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Die Jugend sieht den demografischen Wandel als Chance

Ein Interview mit Dr. Walter Bien vom Deutschen Jugendinstitut e.V.

Portraitbild von Walter Bien

Woran forschen Sie in Bezug auf den demografischen Wandel?

Das Deutsche Jugendinstitut beobachtet den Wandel von Familien: Mithilfe großer Bevölkerungsumfragen untersuchen wir, wie sich der demografische Wandel auf Kindheit und Jugend auswirkt bzw. wie er die Lebensbiografien insgesamt verändert.

Wenn Sie Ihre Ergebnisse kurz zusammenfassen müssten: Wie wirkt sich der demografische Wandel auf die verschiedenen Generationen und ihr gegenseitiges Miteinander aus?

Innerhalb der Familien funktioniert das Miteinander nahezu perfekt: Die Generationen reden miteinander, akzeptieren sich, helfen einander. Gesamtgesellschaftlich sieht das Verhältnis etwas anders aus. Insbesondere die Älteren warnen vor einem Konflikt zwischen den Generationen. Glücklicherweise sehen aber die Jungen einer alternden Gesellschaft mit mehr Selbstvertrauen und Zuversicht entgegen. Denn wie immer sind junge Menschen eher davon überzeugt, künftige Probleme lösen und ihre Chancen wahrnehmen zu können.

Wir werden immer älter. Wie verändert sich dadurch das Verhältnis von Jung und Alt?

Wir leben heute in der Regel nicht nur mit zwei oder drei, sondern häufig mit vier oder fünf Generationen zusammen. Daraus ergibt sich eine riesige Chance, auf künftige Anforderungen gemeinsam zu reagieren. Grundsätzlich wäre es natürlich im Sinne des Miteinanders hilfreich, bestehende Vorurteile zwischen den Generationen abzubauen und negative Zuschreibungen zu widerlegen. Zu diesen Vorurteilen zählt etwa die Vorstellung, dass es mit der heutigen Jugend bergab geht, dass sie nur an sich denkt und keine wirkliche Werte mehr hat. Umgekehrt wird das Alter oft mit Krankheit gleichgesetzt und unterstellt, Alte wüssten alles besser und seien viel zu ernst. Solche Vorurteile lassen sich im Familienalltag leicht widerlegen. Daneben sind aber Kontakte zwischen den Generationen auch außerhalb von Familien hilfreich, um hier zu einem realistischeren Bild zu kommen.

Und wie bewerten Sie die Tatsache, dass wir infolge der niedrigen Geburtenrate in Deutschland immer weniger werden?

Wir haben heute weit weniger Sprünge in der Bevölkerungsentwicklung zu verzeichnen als beispielweise im vergangenen Jahrhundert, das durch Kriege und die Geburtenwelle in den 50er und 60er Jahren geprägt war. Dadurch haben wir bessere Chancen auf ein "qualitatives Wachstum" anstelle eines rein quantitativen Zuwachses - und diese Möglichkeit sollten wir nutzen. Das heißt, unsere Hauptaufgabe besteht momentan darin, die bereits Geborenen optimal auszubilden und in die Gesellschaft zu integrieren. Das halte ich für weit wichtiger, als etwa die Geburtenziffer zu erhöhen.

Können wir uns folglich mit einer niedrigen Geburtenrate begnügen?

Ja, Investitionen in Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind aus meiner Sicht wichtiger als nach höheren Geburtenraten zu rufen. Was wir brauchen (und zum Teil bereits haben) ist eine gute Familienpolitik und keine bessere Geburtenpolitik. Deshalb empfinde ich es auch als falsch, für die Familienpolitik der letzten Jahrzehnte die Stagnation der Geburtenziffer als wichtigstes Gütekriterium heranzuziehen.

Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Wie wirkt sich der demografische Wandel ganz konkret auf Ihr Umfeld aus?

In meinem beruflichen Umfeld höre ich oft die Sorge, dass uns angesichts des demografischen Wandels der wissenschaftliche Nachwuchs schwindet. Da bin ich jedoch optimistisch eingestellt: Wir erleben heute eine Jugend, die so gut ausgebildet ist wie nie zuvor und die auch bereit ist, Leistungen zu bringen. Viele dieser jungen Menschen wird es auch in die Forschung ziehen. Persönlich stelle ich fest, dass ich mich mehr um die Rente kümmern muss als vielleicht die Generationen vor mir - und ich leide wie viele in meiner Altersklasse an einem Enkeldefizit.


Zur Person

Dr. Walter Bien, Jahrgang 1950, leitet das Zentrum für Dauerbeobachtung und Methoden am Deutschen Jugendinstitut in München. Der Psychologe und Soziologe erforscht, wie sich der demografische Wandel auf Familien und Lebensbiografien auswirkt.