Grafik Tuberkulose Quelle: Forschungszentrum Borstel

 

Eine tödliche Krankheit kehrt zurück

 

Vor etwa 50 Jahren ging man davon aus, Tuberkulose in den Griff zu bekommen. Es gab einen Impfstoff, ein Diagnoseinstrument und Medikamente. Die Forschung beschäftigte sich nicht weiter mit der Krankheit. Heute sterben jedes Jahr fast zwei Millionen Menschen an Tuberkulose – auch weil sich resistente Erreger entwickelt haben.

Im Frühjahr 1882 gab es einen sensationellen Erfolg der Gesundheitsforschung: Der Berliner Bakteriologe Robert Koch entdeckte das Mycobacterium tuberculosis, den Erreger der Tuberkulose. In den folgenden Jahrzehnten wurde die Tuberkuloseforschung in Europa stark gefördert, denn die „Schwindsucht“ war damals für die hohe Sterberate in den schnell wachsenden Großstädten verantwortlich. 1921 stand ein Impfstoff zur Verfügung und seit den 1950er Jahren auch Antibiotika. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts glaubte man, Tuberkulose im Griff zu haben. Forschung und Entwicklung beschäftigten sich nicht weiter mit der Krankheit und so wird bis heute auf die Diagnostik, den BCG-Impfstoff und die Medikamente zurückgegriffen, die damals entwickelt wurden. „In den vergangenen 40 Jahren wurden nur drei Substanzen für Tuberkulose entwickelt und das sind keine wirklich neuen Medikamente oder Impfstoffe, sondern Weiterentwicklungen bekannter Wirkstoffe“, erklärt Professor Stefan Kaufmann, Direktor am Max-Planck-Institut (MPI) für Infektionsbiologie in Berlin: „Die Hälfte der Erkrankten wird aber von der veralteten Diagnostik nicht mehr erfasst und bleibt eine permanente Ansteckungsquelle.“ Zudem schützt die BCG-Impfung nur Kleinkinder, nicht aber Erwachsene, denn die Bakterien werden nicht abgetötet und nach einigen Jahren lässt die Schutzwirkung nach.

Tuberkulose auf dem Vormarsch

So ist Tuberkulose seit den 1980er Jahren wieder auf dem Vormarsch und beschäftigt erneut einen Generation von Gesundheitsforschern. Vor allem Afrika, Asien, einige lateinamerikanische Staaten sowie die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion sind betroffen. Aber auch in Deutschland erkranken jedes Jahr einige Tausend Menschen. 1993 stufte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Tuberkulose als globale Bedrohung ein. Seitdem sind weit über 100 Millionen Menschen neu erkrankt, jedes Jahr sterben fast zwei Millionen. Dabei erkranken nur die wenigsten Infizierten. Die WHO geht davon aus, dass weltweit etwa zwei Milliarden Menschen den Erreger in sich tragen. Aber bei etwa 90 Prozent bricht die Krankheit nie aus, weil ihr Immunsystem intakt ist.

„Eine treibende Kraft der Tuberkulose ist seit den 1980ern die Ausbreitung von HIV“, sagt Kaufmann: „Die durch den Aids-Erreger hervorgerufene Immunschwäche ermöglicht die Reaktivierung der ruhenden Tuberkulose-Bakterien.“ Außerdem breiten sich resistente Formen immer schneller aus. „Im Prinzip ist Tuberkulose gut behandelbar und in den meisten Fällen heilbar“, erklärt der Infektionsbiologe Professor Stefan Ehlers vom Forschungszentrum Borstel, „doch die Therapie ist aufwendig: Zwei Monate lang müssen vier Antibiotika eingenommen werden, danach mindestens zwei Medikamente über weitere vier Monate.“ Überall dort, wo die medizinische Betreuung nicht ausreicht – beispielsweise in Entwicklungsländern und Krisenregionen – und die Behandlung unvollständig durchgeführt wird, können sich Antibiotika-resistente Erreger entwickeln, gegen die die besten Medikamente nicht mehr wirken. Die WHO schätzt, dass bis zu fünfzig Millionen Menschen mit multiresistenten Tuberkelbazillen infiziert sind. „Am bedrohlichsten aber sind die neu auftretenden so genannten extensiv-resistenten Stämme, gegen die fast gar keine Medikamente helfen“, betont Ehlers.

Globale Kooperationen für einen neuen Impfstoff

Weltweit forschen mehrere Arbeitsgruppen intensiv an neuen Impfstoffen gegen Tuberkulose, auch am MPI für Infektionsbiologie. Die Wissenschaftler haben den alten BCG-Impfstoff genetisch verändert, so dass er vom Immunsystem besser erkannt wird und über einen langen Zeitraum den Krankheitsausbruch verhindern soll. Seit 2008 wurde er an wenigen freiwilligen Probanden getestet. „Diese erste, präklinische Phase haben wir erfolgreich bestanden, Nebenwirkungen sind im Rahmen dieser Studie nicht aufgetreten“, berichtet Kaufmann. In der nun folgenden zweiten Phase wird an Probanden in Regionen mit hoher Tuberkulose-Verbreitung getestet, ob er wirkt. Läuft auch das erfolgreich, muss der Impfstoff vor seiner Zulassung in groß angelegten internationalen Studien an mehreren Zehntausenden Menschen seine Wirksamkeit und Sicherheit beweisen. Außerdem arbeiten die MPI-Forscher an einer Verbesserung der Diagnostik. Sie versuchen, Biomarker (Indikatoren) im Blut zu identifizieren, die eine Voraussage zulassen, ob ein Infizierter irgendwann an Tuberkulose erkranken wird.

Auch am Forschungszentrum Borstel, neben dem MPI Schwerpunkt der deutschen Tuberkulose-Forschung, versuchen Wissenschaftler Biomarker zu identifizieren, mit denen die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung prognostiziert werden kann. „Während das MPI vor allem die Botenstoffe im Blut untersucht, beschäftigen wir uns mit den genetischen Grundlagen der Empfänglichkeit für Tuberkulose“, erklärt Stefan Ehlers. Er leitet den Bereich Mikrobielle Entzündungsforschung in Borstel, der sich mit der Pathogenese beschäftigt, also der Frage, wie es durch eine Infektion mit dem Tuberkulose-Erreger zum Ausbruch der Erkrankung kommt. „Das Problem der Tuberkulose ist, dass die Immunabwehr des Körpers zwar einerseits das Wachstum des Erregers begrenzt, dabei aber gleichzeitig gesundes Gewebe zerstört wird“, erklärt Ehlers. „Am Modellsystem mit Labormäusen wollen wir letztlich Behandlungsstrategien entwickeln, die die Reaktionen stärken, die den Erreger abtöten, und gleichzeitig eine überschießende Entzündungsreaktion des Körpers eindämmen.“ Entsprechend wirksame Substanzen könnten dann beispielsweise einem verbesserten Impfstoff zugefügt werden.

Andere Wissenschaftler am Forschungszentrum beschäftigen sich mit weiteren Problemen rund um die Tuberkulose, unter anderem um den schnellen Nachweis von multiresistenten Erregern oder deren Ausbreitungsverhalten. „Wenn man durch die genaue Typisierung des Erregers weiß, wo und wie er sich verbreitet, kann man Frühwarnsysteme und eine zielgerichtete Nachsorge organisieren.“

Grundlagenforschung unter besten Voraussetzungen

Die Besonderheit des Forschungszentrums Borstel: Die Klinik ist integraler Bestandteil des Tuberkulosezentrums. „Deshalb haben wir die Möglichkeit, Hypothesen, die wir im Mausmodell beobachten, an Tuberkulose-Patienten zu überprüfen. Umgekehrt berichten uns die Ärzte beispielsweise von Symptomen und Messwerten, die bei Patienten auftauchen, und wir können testen, ob die Infektion in Labormäusen anders verläuft, wenn man diese Werte korrigiert“, erklärt Ehlers. Diese Form von Grundlagenforschung mit direkter klinischer Anbindung ist einmalig in Deutschland.

Professor Kaufmann hofft, dass der am MPI entwickelte Impfstoff bis 2020 zugelassen sein könnte – wenn alles optimal läuft: „Die Tuberkulose könnte damit im besten Fall bis 2050 um die Hälfte zurückgedrängt werden.“ Das Ziel der WHO, die Krankheit bis dahin sogar zu eliminieren, ist in seinen Augen zu optimistisch: „Das ist nur erreichbar, wenn sowohl bei Impfstoffen und Medikamente als auch im Bereich Diagnostik und Prävention Durchbrüche gelingen.“ Vorrausetzung dafür wäre eine enorme Aufstockung der weltweiten Forschungsgelder für Tuberkulose auf mindestens zwei Milliarden Dollar pro Jahr. „Aber derzeit haben wir gerade mal etwas mehr als eine halbe Milliarde“, so Kaufmann.

Am Forschungszentrum Borstel testen Wissenschaftler neue Therapien gegen die Tuberkulose an Labormäusen. Quelle: Forschungszentrum Borstel Am Forschungszentrum Borstel testen Wissenschaftler neue Therapien gegen die Tuberkulose an Labormäusen. Quelle: Forschungszentrum Borstel

 

Hintergrundinfo Tuberkulose

Die Tuberkulose (Tbc) ist eine chronisch verlaufende Infektionskrankheit. Auslöser sind Tuberkelbakterien (Mykobakterium tuberculosis), die durch Tröpfcheninfektion übertragen werden. Meist werden sie in der Lunge vom Abwehrsystem des Körpers gestoppt: Fresszellen nehmen die einzelnen Bakterien auf, können sie allerdings nicht töten. Von nun an schlummert das Bakterium im Körper, oft für Jahrzehnte. Die Krankheit bricht aus, wenn das Immunsystem der Betroffenen geschwächt ist, beispielsweise wegen Mangelernährung, schlechten hygienischen Bedingungen oder aufgrund anderer Erkrankungen.

Zunächst äußert sich die Krankheit durch Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust, später kommt meist blutiger Husten hinzu. Die Tuberkulose betrifft vor allem die Lunge, kann aber auch auf andere Organe, wie beispielsweise die Nieren, Hirnhäute, Lymphknoten oder das Rückenmark übergreifen. Das Tuberkelbakterium löst einen entzündlichen Prozess aus, der das Gewebe zerstört. Besonders beim Befall mehrerer Organe führt dies neben dem Versagen der Organleistung zu einem dramatischen Gewichtsverlust, weshalb die Krankheit im 19. Jahrhundert auch „Schwindsucht“ genannt wurde. Die Krankheit führt unbehandelt bei etwa der Hälfte der Betroffenen innerhalb von zwei bis fünf Jahren zum Tod

 

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