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Im Gespräch mit David Sieveking

Portraitbild von Porträt Sieveking
Regisseur David Sieveking

War der Film auch persönliche Trauerbewältigung und Verarbeitung der Krankheit für Sie?

Ich habe ja auch ein Buch über das Thema geschrieben. Die Arbeit daran wie auch am Film waren auf jeden Fall Trauerarbeit für mich. Es hat mir geholfen, mich mit etwas produktiv zu beschäftigen, was eigentlich sehr traurig ist. Ich habe in der Zeit zwar sehr viel Leid empfunden, bin durch die Erfahrung jedoch auch viel gelassener geworden. Dadurch, dass ich konstruktiv an etwas arbeitete, konnte ich deutlich unbefangener und entspannter mit meiner Mutter umgehen und musste nicht mehr die ganze Zeit nur an ihre Krankheit denken. Durch die Beschäftigung mit der Persönlichkeit und Biografie meiner Mutter ist sie mir noch einmal viel näher gekommen und begleitet mich nun auf meiner Reise durchs Leben.

Was meinen Sie, muss sich in unserer Gesellschaft im Umgang mit dem Thema Demenz ändern?

Ich finde, die Gesellschaft ist generell noch zu wenig informiert, was das Thema Altern und Sterben infolge einer Demenzerkrankung anbelangt. Viele wissen nicht recht, wie man mit jemandem umgehen soll, der ein ganz anderes Bewusstsein hat. Die meisten wissen auch nicht, dass man nicht an einer Demenz stirbt, sondern an den Folgeerscheinungen der Krankheit. Zudem sind Demente in der Öffentlichkeit kaum präsent. Sie sind entweder zuhause oder im Pflegeheim. Das wurde mir immer bewusst, wenn ich mit meiner Mutter in der Stadt unterwegs war, zum Beispiel im Supermarkt. Dort wurden wir öfters komisch angeschaut, weil die Menschen mit dem Verhalten meiner Mutter nicht umgehen konnten. Würden wir uns alle aber nur ein wenig annähern, würde auch das Miteinander besser funktionieren. Wir können eigentlich viel voneinander lernen. In Deutschland gibt es ja auch schon sehr viele gute Initiativen: Altenheime und Kindergärten werden näher zusammengebracht, Pflegeheime werden nicht ins Industriegebiet abgeschoben, sondern in die Innenstadt gelegt.

Deutschland wird immer älter, die Zahl der Demenzkranken steigt. Wie kann der demografische Wandel trotzdem zur Chance werden?

Der Umgang mit dem Alter ist eine tolle und spirituelle Erfahrung. Wer sich mit Sterben beschäftigt, weiß das Leben mehr zu schätzen. Dabei geht es darum, loszulassen und im Hier und Jetzt zu leben. Durch den anderen Blick, den meine Mutter auf alles hatte, nehme ich die Welt nun ganz anders wahr, denke mehr an die Gegenwart und nicht so viel an Vergangenheit und Zukunft. Für mich war das ein großer Reifungsprozess. Ich glaube, ich kann jetzt allgemein besser mit Menschen umgehen, die anders sind.

Was planen Sie persönlich fürs Älterwerden?

Ich will einfach versuchen, möglichst gesund zu leben. Genug Bewegung, gesundes Essen, neugierig, geistig aktiv bleiben. Da ich im Sommer Vater werde, würde ich mich freuen, wenn meine kleine Familie sich nicht zu sehr Sorgen um die Zukunft machen muss. Durch "Vergiss mein nicht" habe ich gemerkt, welche Freude es ist, wenn Menschen etwas aus dem, was man geschaffen hat, mitnehmen können. Ich würde mich freuen, wenn ich das weitermachen kann.


Über David Sieveking

David Sieveking wurde 1977 in Friedberg (Hessen) geboren und wuchs in der Nähe von Frankfurt am Main auf. Sein Film "Vergiss mein nicht" wurde 2012 mit dem Hessischen Filmpreis sowie dem Kritikerpreis in Locarno ausgezeichnet und ist für den Deutschen Filmpreis 2013 als bester Dokumentarfilm nominiert. Das Buch "Vergiss mein nicht" ergänzt den Film inhaltlich.

Das Plakatbild des Films Vergiss mein nicht zeigt die beiden Protagonisten des Films

Der Film "Vergiss mein nicht"

David Sieveking zieht wieder zu Hause ein und übernimmt für einige Wochen die Pflege seiner demenzkranken Mutter Gretel. Mit dem Einverständnis der Familie dokumentiert Sieveking seine Zeit mit Gretel: Er ist plötzlich Sohn, Betreuer und Dokumentarfilmer in einer Person. Seine Gegenwart und die Anwesenheit des Filmteams wirken erfrischend auf die Mutter, die endlich wieder Eigeninitiative entwickelt und neue Lebensfreude zeigt.

Zum Trailer des Films

 

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