Es muss nicht immer Insulin sein

Motivationstraining für Diabeteskranke hilft bei der Änderung des Lebensstils.

Einen Tag vor Weihnachten fiel er beim Abendbrot vom Stuhl. Manfred Blindenhöfer traf es aus heiterem Himmel, ganz plötzlich war ihm schlecht geworden. Im Krankenhaus die Diagnose: Diabetes. Blindenhöfer hatte einen Blutzuckerwert von 450 Milligramm pro Deziliter (mg/dl), normal sind nüchtern weniger als 100 mg/dl und nach dem Essen weniger als 140 mg/dl. Für den Düsseldorfer war das ein Schock. Nie hatte er Anzeichen für eine Krankheit gespürt.

Zwei Jahre ist das her. Seitdem hat Manfred Blindenhöfer sein Leben verändert. Der 66-Jährige isst jetzt viel Gemüse, Salat, Vollkornbrot, helles Fleisch oder Fisch. Keine Pizza, kein Bier, kein Wein. Einmal in der Woche gönnt er sich einen Riegel Schokolade, aber auf keinen Fall eine ganze Tafel. „Das ist mir anfangs sehr schwer gefallen“, sagt er. Aber mittlerweile mache es ihm nichts mehr aus, anderen Menschen beim Grillen oder Eis essen zuzusehen.

Manfred Blindenhöfer hat 36 Kilo abgenommen, wiegt aktuell 92 Kilo statt 128 und bewegt sich viel. Denn Übergewicht und ungesunde Ernährung sind die Hauptursachen für die Entstehung von Diabetes. „Ich habe die Krankheit besiegt“, sagt Blindenhöfer. Aber er weiß, dass er nicht wieder in den alten Trott zurückfallen darf. „Ich muss weiter gesund leben.“

Diabetes mellitus ist eine Stoffwechselstörung, und früher galt sie als unheilbar. Heute weiß man, dass viele Patienten sich selbst helfen und die Blutzuckerwerte durch eine dauerhafte Umstellung der Ernährung deutlich senken können. Bei Manfred Blindenhöfer ist nur noch eine Vorstufe zum Diabetes nachweisbar. „Er hat nur in der Akutphase nach seiner Einlieferung Insulin gespritzt bekommen und auch nur für eine begrenzte Zeit Tabletten genommen“, erklärt Prof. Dr. Stephan Martin, Chefarzt für Diabetologie des Verbundes der Katholischen Kliniken Düsseldorf (VKKD) und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums (WDGZ) in Düsseldorf.

Stephan Martin hatte schon 2009 kritisiert, die Diabetes-Therapie sei zu oft auf Insulin ausgerichtet. Der Chefarzt setzt auf ein spezielles Motivationstraining, entliehen aus dem Spitzensport, um Patienten bei einer Änderung des Lebensstils zu unterstützen. Positive Gedanken werden hierbei trainiert. Treppensteigen etwa wird dann nicht mehr mit Anstrengung und Atemnot verbunden, sondern als Stärkung des Körpers und als Verhalten, das Respekt hervorruft. Angehörigen rät Prof. Martin, auch ältere Patienten mit manifestem Diabetes nicht in Watte zu packen: „Mit Bewegung kann man so viel erreichen. Selbst Patienten mit Herzschwäche können, nach Rücksprache mit ihrem Arzt,  Fahrrad fahren.“ Damit sinken auch die finanziellen Aufwendungen für die Behandlung. Denn gesunde Ernährung und Bewegung kosten viel weniger als eine Therapie mit Insulinspritzen und Medikamenten.

Doch manche Patienten, so kritisiert Stephan Martin, „kennen die Werte ihres Autos besser als ihre Blutzuckerwerte.“ Für Manfred Blindenhöfer gilt das nicht. Er misst seinen Blutzucker immer selbst und geht regelmäßig alle zwei bis drei Monate zur Kontrolle. „Jetzt habe ich einen Langzeitwert von 5,4“, sagt er stolz. Das ist der HbA1c-Wert, ein Blutzucker-Langzeitgedächtniswert: Das Hämoglobin A1c gibt die durchschnittliche Blutzuckerkonzentration der letzten zwei Monate an. Gute Werte liegen unter 7,5 Prozent, sehr gute unter 6,5 Prozent. „Das geht alles“, sagt Manfred Blindenhöfer.

Mindestens sieben Millionen Menschen mit einem diagnostiziertem Diabetes gibt es in Deutschland, 90 Prozent davon haben Typ-2-Diabetes. Die Zahlen steigen stetig. Heute sind rund zehn Prozent der Deutschen betroffen, 1960 waren es nur ein Prozent. Und da viele Menschen nicht wissen, dass sie unter erhöhten Blutzuckerwerten leiden, schätzen Experten die tatsächliche Zahl der Diabetiker in Deutschland auf rund 15 Millionen.Diabetes mellitus ist eine Stoffwechselkrankheit. Zucker im Blut ist grundsätzlich notwendig, denn Zucker (Glukose) ist der wichtigste Energielieferant. Die Menge wird durch Hormone reguliert, unter anderem durch Insulin. Insulin sorgt dafür, dass der Zucker für die Körperzellen nutzbar wird. Wird wie beim Diabetes Typ-1 nicht genug körpereigenes Insulin gebildet oder wirkt es wie beim Diabetes Typ-2 nicht richtig, dann leiden die Zellen unter Glucosemangel, während im Blut die Zuckerkonzentration ansteigt (Hyperglykämie genannt). Die hohen Blutzuckerwerte tun nicht weh, aber sie schädigen auf Dauer die Gefäße und können so zu Folgeerkrankungen führen. Das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall steigt, auch Nieren, Augen und Nerven können geschädigt werden.

 

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