Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Sicherheit

Wie kommen wir weg vom ständigen Wachstumsdogma in der Volkswirtschaftslehre?

12.09.2022
Kurz und knapp

Wenn die Wirtschaft schwächelt, reagieren Politikerinnen und Unternehmerinnen besorgt, denn ein wachsendes Bruttoinlandsprodukt (BIP) gilt als Garant unseres Wohlstands. Nur wenn ein Land wirtschaftlich immer mehr leiste, sei alles in Ordnung. Doch muss die Wirtschaft wirklich immer wachsen? Wir haben doch schon alles. Die Forschung zeigt, dass es sich lohnt, die Idee eines andauernden Wachstums zu hinterfragen.

Die hier beantwortete Frage wurde eingereicht von Benedikt Krieger, einem unserer „Fragenden im Porträt“. Welche Geschichte hinter der Frage steckt und was Herr Krieger motivierte, sie zu stellen, erfahren Sie hier.

Immer weiterwachsen

Wenn wir viele Güter produzieren, steigt das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Unternehmen erzielen höhere Umsätze, können mehr Mitarbeitende einstellen und in Neuerungen investieren. Geht die Produktion zurück, schwächelt die Wirtschaft. Das BIP sinkt, für Neueinstellungen und Investitionen fehlt das Geld. Somit erzielt auch der Staat weniger Steuern und wird seinen Aufgaben schlechter gerecht. Eine Krise droht.

Dieser Zusammenhang macht klar, warum Politikerinnen und Ökonomen am BIP-Wachstum festhalten. „Im Deutschen Bundestag sitzt keine Partei mit einem anderen Ziel, als das Wirtschaftswachstum zu steigern“, sagt Niko Paech, außerplanmäßiger Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Siegen. „Auch in der Volkswirtschaftslehre besteht dieses Dogma, doch wir streiten immerhin darüber.“

 

Wir müssen reden!

Um der Maxime des Wirtschaftswachstums etwas entgegen zu setzen, ist dem Wissenschaftler Aufklärung wichtig. Postwachstumsökonomen wie er halten Vorlesungen, geben Interviews und schreiben Bücher. Sie unterstreichen, dass das Wirtschaftswachstum von einem steigenden Ressourcenverbrauch abhängig ist, denn vereinfacht gilt: Wir verbrauchen mehr Rohstoffe, je stärker die Wirtschaft wächst. Zum Beispiel mehr Holz für eine wachsende Papierindustrie und mehr Sand, um Beton für den boomenden Bausektor herzustellen. Die unerwünschte Nebenwirkung: Wenn wir zunehmend Bäume fällen oder Sand fördern, zerstören wir wertvolle Lebensräume und Arten. Würden alle Menschen weltweit so viele Ressourcen verbrauchen wie die Deutschen, bräuchten wir drei Erden. Dass das so nicht weitergehen kann, ist klar.

Können wir Wachstum ermöglichen, das nicht mehr mit einem steigenden Ressourcenverbrauch verbunden ist, also grünes Wachstum? Das kann tatsächlich funktionieren wie ein Blick auf moderne Kühlschränke, Waschmaschinen und Lampen zeigt. Sie verbrauchen viel weniger Strom als Haushaltsgeräte vor 20 Jahren, sparen also Ressourcen wie Kohle oder Gas. „Uns fehlen aber die Beweise, dass es gelingt, Wachstum und Ressourcenverbrauch generell zu entkoppeln, ohne die Schäden einfach nur zu verlagern“, sagt Niko Paech. Stattdessen scheint die Entkopplung auf absehbare Zeit nicht zu gelingen.

 

Geplante Obsolenz und Rebound-Effekt

Dafür gibt es Gründe. Erstens die geplante Obsolenz: Sie erklärt, warum heutige Haushaltsgeräte oft viel schneller kaputt gehen als vor zwei, drei Jahrzehnten. „Unternehmen, die ihre Verkäufe auf Teufel komm raus steigern wollen, versuchen Produkte so zu entwerfen, dass sie nach relativ kurzer Zeit nicht mehr funktionieren“, schreibt Jason Hickel in „Weniger ist mehr“, Buch des Jahres der Financial Times. Es liegt auf der Hand, dass der Toaster oder der Fön noch so energiesparend sein können – wenn schnell ein neues Gerät angeschafft werden muss, ist die ganze Energieersparnis umsonst. Denn für neue Waren müssen neue Materialien gefördert, verarbeitet und transportiert werden. Das erfordert große Mengen zusätzlicher Energie. „Natürlich brauchen wir energiesparende Geräte und neue Technologien, doch gleichzeitig müssen die Konsum- und Mobilitätsansprüche deutlich reduziert werden“, fordert Niko Paech. Dass wir um Verzicht nicht herumkommen, ist eine wichtige Botschaft, die ankommen sollte.

Zweitens der Rebound-Effekt. Er kann auftreten, wenn Effizienzsteigerungen dazu führen, die Kosten für Produkte oder Dienstleistungen zu senken. Es kann sein, dass Nutzerinnen und Nutzer dann plötzlich mehr verbrauchen - die Energieersparnis wird somit aufgehoben. „Beispiele sind der konstante Pro-Kopf-Energiebedarf trotz effizienter Haushaltsgeräte, die Mehrfahrten spritsparender Pkw und die längere Brenndauer moderner Lampen“, schreibt Dr. Elisabeth Dütschke vom Fraunhofer-Institut für System und Innovationsforschung ISI in ihrem Blog.

 

Gegenmodelle einrichten und beobachten

Welche weitere Maßnahme trägt dazu bei, vom Dogma des andauernden Wirtschaftswachstums wegzukommen? „Benötigt werden Reallabore “, sagt Niko Paech, „in denen Versorgungsformen und Lebensstile erprobt werden, die es erlauben, produktionslos zu wirtschaften“, beispielsweise Einrichtungen, in denen alte Möbel upgecycelt werden oder kaputte Geräte repariert. „Es geht auch darum, Menschen zu befähigen, sich besser um ihre Dinge zu kümmern. Wenn Sie etwa den Lüfter Ihres Notebooks selbst reinigen, können Sie die Nutzungsdauer deutlich verlängern“, so der Ökonom. 

Die solidarische Landwirtschaft ist eine weitere Alternative, die es besser zu erforschen gilt. Gruppen engagierter Privatpersonen übernehmen dabei die Kosten eines Bauernhofes und sichern ihn finanziell ab. In der Regel sind Höfe beteiligt, die umweltfreundlich wirtschaften und es Laien ermöglichen, mitzuhelfen. Erwiesenermaßen ist das oft mit einem Zuwachs an Lebensqualität verbunden. Mehr Zufriedenheit und ein besserer Schutz des Planeten sind starke Argumente, die Menschen bringen sollten, um die Idee eines immerwährenden Wirtschaftswachstums auf den Prüfstand zu stellen.

Im Interview mit dem BR kritisiert Niko Paech das herrschende Wirtschaftsmodell.