Fritz Reusswig: Es gibt zwei Zentralachsen: Erstens die Kritik an den politischen Eliten, die die angebliche „Mehrheit“ des Volkes betrügen (z. B. weil es vermeintlich gar keinen menschgemachten Klimawandel gibt) und auf deren Kosten Politik machen (z. B. eine EEG-Umlage erhoben haben), zweitens eine moralisch aufgeladene Gegnerschaft gegen vorgebliche gesellschaftliche „Minderheiten“, die für die Energiewende sind – aus Profitgier oder aus ideologischer Verbohrtheit. Oft wird diese gesellschaftliche Spannung auch als Gegensatz zwischen Stadt und Land gerahmt: urban-grüne Schichten beuten die ehrliche Landbevölkerung aus und zerstören deren Landschaft. Verbunden ist dies mit einer besonderen Form von Wissenschaftsskepsis einerseits, andererseits mit der Forderung nach einer Expertokratie, in der es nur den richtigen Experten bräuchte, der die Lösung kenne. 

Beate Küpper: Darauf aufbauend haben wir einen Indikator entwickelt, der populistische Einstellungen zu Klimaschutz, Energiewende und den Konflikten erfasst. Wer „nur“ gegen ein bestimmtes Projekt ist – zum Beispiel eine Windkraftanlage -, weil er oder sie z. B. den lokalen Naturschutz höher bewertet als den Klimaschutz, gilt noch nicht automatisch als populistisch. Als populistisch eingestellt gelten Personen, die die gesamte populistische Rahmenerzählung teilen und damit in eine Fundamentalopposition gehen, auch gegen Fakten. Diese Menschen vermuten beispielsweise, über den Ausbau der Windenergie wollten sich Unternehmen und Politik nur bereichern. Und behaupten zugleich, „das einfache Volk ist gegen die Energiewende“ und fordern eine Rückkehr zur „bewährten Energieversorgung“. Darin spiegelt sich nicht nur Misstrauen gegenüber Eliten und die Behauptung eines homogenen Volks, sondern auch Nostalgie. Die Faktizität der Klimakrise soll durch eine etwas altväterliche Beschwichtigung einfach wegignoriert werden. Insgesamt teilt rund ein Fünftel der Bevölkerung einen solchen Energiewende-Populismus. Bemerkenswert ist, dass hierfür die eigene Betroffenheit von Energiewendemaßnahmen so gut wie keine Rolle spielt. Menschen, die in Regionen leben, in denen es Windparks, Biogas, Solaranalagen auf Freiflächen oder Stromtrassen gibt, sind im Durchschnitt kaum häufiger populistisch mit Bezug zur Energiewende eingestellt. Viel wichtiger ist etwa, was das eigene soziale Umfeld für Ansichten vertritt. Es gibt Regionen und Freundeskreise, die für die Energiewende sind und solche, die dagegen sind und die dann auch eher populistische Ansichten diesbezüglich vertreten.  

 

Frage: Was bedeutet das für Politik und Gesellschaft?

Fritz Reusswig: Gerade angesichts des Ukraine-Krieges hat sich die Notwendigkeit des Ausbaus der Erneuerbaren noch einmal verstärkt. Die Politik darf aus unserer Sicht nicht nur beschleunigen, sie muss sich auch um Akzeptanz bemühen. Und in diesem Zusammenhang ist es extrem wichtig zu wissen, wer aus welchen Gründen dagegen ist. Klar ist auch: Die große Mehrheit der Bevölkerung ist für die Energiewende und vielen geht die Energiewende zu langsam. Gefordert werden aber mehr dezentrale Lösungen. Wichtig für den Ausbau sind Möglichkeiten für Bürger:innen, sich an der Energiewende zu beteiligen und die Lasten gerechter zu verteilen. Passiert das, ist auch die Akzeptanz beispielsweise von Windrädern viel größer, selbst wenn sie in Sichtweite stehen. Beschleunigung und Beteiligung müssen enger zusammen gedacht werden – das ist gut für den Klimaschutz und die Demokratie.


Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2022 – Nachgefragt!​


Weiterführende Informationen:

  • Das Projekt DEMOKON – Eine demokratische Konfliktkultur für die Energiewende
  • Ökologie und Demokratie. Ausgabe Mai 2022: Aus Politik und Zeitgeschichte, 72. Jahrgang, 21–22/2022, 23.. Bundeszentrale für politische Bildung.
  • Die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung mit einem Kapitel zu (populistischen) Einstellungen der Bevölkerung zu Klimawandel und Energiewende: Zick, Andreas/Küpper, Beate (Hrsg.): Die geforderte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2020/21. Hg. für die Friedrich-Ebert-Stiftung v. Franziska Schröter. Bonn: Dietz Verlag 2021.
  • Klimafakten – Ein Portal mit zuverlässigen Fakten zum Klimawandel, seinen Folgen und zur Kommunikation darüber.

 

Vita

Dr. habil. Fritz Reusswig ist Umweltsoziologe, studierte Soziologie und Philosophie an der J.W. Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seit 1995 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und lehrt Umweltsoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Humanökologie.

Vita

Dr. Beate Küpper ist Sozialpsychologin und Professorin für Soziale Arbeit in Gruppen und Konfliktsituationen und stellvertretende Leiterin des Institut SO.CON – Social Concepts – an der Hochschule Niederrhein. Sie ist Ko-Autorin der von der Friedrich-Ebert-Stiftung geförderten Mitte-Studie zu demokratiegefährdenden und rechtsextremen Einstellungen in Deutschland.