Kultur, Wissen, Bildung

Wie bleibt die Wissenschaft in Bewegung?

14.09.2022
Kurz und knapp

Die Welt verändert sich und mit ihr die Interessen der Forschenden und die Möglichkeiten, Fragen zu stellen und sie zu beantworten. Doch wissenschaftliche Erkenntnisse sind immer vorläufig. Obwohl heute mehr Forscherinnen und Forscher arbeiten als in der ganzen Geschichte der Menschheit zusammen, gehen ihnen die Fragen wohl nicht aus.

Die hier beantwortete Frage wurde eingereicht von Kathrin Rosi Würtz, einer unserer „Fragenden im Porträt“. Welche Geschichte hinter der Frage steckt und was Frau Würtz motivierte, sie zu stellen, erfahren Sie hier.

 

Inseln im Meer der Unwissenheit

Auch wenn über die Gestalt der Erdkugel nicht mehr gestritten werden muss, sind doch noch immer sehr viele Fragen offen. So viele, dass das alte Bild von der Insel des Wissens im Meer der Unwissenheit die Lage noch immer gut beschreibt. So ist zum Beispiel erst in Ansätzen verstanden, wie das menschliche Gehirn funktioniert, die Natur der dunklen Materie ist unbekannt und weder Krebs noch Pandemien sind besiegt. Wo immer man zu fragen beginnt, ist es nie weit bis zum ersten: Das wissen wir nicht.

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Die Antworten, die Forschende auf ihre Fragen finden, sind selten erschöpfend. Vielmehr führen sie meistens zu noch mehr Fragen, weil im Zuge der Forschung neue Phänomene oder Zusammenhänge entdeckt werden.

Das liegt auch daran, dass sich die Möglichkeiten der Forschung verändern. Weil es immer größere Teleskope und Teilchenbeschleuniger gibt, immer leistungsstärkere Mikroskope und Computer, immer feinere Sensoren, immer bessere psychologische Testverfahren, können neue Fragen gestellt und manche alten noch einmal neu oder überhaupt erst diskutiert werden. Auch neue Möglichkeiten internationaler Zusammenarbeit und der immer selbstverständlicheren Kooperation über die Fächergrenzen hinweg spielen hier eine Rolle.

 

Die Welt verändert sich und mit ihr die Forschungsfragen

Ein weiterer Grund dafür, dass die Wissenschaft nicht zur Ruhe kommt, liegt darin, dass sich die Forschenden zu verschiedenen Zeiten für unterschiedliche Dinge interessieren: Lange wurde Geschichte aus der Perspektive der Herrschenden geschrieben, was längst als unangemessen gilt. Heute stehen Fragen der Umweltgeschichte, der Globalgeschichte oder der Geschichte von Minderheiten im Mittelpunkt.

Man nahm an, es könne eine Medizin für alle geben, jetzt ist klar, dass in vielen Bereichen zum Beispiel männliche und weibliche Körper unterschiedlich reagieren und unterschiedliche Therapien benötigen. Gen-Analysen machen Hoffnung auf individualisierte Krebstherapien.

Manchmal kommt all das zusammen: Neue Methoden lenken die Aufmerksamkeit auf bisher unbekannte Phänomene, die eine etablierte Theorie nicht gut erklärt; neue Erklärungsansätze werden entwickelt, eine junge Generation von Forschenden ist bereit, Altbekanntes infrage zu stellen. Dann entsteht unter Umständen eine ganz neue Perspektive, in der viele bestehende Erklärungen noch einmal aufgerollt werden.

Zusammenfassend gilt: Die Wissenschaft findet keine absoluten Wahrheiten, sondern stellt Theorien auf, die die Beobachtungen erklären, bis es möglicherweise eine andere Theorie besser macht.

 

Kritik an der Wissenschaft

Die Wissenschaft ist auch kritischen Stimmen ausgesetzt: Da sind die Bestrebungen von Extremisten und Fundamentalistinnen, Wissenschaft zu relativieren und abzuwerten, etwa mit der Rede von „alternativen Fakten“. Da ist das Problem, der Öffentlichkeit zu vermitteln, dass wissenschaftliche Wahrheit immer nur vorläufig sein kann, oft von Wahrscheinlichkeiten handelt und dennoch wertvoll ist. Da ist die These, dass wir aufhören könnten, die Welt zu verstehen, weil in immer mehr Bereichen statistische Datenanalysen an die Stelle echter Erklärungen treten. Auch die sogenannte Replikationskrise, die Erkenntnis, dass die Ergebnisse vieler Studien sich nicht wiederholen lassen und deshalb als unwissenschaftlich gelten müssten, führt zu Kritik.

Immer wieder einmal haben übereifrige Fachleute behauptet, alle großen Rätsel seien gelöst und es gehe nur noch darum, Kleinigkeiten zu ergänzen. Bislang lagen sie immer falsch. Dass die menschliche Neugier an ein Ende gelangen könnte, ist nicht abzusehen.

Der Wissenschaftsphilosoph Martin Carrier über „Wissenschaft im Wandel: Ziele, Maßstäbe, Nützlichkeit“. 

Interview mit der Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston über die Natur der Wissenschaft finden Sie hier

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2 Artikel  ·  Gesundes Leben, Medizin, Pflege
43 JahreNordrhein-Westfalen14.01.2022