Realistische Darstellung einer Galaxie

Heimspiel Wissenschaft

Interview mit der Ernährungswissenschaftlerin Prof. Dr. Martina Heer

Graue Paste aus Aluminiumtuben oder bräunliche Würfel, die in Wasser aufgelöst werden – diese Bilder haben wohl die meisten Menschen im Kopf, wenn sie an Weltraumnahrung denken. Seit den Anfangstagen der Raumfahrt hat sich aber beim Essen für Astronautinnen und Astronauten einiges getan. Weltraumnahrung nähert sich immer mehr den normalen Speisen auf der Erde an. Die Ernährungswissenschaftlerin Martina Heer beschäftigt sich in ihrer Forschung damit, wie das Essen im Weltall zusammengesetzt sein muss. Der Abbau von Muskeln und Knochen durch verringerte Bewegung in der Schwerelosigkeit sowie ein reduzierter Geruchs- und Geschmackssinn stellen dabei eine besondere Herausforderung dar. Die genannten Symptome sind aber durchaus mit dem Alterungsprozess auf der Erde vergleichbar.


Was macht die Faszination des Universums aus?

Martina Heer: Wenn es direkt den Menschen betrifft, wird es für mich spannend. Unter welchen Bedingungen könnten Menschen auf dem Mars überleben? Wie könnten Sie sich dort ernähren? Auf der Erde können wir einfach in den Supermarkt gehen. Auf einem anderen Planeten ist das aber nicht möglich. Diese praktischen Probleme bezüglich der Nahrung werden in der Raumfahrt gerne übersehen.

Welche physiologischen Herausforderungen stellt die Schwerelosigkeit an den Menschen?

Heer: Sobald wir die Schwerkraft verlassen, verschiebt sich die Flüssigkeit aus dem Unterkörper in den Oberkörper. Die Haut wird gestrafft, das Gesicht erscheint voller. Positiv formuliert könnte man sagen, dass die Falten weniger werden. Der Gleichgewichtssinn spielt verrückt. Viele Raumfahrerinnen und Raumfahrer berichten von massiver Übelkeit in den ersten Tagen in der Schwerelosigkeit, auch von einem veränderten Geruchs- und Geschmackssinn. Der Appetit ist besonders in den ersten Tagen sehr gering. Bei den Apollo-Missionen nahmen die Astronauten ungefähr 25 Prozent weniger Energie zu sich. Heute ist das Defizit nicht mehr ganz so hoch, aber immer noch vorhanden.

Wie kann dem über die Ernährung entgegenwirken? Auf welche Nährstoffe kommt es an?

Heer: In den 1990er-Jahren hatte die Weltraumnahrung einen relativ hohen Kochsalzgehalt, auch um die Nahrung besser zu konservieren. Durch die erhöhte Kochsalzzufuhr kann es aber zu einem vermehrten Knochenabbau kommen. Knochen werden aber, wie auch Muskeln, durch die verringerte mechanische Belastung sowieso schon abgebaut. Ähnliche, vergleichbare Vorgänge sehen wir auch bei älteren Menschen auf der Erde.
Eine proteinreiche Kost ist wichtig, sollte aber ebenfalls nicht übertrieben werden. Der Abbau einiger Aminosäuren senkt den pH-Wert im Blut leicht. Diese moderate Reduktion fördert jedoch schon den Knochenabbau. Lebensmittel, die zu einer solchen Absenkung führen, beispielsweise tierische, eiweißreiche Lebensmittel, sollten immer mit basischen kombiniert werden. Konkret: Wer ein Steak isst, sollte das Gemüse oder den Salat dazu nicht vergessen, um der Absenkung des pH-Wertes entgegenzuwirken.

Weltraumnahrung gilt bei vielen als Paradebeispiel für lieblos präsentiertes, geschmacksarmes Essen. Wie hat sich die Ernährung im All über die Jahrzehnte entwickelt?

Heer: In der frühen Phase der Raumfahrt gab es tatsächlich nur Nahrung in Würfel- oder Pulverform, die mit Wasser aufgelöst wurden. Die Apollo-Missionen hatten zum Teil auch schon Brot und Brotaufstrich. Grundsätzlich wird die Ernährung immer mehr dem Essen auf der Erde angenähert, auch individuelle Wünsche können heute berücksichtigt werden. Mittlerweile gibt es Bohnen mit Champignons, Ratatouille, Mac’n’Cheese, also ganz normale Produkte. Diese sind in Dosen oder Tüten verpackt und werden einfach erhitzt oder mit Wasser rehydriert.

Körperliche Symptome in der Schwerelosigkeit sind mit Alterungsprozessen vergleichbar, man spricht sogar von einem beschleunigten Alterungsprozess. Welche Symptome sind das genau?

Heer: Besonders vergleichbar sind Muskel- und Knochenabbau durch Immobilität. Aber auch beim Nachlassen des Geruchs- und Geschmackssinns gibt es Parallelen. Das Herz-Kreislaufsystem ist sowohl bei älteren Menschen als auch im All durch die erhöhte Gefäßsteifigkeit beeinträchtigt.

Welche Empfehlungen könnte man von den Erkenntnissen aus der Schwerelosigkeit für den Umgang mit dem Älterwerden ableiten?

Heer: Auf jeden Fall sollte man auf eine ausreichende Eiweißzufuhr in Kombination mit Obst und Gemüse achten. Zu viel Kochsalz kann im Alter gleich doppelt schaden, zum einen weil es den Blutdruck erhöht, zum anderen wegen des beschleunigten Knochenabbaus. Konkrete Studienergebnisse, die Situation im All auf die Erde zu übertragen, sind jedoch noch relativ selten. Vorteilhaft ist, dass Untersuchungen im All oder in Analogstudien an Gesunden durchgeführt werden und die Ergebnisse nur einen Einflussfaktor unter sehr standardisierten Bedingungen betrachten, beispielsweise Immobilität. Im Alltag und gerade bei älteren Menschen kommen viele Einflussfaktoren zusammen, sodass Veränderungen, wie beispielsweise Muskel- und Knochenabbau viele Ursachen haben können. Maßnahmen, die im All erforscht wurden und einem durch Immobilität entstehenden Muskel- und Knochenabbau entgegenwirken, können bei älteren Menschen durchaus Anwendung finden.
Ernährungsfragen haben bisher in der Weltraumforschung leider noch nicht die höchste Priorität. Hier stehen wir noch am Beginn eines spannenden Forschungsfeldes.
 

Weitere Infos

Hier gibt es weitere Informationen zur Forschung von Martina Heer.

Martina Heer ist am 24. Mai 2023 im Rahmen von Heimspiel Wissenschaft in ihrem Heimatort Wissen zu Gast.

Prof. Dr. Martina Heer

Martina Heer ist ist Professorin und Studiengangleiterin Ernährungswissenschaften an der IU Fernstudium in Bad Honnef. Ihre Schwerpunkte liegen hier in der Ernährungsphysiologie, -lehre und Diätetik. Darüber hinaus ist sie außerplanmäßige Professorin für Ernährungsphysiologie an der Universität in Bonn.

Prof. Dr. Martina Heer