Weltgesundheitstag 2022: Quo vadis, Zahnimplantat?

07.04.2022
Kurz und knapp

Nachwachsende Zähne und Kieferknochen aus dem 3-D-Drucker: Was die Zukunft der Zahnmedizin und insbesondere der Zahnimplantate bringen könnte, verrät uns die Biotechnologin Dr. Jennifer Rosowski anlässlich des Weltgesundheitstages im Interview.

Zähne aus dem Labor?

Im Labor gezüchtete, lebendige Zähne statt in den Kiefer eingesetzte Titan-Implantate, wie wir sie bisher kennen: Was nach Science-Fiction klingt, könnte in Zukunft Realität werden – denn Forschende arbeiten bereits an entsprechenden Verfahren. Forschende wie Dr. Jennifer Rosowski, wissenschaftliche Koordinatorin des gerade entstehenden Forschungsbaus „Der Simulierte Mensch“ (Si-M) der TU Berlin und der Charité. In ihrer Doktorarbeit untersuchte die Biotechnologin ein Verfahren, mit dem im Labor gezüchtete Zähne eines Tages möglich werden könnten.
 

Am Anfang war das Haar

Inspiration für Dr. Rosowskis Dissertationsthema war allerdings ein ganz anderes Organ: das Haar. Einem Kollegen ihrer Forschungsgruppe zum Thema Kleinstorganentwicklung gelang es erstaunlich gut, einen Haarkeim im Labor zu züchten – was die Überlegung mit sich brachte, dies auch einmal mit Zähnen zu versuchen.

„Zähne sind Haaren – und auch Federn – entwicklungsbiologisch sehr ähnlich“, erklärt Dr. Rosowski. Der Hintergrund: Beim natürlichen Ausbilden dieser Organe gibt es immer zwei Gewebstypen, die übereinanderliegen. „In der Embryonalphase passiert dann ein ganz wichtiger Schritt: Es verdichten sich Zellen, die sich zu einem Signalzentrum ausbilden – an der Stelle, an der ein Haar oder ein Zahn wachsen oder ein Federkiel herauswachsen soll. Der Startpunkt der Entwicklung der Organe ist immer gleich, aber was sich letztendlich genau daraus entwickelt, das hängt davon ab, wo im Körper das induziert wurde und welche Zellen genau dabei eine Rolle gespielt haben.“ Bei der Bildung dieser Organe kommunizieren also verschiedene Gewebe miteinander und bestimmen so gemeinsam, wohin die Entwicklung gehen soll – also ob zum Beispiel ein Schneidezahn oder ein Backenzahn oder eben auch ein Haar entsteht.


Startpunkt erfolgreich nachgestellt

Genau diesen Startpunkt, das erste Signalzentrum, versuchte Dr. Rosowski im Rahmen ihrer Doktorarbeit für das Organ Zahn im Labor nachzubilden – mit Erfolg. Sind nachwachsende Zähne also etwas, das uns der Zahnarzt bald verschreibt? So weit geht die Wissenschaftlerin nicht: „Die zweite Voraussetzung neben dem Signalzentrum, damit sich ein Zahn bildet, ist die richtige Umgebung. Das ist generell in der Forschung regenerativer Medizin die größte Herausforderung: die ideale Umgebung zu schaffen, damit es über das erste Stadium hinausgeht. Die Dreidimensionalität – also, dass unser Kiefer, oder beispielsweise bei der Haut die Blutgefäße und Nervenbahnen, das Wachstum des kompletten Organs stimulieren – das kann man im Moment im Labor nicht vollständig nachstellen.“


Verschiedene Praxisszenarien denkbar

Grundsätzlich möglich wären nachwachsende Zähne in Zukunft aber, sagt Dr. Rosowski – erste Testungen mit menschlichen Probandinnen und Probanden wären sogar innerhalb der nächsten Jahre denkbar. Die schönste und einfachste Vision für nachwachsende Zähne in der Praxis sei es, so Dr. Rosowski, ein im Labor gezüchtetes Signalzentrum direkt zu implantieren – und ein neuer Zahn würde an dieser Stelle wachsen. „Vorausgesetzt, dass das dann die richtige Stelle ist. Würde man sowas unter den Fuß implantieren, würde daraus kein Zahn wachsen.“ Es gebe aber auch andere Ansätze in der Forschung, um einen Zahn komplett in der Zellkulturschale entstehen zu lassen: „Das sind eher komplexere Modelle, bei denen auch additive Verfahren eine Rolle spielen. Der Biodruck von dreidimensionaler Umgebung zum Beispiel – man würde den Zahn in solch biogedrucktem Gewebe wachsen lassen und dann implantieren.“ Andere Überlegungen gehen in Richtung Teildruck, bei dem zum Beispiel nach einer Wurzelbehandlung biogedruckte, lebendige Zellen in die Wurzel eingebracht werden und der Zahn so wieder zum Leben erweckt wird.


Neue Verfahren eröffnen neue Möglichkeiten

Dass additive Verfahren wie der 3-D-Biodruck – bei dem aus Biotinte, die zum Beispiel aus Proteinen des menschlichen Körpers besteht, lebendiges Gewebe entsteht – in der Zukunft der Zahnmedizin entscheidend sein werden, steht für Dr. Rosowski fest. So gebe es zum Beispiel auch erste Ansätze des Knochendrucks, der etwa in der Kieferimplantologie zum Tragen kommen könnte.

Und auch klassische Zahnimplantate, an denen ebenfalls stetig geforscht wird und die schon heute eine sehr gute Alternative zu echten Zähnen seien, würden vom 3-D-Druck und den damit einhergehenden neuen synthetischen Materialien profitieren. Künstliche Implantate haben nämlich gegenüber natürlichen Zähnen einen Nachteil: Sie leben nicht, anders als der Kiefer. Sie dämpfen auch den Biss auf harte Materialien wie Kerne oder Steinchen weniger gut ab, und Entzündungsreaktionen nach dem Implantieren können auftreten. Mit den derzeit erforschten Verfahren könnte sich dies aber noch weiter verbessern – sodass „die Lücke zwischen natürlichem Zahn und Implantat kleiner wird.“

 

Weitere Informationen:

Fachartikel zum Thema Organregeneration und Zahn finden Sie in englischer Sprache hier und hier, mehr Informationen zum Biodruck in diesem Beitrag.

 

Vita

Frau Dr. Jennifer Rosowski hat an der Technischen Universität Berlin im Fachgebiet der Medizinischen Biotechnologie promoviert und im Anschluss Wissenschaftsmanagement studiert.
Derzeit ist sie wissenschaftliche Koordinatorin des gemeinsamen Forschungsbaus der Charité – Universitätsmedizin Berlin und Technischen Universität Berlin, „Der Simulierte Mensch“ (Si-M), in dem ab 2024 Ingenieurstechnik und Medizin kooperieren sollen.