„Das Wissenschaftsjahr zur Nachhaltigkeit geht alle an“

Frau mit Fahrrad vor Erdkugel

Das Jahr 2012 wurde von der Bundesregierung zum Jahr der Nachhaltigkeitsforschung ausgerufen. Es steht unter dem Motto Zukunftsprojekt ERDE und soll neue Wege beim Wirtschaften, Zusammenleben und beim Umweltschutz eröffnen. Nicht nur Forscher und Wissenschaftler sind aufgerufen, ihre Ideen für mehr Nachhaltigkeit einzubringen. Auch die Wirtschaft und Bürgerinnen und Bürger in jedem Alter können sich aktiv beteiligen. Wie – und weswegen das Engagement der gesamten Gesellschaft wichtig für mehr Nachhaltigkeit ist –, erklärt Wilfried Kraus, Leiter der Unterabteilung „Nachhaltigkeit, Klima, Energie“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Interview. 

Herr Kraus, Sie sind im BMBF mit verantwortlich für das Wissenschaftsjahr „Zukunftsprojekt ERDE“, das ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit steht. Warum wurde dieser Schwerpunkt gewählt?

Wir wollten das Wissenschaftsjahr nicht auf eine einzelne Forschungsdisziplin konzentrieren, sondern auf ein komplettes Anwendungsfeld, nämlich auf das der Nachhaltigkeit – flankierend zur im Sommer in Rio de Janeiro stattfindenden Weltkonferenz über nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen („Rio+20“). In Rio werden wichtige Zukunftsfragen verhandelt. Viele davon lassen sich nur mithilfe der Wissenschaften lösen. Denken Sie nur an die Bewältigung des Klimawandels oder an die Umsetzung der Energiewende in Deutschland. Für beides müssen wir neue Möglichkeiten der Energieerzeugung erforschen. Mit dem Wissenschaftsjahr unterstützen wir das.

Forschung für Nachhaltigkeit unterstützt die Bundesregierung schon lange. Gibt es dieses Jahr auch neue Förderprogramme?

Einige. Die Schwerpunkte liegen auch nicht nur auf dem Thema Energie. Im Frühjahr starten wir zum Beispiel ein Förderprogramm zur Ressourcenforschung. Darin wird es um Substitutionsmöglichkeiten kritischer Materialien gehen. Einen neuen Schwerpunkt legen wir zur Wasserforschung auf. Außerdem werden wir in Afrika gemeinsam mit 15 west- und südafrikanischen Ländern zwei „Regional Science Service Center“ zur Nachhaltigkeit gründen – um den Menschen dort technisch-wissenschaftliche Hilfestellung bei der Bewältigung und Anpassung an den Klimawandel zu geben. Dafür stellen wir in den nächsten fünf Jahren 100 Millionen Euro bereit. Daran sieht man, wie ernst uns das ist.

Welche Rolle spielen die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften beim „Zukunftsprojekt Erde“?

In der sozial-ökologischen Forschung haben wir einen Agendaprozess angestoßen. Er wird bis Ende des Jahres klären, welchen Beitrag diese Disziplinen zum nachhaltigen Umbau der Gesellschaft leisten können – wie sie etwa einen schonenderen Umgang mit Ressourcen fördern können oder eine nachhaltigere Finanzwirtschaft in den Städten. 

Der Förderung kommunaler Nachhaltigkeit verschreibt sich auch das jetzt gestartete Förderprogramm „ZukunftsWerkStadt“. Was verbirgt sich dahinter?

Bei Veränderungen in Richtung Nachhaltigkeit spielen die Städte und Gemeinden eine zentrale Rolle. Änderungen in der Energie- und Wasserversorgung werden dort vollzogen, auch soziale Änderungen im Zuge etwa des demografischen Wandels betreffen die Kommunen zuvorderst. Nachhaltige Änderungsprozesse auf kommunaler Ebene werden von vielen Bundes- und Landesministerien oder Nichtregierungsorganisationen bereits unterstützt. Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger stärker darin einbinden. Rund 30 Kommunen haben ihre aktive Beteiligung schon zugesagt.

Wie sieht diese kommunale Bürgerbeteiligung konkret aus?

Wir glauben, dass wir die Bereitschaft der Bürger, nachhaltiger zu handeln, erhöhen, wenn wir sie frühzeitig in die Gestaltung absehbarer Veränderungen einbeziehen. In der „ZukunftsWerkStadt“ eröffnen wir ihnen diese Chance: Sie können dort eigene Ideen entwickeln. Forscher gehen ihnen zur Hand und zeigen, was von ihren Ideen wie umgesetzt werden kann.

Was könnte bei diesem Beteiligungsprozess herauskommen?

Neue Nachhaltigkeitskonzepte für unsere Städte. Wo die Schwerpunkte dieser Konzepte liegen – ob beim Klimaschutz, dem demografischen Wandel oder der finanziellen Nachhaltigkeit – entscheiden die Bürger. Wir legen ihnen Konflikte zwischen einzelnen Zielen offen und bieten ihnen für ihre Entscheidungsfindung wissenschaftliche Expertise. Auf dieser Basis können sie für eine Option votieren und diese fundiert in die politischen Entscheidungsprozesse einbringen.

Wie wollen Sie die Wirtschaft in das Wissenschaftsjahr einbeziehen?

Zum einem über einen Kongress zur „Green Economy“ Ende 2012. Wege zur „grünen“ Wirtschaft werden während der Rio-Konferenz im Sommer ja ein Schwerpunkt sein. Die Konferenzergebnisse wollen wir in Deutschland adäquat umsetzen und im Zuge unseres Kongresses klären, wo es noch Forschungsbedarf gibt und wie sich etwaige Lücken schließen lassen. Außerdem wollen wir die Wirtschaft in eine große Handy-Kampagne einbinden: In Deutschland horten die Haushalte geschätzte 80 Millionen ausgediente Mobiltelefone. Das ist ein riesiges Rohstoffreservoir. Dieses Potenzial wollen wir heben, die Bürger dafür sensibilisieren und die Handys zusammen mit der Wirtschaft einer ökonomisch und ökologisch sinnvollen Verwertung zuführen. 

Im Zuge dieser Handy-Kampagne kooperieren Sie auch mit dem Deutschen Jugendherbergswerk und Schulen. Warum?

Weil wir auch Kinder und Jugendliche in das Wissenschaftsjahr einbinden wollen. Das passiert aber nicht nur über diese Kampagne. Wir planen zum Beispiel einen „Junior Science Slam“, bei dem junge Menschen prägnant und unterhaltsam das Thema Nachhaltigkeit aufgreifen können. Wir organisieren Schulkinowochen zu Nachhaltigkeitsthemen, lassen das Forschungsschiff „MS Wissenschaft“ in 30 Städten anlegen, bieten altersgerechte Infos zur Nachhaltigkeit und Wettbewerbe im Internet oder in den forschenden Museen. Für die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen zahlt sich das übrigens nicht nur in einem Erkenntnisgewinn aus. Ihnen winken auch Preise, die sie für Geld nicht kaufen könnten: von einer Tauchfahrt mit einem Forschungs-U-Boot oder einem Polar-Eisbrecher bis hin zu einem Parabelflug in der Schwerelosigkeit.

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