Umfrage: Ist Nachhaltigkeit nur etwas für Reiche?

Das sagt die Community

Bio-Essen, Öko-Mode, Hybrid-Autos ... ist Nachhaltigkeit nur etwas für Reiche?

Ergebnis der Umfrage:

Junger Mann im Anzug, der seine leeren Hosentaschen nach außen zieht
 

Das sagt die Forschung

Portrait Prof. Dr. Ines Weller

Prof. Dr. Ines Weller (Foto) und Hanna Krapf, artec Forschungszentrum Nachhaltigkeit der Universität Bremen

Um sich dieser Frage zu nähern, ist zwischen zwei Formen von Nachhaltigkeit im Alltag zu unterscheiden: Erstens gehört dazu im Sinne eines „anders konsumieren“, nachhaltigere Produkte, Dienstleistungen oder Tech­nologien nachzufragen, also sich z.B. für Bio-Lebensmittel, Öko-Mode, Ökostrom oder energie­spa­rende Haushaltsgeräte zu entscheiden.  Diese nachhaltigeren Alternativen sind von Fall zu Fall tatsächlich teurer und werden in Befragungen von den Bürgerinnen und Bürgern auch als Problem für soziale Gerechtigkeit wahrgenommen. 

Nicht nur anders, sondern auch weniger

Weniger präsent in der öffentlichen Wahrnehmung ist bislang die zweite Möglichkeit, Nachhaltigkeit im Alltag umzusetzen. Denn zu nachhaltigem Konsum gehört auch die Reduzierung des Konsumniveaus, also weniger zu konsumieren sowohl an Gütern als auch an Ressourcen. Konkret bedeutet dies zum Beispiel die Raumtemperatur zur Reduzierung der Heizenergie abzusenken, weniger Kilometer mit einem leistungsärmeren Auto zurückzulegen oder weniger Fleisch zu konsumieren. Nicht alle dieser Umstellungen erfordern Mehrkosten, aus ökonomischer Perspektive könnte es sich hierbei also durchaus um ökologisch-ökonomische Win-Win-Situationen handeln. Zum Teil setzen sie allerdings kostenintensive Investitionen voraus, wie zum Beispiel effiziente Heizungsanlagen oder gut gedämmte Gebäude, diese stellen gerade für einkommensschwache Gruppen ein besonderes Hemmnis dar.

Nachhaltiger Konsum muss sich lohnen

 Für das Ziel, Nachhaltigkeit im Alltag in der Breite zu verankern, lässt sich ableiten, dass nachhaltiges Konsumieren sich ökonomisch lohnen sollte. Um „anders“ und „weniger“ zu konsumieren bedarf es gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, deren Infrastrukturen- und Anreizstrukturen auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind, anstatt beispielsweise die bei nicht-nachhaltiger Produktion entstehenden Folgekosten durch Subventionierung zu verzerren. Zu nennen wären hier beispielsweise ein kostenloser öffentlicher Personennahverkehr oder Strompreise, die mit dem Verbrauch steigen. Sie würden insbesondere einkommensschwache Gruppen bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit im Alltag unterstützen. Damit würde auch in Blick genommen, dass der Ressourcenverbrauch und die Umweltbelastungen, die durch den Konsum im privaten Alltag verursacht werden, eng mit dem Einkommen korrelieren, das heißt je höher das Einkommen, desto höher der Ressourcenverbrauch.

artec Forschungszentrum Nachhaltigkeit der Universität Bremen

Portrait Prof. Dr. Ortwin Renn

Prof. Dr. Ortwin Renn,  Institut für Sozialwissen-schaften der Universität Stuttgart 

Nachhaltigkeit bezieht sich auf die Dauerhaftigkeit menschlicher Existenz in humanen Lebensbedingungen. Künftige Generationen sollen zumindest die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten in Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur besitzen wie wir, gleichgültig ob sie diese Möglichkeiten nutzen wollen oder nicht. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen viele Bedingungen erfüllt sein, die arme wie reiche Menschen betreffen und die von beiden Verhaltensänderungen erfordern.  

Faire Verteilung von Lasten und Privilegien 

Darunter fallen die Verbesserung der Energie- und Ressourceneffizienz, die Förderung umwelt-, klima- und ressourcenschonender Innovationen, die Sicherstellung von ausreichenden Bildungs- und Aufstiegschancen, die friedliche Austragung von Konflikten und schließlich ein der Ressourcenlage angemessenes Konsumniveau sowie die faire Verteilung von Lasten und Privilegien. 

Nur bei den letzten beiden Punkten, der Fairness und dem Konsum, sollte man deutlich zwischen Arm und Reich differenzieren. Denn eine faire Verteilung der Lebens- und Entwicklungschancen setzt voraus, dass die Reichen von den begrenzten Gütern der Erde abgeben und die Armen einen höheren Anteil davon erhalten. Es reicht nicht mehr aus, dass Reiche und Arme alle ein wenig reicher werden (Fahrstuhleffekt). Damit können wir die ökologischen Ziele der Nachhaltigkeit nicht mehr sicherstellen. Zumindest bei den Ressourcen stoßen wir an objektive Grenzen und das heißt, die Reichen müssen von ihrem jetzigen hohen Verbrauch runter und die Armenhaben das Recht, ihren Nachholbedarf  zu decken.  Der Verbrauch muss insgesamt gedeckelt und dann unterhalb dieses Deckels gerecht verteilt werden. Dabei zeigen viele Wohlstandsmodelle auf,  dass auch reiche Menschen mit weniger Ressourcenverbrauch gut leben können.

Universelle Postulate der Nachhaltigkeit

Dagegen gelten die anderen Postulate für Arm und Reich in gleichem Maße: Effizient haushalten, Ressourcen schonen, in Bildung investieren und Konflikte friedlich austragen sind universelle Postulate der Nachhaltigkeit. Hier können sich weder die Armen noch die Reichen davon stehlen – dazu können sie auch je nach Vermögen und verfügbaren Ressourcen wichtige Beiträge leisten.

Institut für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart

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