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Wie entwickelt sich unser IQ?

17.01.2023
Kurz und knapp

Der nach einem Psychologen benannte „Flynn-Effekt“ besagt, dass der Durchschnitts-IQ pro Jahr um 0,3 Punkte ansteigt, wir also immer schlauer werden. Schon weil das analytische Denken, wie es bei IQ-Tests gefragt ist, immer mehr in unseren Alltag einzieht und wir unseren IQ sogar gezielt steigern können. Seit ein paar Jahren zeichnet sich allerdings ein gegenteiliger Effekt ab. Die Ursachenforschung läuft auf Hochtouren.

Wir werden immer schlauer

James Flynn (1934–2020), ein amerikanisch-neuseeländischer Psychologe und Politologe, stellte in den 1980er-Jahren fest, dass der durchschnittliche Intelligenzquotient in der Bevölkerung pro Jahr um 0,3 Punkte steigt. Anders ausgedrückt: Wir werden immer schlauer. Ein Phänomen, das als „Flynn-Effekt“ bekannt wurde. Auf zehn Jahre hochgerechnet macht es einen um drei Punkte höheren IQ aus, nach einem Jahrhundert sind es dann satte 30 Punkte. Forschende der Universität Wien haben diesen Effekt vor ein paar Jahren in einer Meta-Analyse mit Daten von vier Millionen Menschen aus 31 Ländern bestätigt.

In einer Sendung von Deutschlandfunk Nova erzählte der Frankfurter Neurowissenschaftler Henning Beck, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Fragen der IQ-Tests mit den Jahren schwieriger gestalten mussten, damit der Durchschnittsmensch auch weiterhin bei durchschnittlichen 100 Punkten landet: „Tatsächlich waren die Menschen vor hundert Jahren aber nicht dümmer, sondern uns fällt es heute sehr viel leichter, IQ-Aufgaben zu lösen.“ 

 

Wir denken anders als unsere Vorfahren

Über die Gründe des Flynn-Effekts gibt es nur Vermutungen. Etwa, dass die Menschen heute abstrakter und analytischer denken als früher. So sind wir durch die Bilderflut der Medien besser im Einordnen, im Muster-Erkennen als frühere Generationen – in Aufgaben, wie sie in klassischen IQ-Tests abgefragt werden. Auch im Job sind analytische Fähigkeiten immer mehr gefragt und werden immer mehr trainiert. „Wir sind gewohnt zu denken, dass wir die Welt klassifizieren müssen, um sie zu verstehen, und wir nutzen bereitwillig abstrakte Logik“, hatte schon James Flynn gemutmaßt. Eine bessere Schulbildung und die Ernährung könnten ebenfalls eine Rolle spielen. Nicht zuletzt finden sich Knobelaufgaben, wie sie für IQ-Tests typisch sind, in zahlreichen Büchern, Illustrierten und Videospielen. Wer sich darin vertieft, kann seinen IQ-Wert verbessern. Nicht, indem er oder sie Lösungen auswendig lernt, sondern mit den Lösungswegen vertrauter wird. 

 

Intelligenz misst sich anders als Gewicht

Aber warum ist es den Forschenden so wichtig, dass der Durchschnittsmensch einen IQ von 100 hat? Warum nicht einen von 130? Intelligenz ist keine absolute Maßeinheit wie etwa Gewicht oder Körpergröße. Intelligenz ist das, was ein IQ-Test misst. Das ist zumeist die Fähigkeit zum logischen Denken und Problemlösen. Doch auch andere Schwerpunkte wie räumliches Denkvermögen oder verbales Verständnis sind möglich. Emotionale und musikalische Intelligenz beispielsweise fallen durchs Raster.

Wie wichtig das ständige Nachjustieren der IQ-Norm ist, dafür führte Flynn die US-Justiz als Beispiel an. In einigen Bundesstaaten, in denen noch die Todesstrafe gilt, wird diese für Menschen mit geistiger Behinderung ausgesetzt. Legt der psychologische Gutachter allerdings einen veralteten Norm-IQ zugrunde, kann es passieren, dass eine geistige Unzurechnungsfähigkeit übersehen und ein Todesurteil unrechtmäßig vollstreckt wird.

 

Wir werden immer dümmer

Unser individueller IQ steht immer im Verhältnis zum Durchschnitts-IQ der Gruppe – und dieser ist stets bei 100 justiert. Angenommen, eine Siebenjährige erzielt bei einem IQ-Test ein Ergebnis von 120 und wird mit 13 Jahren erneut getestet, kommt dann aber nur auf einen Wert von 100. Dies bedeutet nicht, dass sie dümmer geworden wäre. Im Gegenteil: Die Intelligenz des Mädchens hat sich weiterentwickelt. Aber langsamer im Vergleich zu ihrer Vergleichsgruppe, den anderen Kindern ihrer Altersklasse, die an ihr vorbeigezogen sind.

Kurioserweise scheint sich der Flynn-Effekt aber kurz vor der Jahrtausendwende in einigen, vor allem nördlichen Industrienationen umgekehrt zu haben. Der IQ sinkt von Jahr zu Jahr leicht, bislang um gut zwei Punkte. Auch hierzu gibt es verschiedene Theorien, aber keine Beweise. So könnte der Grund für dieses Phänomen daran liegen, dass der Anteil der Über-60-Jährigen an IQ-Tests gewachsen ist, deren kognitive Fähigkeiten naturgemäß nachlassen. Zudem könnte es an Veränderungen in den Bereichen Ernährung, Bildung oder Medienkonsum liegen, an der Bevölkerungsstruktur, an Familienstrukturen. Auch eine immer stärkere Spezialisierung des Wissens, die zulasten der Allgemeinbildung geht, könnte eine Rolle spielen. Das würde mehr Spitzenleistungen in einzelnen Bereichen bedeuten, auf Kosten des Durchschnitts-IQ.

Werden wir also immer klüger oder immer dümmer? Es kommt drauf an, wen man fragt.

 

Der Beitrag „Intelligenz-Höhepunkt erreicht – wir werden wieder dümmer“ von Deutschlandfunk Nova: