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Feldforschung im ehemaligen Bundestag

Das Parlament der Generationen aus wissenschaftlicher Sicht

Für die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler war das Parlament der Generationen ein Glücksfall: Wann hat man schon die Gelegenheit, über 200 Teilnehmer beim Debattieren begleiten und beobachten zu können? Vom Parlament der Generationen erhofften sie sich Hinweise darauf, wie sich der demografische Wandel auf die politische Interessensvertretung auswirken könnte.

Abschlussdiskussion mit sechs Diskutanten unter Moderation von Angela Elis
© Geza Aschoff, Wissenschaftsjahr 2013

Am 17. und 18. November wurde es voll im ehemaligen Bundestag in Bonn. Zwei Gruppen repräsentierten die demografische Zusammensetzung der deutschen Bevölkerung in den Jahren 2013 und 2050 und diskutierten über die Themen "Schrumpfende Regionen", "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" sowie "Bildung". Den Einstieg in die Themenschwerpunkte gaben drei Wissenschaftler, ein weiterer verfolgte die Debatte und analysierte den Prozess der Entscheidungsfindung. Welche Beobachtungen die beteiligten Wissenschaftler gemacht haben, lesen Sie hier.

Dipl.-Ing. Andrea Dittrich-Wesbuer, Schwerpunkt „Schrumpfende Regionen“

Portraitbild von Andrea Dittrich-Wesbuer

Das Parlament der Generationen war aus meiner Sicht für alle Beteiligten eine sehr gelungene Veranstaltung mit erhellenden Erkenntnissen. Inhaltlich haben sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sehr konstruktiv und mit der gebotenen Sachlichkeit auseinandergesetzt - die Entscheidungen wurden nicht von den spezifischen Interessen einzelner Altersgruppen getroffen, aber auch nicht von Einzelnen zu stark dominiert. Vielmehr wurden auf der Grundlage überlegter, wenn auch durchaus divergierender Argumente letztlich überwiegend Einvernehmen erzielt.

Im Ausschuss Regionen standen dabei grundsätzliche Fragen des Umgangs mit schrumpfenden Regionen im Vordergrund. Die Abgeordneten haben sich in ihren Argumentationen und ihrem Votum deutlich für die Aufwertung dieser Gebiete eingesetzt, gleichwohl aber eine sehr genaue Überprüfung von Standards und Förderstrategien gefordert. Sie wollten den Kommunen nicht nur in der Pflege, sondern gerade auch in der Infrastruktur für Kinder finanziell unter die Arme greifen und im Öffentlichen Personennahverkehr durch mehr Budget innovative Maßnahmen und Konzepte anregen, die allen Altersgruppen zugutekommen können. Auch die Bürgerinnen und Bürger als "Experten vor Ort" sollten ausreichend beteiligt werden. Dabei gab es in vielen Teilentscheidungen eine erstaunlich weitgehende Übereinstimmung zwischen 2013 und 2050. Dies ist ein interessantes Ergebnis, das ich aus dem Experiment mit in meine Forschungsarbeit aufnehmen werde.

Dr. Michela Coppola, Schwerpunkt „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“

Portraitbild von Michela Coppola

Für mich war es sehr erfreulich, dass die Teilnehmer gut vorbereitet und interessiert waren. Sie wollten Zahlen selbst nachprüfen, haben sich für die Nachhaltigkeit der Reformen und deren Finanzierung interessiert.

Im Ausschuss Vereinbarkeit von Familie und Beruf hatte ich erwartet, dass Ältere das Modell der Familienauszeit unterstützen würden, da sie eher ein traditionelles Familienkonzept vertreten. Doch das war überhaupt nicht so. Die Älteren hatten durchaus die Interessen jüngerer Generationen im Blick. 

Die beiden Ausschüsse 2013 und 2050 kamen zwar zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das lässt sich meines Erachtens allerdings nicht auf Differenzen zwischen den Generationen zurückführen, sondern gründet auf Überlegungen der Finanzierbarkeit. Die einen waren "generöser", die andern "geiziger". Insgesamt zeigt das Experiment, dass die grundsätzlichen Einstellungen beider Parlamente sehr ähnlich waren. 

Für meine Arbeit nehme ich mit, dass Menschen zu Abschlägen bereit sind, wenn ihnen Kosten und Nutzen verdeutlicht werden. Oft wird davon ausgegangen, dass politische Sachverhalte zu komplex für die Bürgerinnen und Bürger sind, doch diese scheuen sich nicht vor Daten und Zahlen. Ganz im Gegenteil: Fakten machen Entscheidungen nachvollziehbar.

Dr. Harald Wilkoszewski, Schwerpunkt „Bildung“

Portraitbild von Harald Wilkoszewski
Foto: P. Scheller

Mich haben insbesondere die sehr gute Stimmung unter den Teilnehmern sowie das hohe Niveau der inhaltlichen Diskussionen beeindruckt. Die Teilnehmer haben sich sehr gut auf ihre Rollen als Abgeordnete eingelassen.

Die Parlamentarier aller Generationen haben eine schnelle Konsensfindung angestrebt und damit sehr realistisch gehandelt. Beide Parlamente - 2013 und 2050 - haben für ihre Beschlussvorlagen hohe Zustimmungszahlen verzeichnet. Bemerkenswert ist dabei, dass die gesetzlichen Vorhaben beider Parlamente eher die jüngere Generation in den Blick nahmen.

Dennoch gab es Unterschiede im Verhandlungsprozess sowie bei der Abstimmung. Im Szenario 2050 fiel im Vergleich zu 2013 auf, dass es weniger Zustimmung für Investitionen in die vorschulische und schulische Ausbildung gab. Darüber hinaus musste sich die jüngere Generation im Szenario 2050 aufgrund ihrer kleineren Fraktionsgröße stärker im Verhandlungsprozess engagieren, um ihre Positionen zu vertreten. Im Szenario 2013 bevorzugten die Abgeordneten der ältesten Generation hingegen zunächst Fortbildungsmaßnahmen für Erwachsene und Senioren, wurden allerdings von einer breiten Mehrheit der anderen Generationen überstimmt.

Prof. Dr. Clemens Tesch-Römer, Schwerpunkt „Miteinander der Generationen“

Portraitbild von Clemens Tesch-Römer

Das Parlament der Generationen war ein spannendes Experiment: Zwei Parlamente sollten Entscheidungen in den Bereichen Aus- und Fortbildung, Vereinbarung von Beruf und Familie sowie Unterstützung strukturschwacher Regionen fällen. Finanzielle Mittel konnten dabei in stärkerem Maß jüngeren oder älteren Bevölkerungsgruppen zugutekommen. Würde das Parlament, in dem alte Menschen dominieren, "altersegoistischer" entscheiden als das Parlament, das über eine größere Zahl junger Parlamentarier verfügt? Werden in Zukunft die Alten nur die Bedarfe der Alten im Blick haben?

Der Diskussionsverlauf in beiden Parlamenten ähnelte sich stark: Jüngere wie ältere Parlamentarier hatten die Gesellschaft als Ganzes im Blick. Auch der Umgang der Altersgruppen miteinander war respektvoll und produktiv. Die Entscheidungen beider Parlamente waren beinahe identisch: Es wurden Investitionen in die Zukunft der Gesellschaft und damit in die nachwachsenden Generationen bevorzugt.

Die Diskussionsprozesse und Entscheidungen des Parlaments der Generationen bestätigen damit Befunde aus Sozial- und Politikwissenschaft: Interessenunterschiede zwischen Altersgruppen sind weniger bedeutend als Interessenunterschiede innerhalb von Altersgruppen. Müssen wir Angst vor dem demografischen Wandel haben? Das Experiment "Parlament der Generationen" zeigt uns: Wir können mit Optimismus in die Zukunft blicken!