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„Bildung ist ein Bürgerrecht“
– Ralf Dahrendorf (1929-2009)

Ein Gastartikel von Benno Schulz und Dr. Thomas Clausen aus der Reihe „Liberale Bildungsdenker aus zwei Jahrhunderten“ der Friedrich-Naumann-Stiftung.

In diesem Wissenschaftsjahr, das unter dem Motto „Freiheit“ steht, jährt sich der Todestag von Ralf Dahrendorf zum 15. Mal. Seine politischen Ideen und Überzeugungen haben die bildungspolitischen Debatten in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich geprägt. Sein geistiges und politisches Vermächtnis im historischen Kontext zu würdigen, wäre fast noch verfrüht – politisch sind seine Forderungen aktueller denn je: Das Bundesverfassungsgericht hat erstmals 2021, ganz im Geiste Dahrendorfs, das Recht auf schulische Bildung von Kindern und Jugendlichen als Grundrecht anerkannt.

Die Online-Reihe „Liberale Bildungsdenker aus zwei Jahrhunderten“ der Friedrich-Naumann-Stiftung zieht einzelne Bildungsdenkerinnen und Bildungsdenker aus dem deutschsprachigen Kontext heran, um den Facettenreichtum liberaler Bildungsphilosophie aufzuzeigen und die Bildungspolitik der Gegenwart zu inspirieren.

Die Reihe erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, die Auswahl der Denkerinnen und Denker ist weder repräsentativ noch zufällig: Vielmehr geht es darum, zentrale Aspekte liberaler Bildungsideen im Spiegel der Vergangenheit herauszuarbeiten und mit Fragestellungen der Gegenwart zu verknüpfen.

Ralf Dahrendorf – Eine Kurzbiographie

Der Sohn des sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Gustav Dahrendorf war als Jugendlicher von den Nationalsozialisten interniert worden. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs folgte Dahrendorf einer Einladung der Engländer zu einem politischen Lehrgang nach Wilton Park – dass er irgendwann selbst die britische Staatsbürgerschaft annehmen und sogar in das House of Lords aufgenommen werden würde, war damals freilich noch nicht absehbar.

Nach einem Studium der Philosophie und Philologie in Hamburg promovierte Ralf Dahrendorf 1952 zum „Begriff des Gerechten im Denken von Karl Marx“. Anschließend kehrte er nach England zurück, wo er an der London School of Economics seine Studien fortsetzte und 1956 einen PhD erwarb. Es folgte nicht nur eine rasante Karriere in der Wissenschaft, sondern auch ein Wechsel von der SPD zu den Freien Demokraten im Jahr 1967. Ein Jahr später zog er für die FDP in den Landtag von Baden-Württemberg ein, ein weiteres Jahr später trat er sein Amt an als Abgeordneter des Deutschen Bundestags.

Bereits nach einem knappen halben Jahr wechselte Dahrendorf nach Brüssel, wo er bis 1974 Teil der Kommission Ortoli war. Von 1982 bis 1987 hatte er den Vorsitz der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit inne. Als Soziologieprofessor, Wissenschaftsmanager und „public intellectual“ prägte Dahrendorf maßgeblich den Liberalismus der zweiten Jahrhunderthälfte.

„Die überzeugende Begründung einer aktiven Bildungspolitik kann nun – so möchte ich behaupten und argumentieren – nur in Anknüpfung an den Gedanken eines Bürgerrechts auf Bildung erfolgen. Das klingt zunächst nebelhaft und idealistisch. Aber so wie die scheinbar handfesten Motive des Wirtschaftswachstums, der Anpassung an sozialen ‚Druck‘, des internationalen Vergleichs, des Bedarfs sich bei näherer Betrachtung verflüchtigen, so lässt sich das scheinbar flüchtige Motiv einer Bildungspolitik im Interesse menschlicher Rechte genau und bestimmt fassen.

Die Verfassungsartikel, aus denen sich eine aktive Bildungspolitik entwickeln lässt, müssten lauten:

1. Jeder Mensch hat ein Recht auf eine intensive Grundausbildung, die ihn befähigt, von seinen staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten wirksamen Gebrauch zu machen.

2. Jeder Mensch hat ein Recht auf eine seiner Leistungsfähigkeit entsprechende weiterführende Ausbildung.

3. Es ist die Pflicht der staatlichen Instanzen, dafür Sorge zu tragen, daß diese Rechte ausgeübt werden können.“

– Ralf Dahrendorf: Eine aktive Bildungspolitik für Deutschland [in DIE ZEIT] (1965)

Damals und heute

„Das Bauwerk der freien deutschen Gesellschaft hat noch kein Fundament“, bemängelte Ralf Dahrendorf beispielsweise in einer Artikelserie für die ZEIT im Jahr 1965 und verlangte eine „aktive Bildungspolitik.“ Der deutsch-britische Soziologe, Politiker und spätere Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit forderte ein „Bürgerrecht auf Bildung“. Damit gesellte er sich zu einer langen Reihe liberaler Denkerinnen und Denker, welche Bildung eng mit dem Gedanken einer liberalen Bürgergesellschaft verbanden.

„Ich habe an mehreren Stellen die Tatsache beklagt, dass das deutsche Bildungswesen nicht jene flexible Mischung von privaten und öffentlichen Elementen geerbt hat, die die Schulen und Universitäten der angelsächsischen Länder kennzeichnet. Der Reiz dieser Mischung liegt ja darin, dass sie so vieles möglich macht, ohne dass eine verfassungsändernde Mehrheit gewählter Volksvertreter zustande kommen muss – und man kann nicht oft genug betonen, dass vieles möglich sein muss, damit das Richtige wirklich werden kann.“

– Ralf Dahrendorf: Eine aktive Bildungspolitik für Deutschland [in DIE ZEIT] (1965)

„Es gibt viel zu tun, wir müssen etwa dringend aufpassen, dass wir die duale Ausbildung am Leben erhalten. Aber ich will Ihnen ein praktischeres Beispiel nennen. Eines der großen Probleme ist nach wie vor das Mittagessen. Das kriegen die einfach noch nicht hin, dass sie in den Schulen oder Kindergärten ein möglichst auch noch gesundes Mittagessen fabrizieren. Da hakt es, und wenn es da hakt, dann hakt es auch generell.“

– Ralf Dahrendorf: Interview mit dem SPIEGEL (2006)

Dahrendorfs Leistung – als Soziologe und als liberaler Bildungspolitiker – war es, nicht nur die formale Gleichberechtigung in den Blick zu nehmen. Er fragte auch konkret, warum manche Kinder und Jugendlichen bessere Bildungschancen hatten als andere. Bekannt ist sein Bild von der „katholischen Arbeitertochter vom Lande“, die es aufgrund ihrer Herkunft, ihres Geschlechts und ihres elterlichen Hintergrunds viel schwerer hatte, eine erfolgreiche Bildungslaufbahn hinzulegen als andere Kinder. Auch heute müssen wir genau hinsehen: Vor welchen Hürden stehen junge Menschen und wie können wir diese beseitigen?

Die Friedrich-Naumman-Stiftung

Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit bietet auf Grundlage der Idee des Liberalismus Angebote zur Politischen Bildung in Deutschland und in aller Welt. Sie wurde am 19. Mai 1958 gegründet.

Website der Stiftung

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2024 – Freiheit.​

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