Wie selten ist eigentlich selten?

 

Wie selten ist eigentlich selten?

Sie sind die Waisenkinder der Medizin: Menschen, die unter einer Seltenen Krankheit leiden. Für ihr Umfeld gelten sie oft als Exoten, für Mediziner bleiben sie so lange ein Rätsel, bis die lange Suche nach der richtigen Diagnose endlich eine Erklärung bringt. Aber längst nicht für jeden Betroffenen gibt es dann eine Therapie.  

Fast jeder hat schon einmal von einer Seltenen Krankheit gehört. Da sind die Menschen mit auffallend weißer Haut, die an Phenylketonurie (PKU) leiden, einer angeborenen Stoffwechselstörung, die das Gehirn schädigen kann. Oder die Kinder, die aussehen wie Greise, sie leiden an „Progerie“ – einem genetischen Defekt, der die Stabilisierung der Zellwände stört. Oder der bekannte Physiker Stephen Hawking, der nur noch über einen Sprachcomputer mit anderen kommunizieren kann, betroffen von der Nervenerkrankung „Amyotrophen Lateralsklerose“.  

Nach Angaben des europäischen Netzwerks für Seltene Krankheiten (Orphanet) werden in der medizinischen Fachliteratur jede Woche etwa fünf neue Erkrankungen erstmals beschrieben. Dabei gilt die Definition: Ist nicht mehr als einer von 2.000 Menschen von einem spezifischen Krankheitsbild betroffen, gilt diese als selten. Rund 30.000 Krankheiten sind weltweit bekannt, davon zählen 6.000 bis 8.000 zu den Seltenen Erkrankungen, auch "Orphan Diseases" genannt.  

Dabei sind die seltenen Krankheiten gar nicht so selten: Allein in der EU sind schätzungsweise bis zu 36 Millionen Bürger, also zwischen sechs und acht Prozent der Gesamtbevölkerung, von einer Seltenen Krankheit betroffen. In Deutschland leben vier Millionen Menschen, die eine seltene Diagnose bewältigen müssen. Im Vergleich zu den großen Volkskrankheiten ist dies dann doch wieder eine geringe Zahl: Allein von der Zuckerkrankheit "Diabetes mellitus" sind hierzulande sieben Millionen Menschen betroffen.  

Etwa 80 Prozent der Seltenen Krankheiten sind genetisch bedingt, die meisten verlaufen zudem chronisch und führen bereits im Kindesalter zu Symptomen. Viele der Erkrankungen gehen mit einer eingeschränkten Lebenserwartung einher.  So lang allerdings eine Diagnose fehlt, ist es für die Betroffenen und ihre Familien besonders schwer: Sie jagen von einem Arzt zum anderen, unterziehen sich unzähligen Untersuchungen – und doch bleibt das Gefühl, dass niemand wirklich helfen kann. Ist dann endlich die Diagnose gestellt, beginnt die Suche nach geprüften Informationen zur Erkrankung, anderen Betroffenen und auch Fachärzten, die das spezielle Krankheitsbild kennen. Es geht um Austausch, aber auch um ein gemeinsames Planen der nächsten Lebensschritte.  

Dank engagierter Forschung, die in den kommenden Jahr noch verstärkt werden muss, sind erste Therapien gefunden. Und so können selbst genetisch bedingte Seltene Erkrankungen behandelt werden. Manches mal lässt sich der Krankheitsverlauf schlicht mit einer veränderten Lebensführung beeinflussen. Die ganze Hoffnung vieler Betroffener und ihrer Familien ruht auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die die Ursachen der Erkrankungen erforschen wollen.

 

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