Klare Analysen, verlässliche Prognosen

Versorgungsforschung ist eng mit Gesundheitspolitik verzahnt. Und die Gesundheitspolitik steht vor großen Aufgaben. Gesundheit gilt nicht nur vielen als das wichtigste Gut – es geht dabei auch um sehr viel Geld: Gut zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts machen derzeit die Ausgaben für Gesundheit in Deutschland aus. Und die Tendenz weist nach oben: Medizinische Fortschritte und der demografische Wandel werden oft als Ursachen genannt, die das Gesundheitssystem immer teurer werden ließen.

„2008 kostete unser Gesundheitssystem 263 Milliarden Euro. Davon verteilt sich etwa ein Drittel auf Krankenhäuser, ein Drittel auf Arzneimittel und Ärzte und das letzte Drittel auf Verwaltungskosten, Krankenkassen, häusliche Pflege, Hilfsmittel und Kuren. Immerhin fünf Prozent fallen auf Verwaltungskosten der Krankenkassen. In Deutschland gibt es immer noch eine Vielzahl verschiedener Krankenkassen mit ihren entsprechenden Verwaltungsapparaten“, beschreibt Prof. Dr. Martin Scherer, kommissarischer Direktor des Instituts für Sozialmedizin in Lübeck und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM).

Wie lässt sich verhindern, dass die Kosten aus dem Ruder laufen – und dabei soll auch noch die Qualität der Versorgung verbessert werden. Eine der zentralen Fragen, die das Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung diskutieren will. Ebenso wie die Befürchtung, es gäbe in Zukunft eine Zwei-Klassen-Medizin. Laut einer Allensbach-Umfrage von 2009 misstrauen die Bürgerinnen und Bürger dem Gesundheitssystem in doppelter Hinsicht. Eine deutliche Mehrheit befürchtet nicht nur, dass ihre Versorgung in Zukunft teurer und schlechter wird. Sie glaubt auch nicht daran, dass die Politik in der Lage sein wird, das System wirksam zu reformieren. Dabei halten 65 Prozent der Bürger und 81 Prozent der Ärzte umfassende Reformen für unumgänglich. Im Kontrast dazu bestätigte die Umfrage, dass 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger und 82 Prozent der Ärzte die Versorgung in Deutschland für gut bis sehr gut halten. Die durchschnittliche Lebenserwartung steigt, ein Mädchen, das in diesem Jahr geboren wird, hat beste Chancen, hundert Jahre alt zu werden.

Trotz der insgesamt erfreulichen Entwicklung hat das Robert-Koch-Institut (RKI) in dem vom Bundesgesundheitsministerium beauftragten Gesundheitsbericht „Gesundheit in Deutschland 2006“ einige kritische Punkte aufgelistet. Darunter folgende: Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Tabakkonsum, Übergewicht, Bewegungsmangel, Bluthochdruck oder Diabetes sind weit verbreitet – Prävention könnte also viele Erkrankungen verhindern helfen. Menschen aus schwächeren sozialen Schichten profitieren vergleichsweise wenig von der positiven gesundheitlichen Entwicklung. So liegt in der Armutsrisikogruppe die Lebenserwartung fast zehn Jahre niedriger als bei Spitzenverdienern. Die größte Herausforderung sehen die RKI-Experten allerdings in der alternden Gesellschaft: Die Zahl alter Menschen mit chronischen Krankheiten wird zwangsläufig steigen.

Wie das Gesundheitssystem dafür fit gemacht werden kann, war die Leitfrage für das Gutachten 2009 des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Der Rat kommt zu dem Schluss, dass dafür „teilweise komplizierte Anpassungsprozesse bestehender Strukturen“ erforderlich sind. Wohl und Wehe des Patienten hängen ebenso wie die Kosten der Versorgung nicht nur vom Geschick des Arztes ab. Gesundheit und Versorgungsqualität werden auch durch Gesetze, Strukturen und das Kräfteverhältnis der Interessensgruppen im Gesundheitssystem beeinflusst.

Für die Politik gibt es also viel zu tun. Doch es besteht ein Dilemma: Dreht man bei einem derart komplexen System an der einen oder anderen Schraube, sind die vielfältigen Folgen im Voraus kaum überschaubar. Der Versorgungsforscher Gerd Glaeske betont deshalb: „Überall, wo Notwendigkeiten der Veränderung bestehen, taucht auch die Notwendigkeit von Versorgungsforschung auf.“ Im erwähnten Gutachten des Sachverständigenrats heißt es, die nötigen Entwicklungen bedürften wissenschaftlicher Begleitung; der Versorgungsforschung komme dabei eine Rolle zu. Und auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft erachtet, nachdem sie eine „unübersichtliche Situation“ bei der Planung, Organisation und Steuerung der Gesundheitsversorgung diagnostiziert hat, die Versorgungsforschung als unerlässlich: Sie verspreche „interessensneutrale Zustandsbeschreibungen, klare Analysen, verlässliche Prognosen und seriöse Beratung“. 

 

Weitere Informationen unter:

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)

Robert Koch-Institut (RKI)

Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen

 

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