Wenn das Herz einen Fehler hat



müdes Kind mit Bauklötzen



Entdecken Ärzte bei einem Baby einen angeborenen Herzfehler, geraten viele Eltern in die Krise: Sie sorgen sich, manche entwickeln unberechtigte Schuldgefühle. Andere versuchen den kranken Sprössling bis ins Erwachsenenalter zu behüten, selbst wenn ein selbstbestimmtes Leben möglich wäre. Wie können Familien lernen, mit der Diagnose umzugehen?

Bei gesunden Menschen nimmt das Blut im Körper den immer gleichen Weg: Die rechte Herzkammer pumpt sauerstoffarmes Blut in die Lunge. Von dort fließt es, angereichert mit Sauerstoff, in die linke Herzkammer. Über die Hauptschlagader, die Aorta, wird schließlich der gesamte Körper – vom Gehirn über die inneren Organe bis zu den Muskeln – versorgt. Bei Jakob Gruber* allerdings war es anders.

Noch im Mutterleib stellten die Ärzte fest, dass die zentralen Blutgefäße bei dem Jungen vertauscht waren. Transposition der großen Arterien, kurz TGA, lautet der Fachbegriff für diese Fehlbildung: Ohne zusätzliche Verbindung wird das sauerstoffarme Blut immer wieder durch den Körper gepumpt, das sauerstoffreiche durch die Lunge. Jakob hätte also nicht überlebt, wäre da nicht auch noch ein Loch in der Herzscheidewand (Ventrikelseptumdefekt) gewesen, über das der Blutaustausch stattfinden konnte. Allerdings war auch die Abflussbahn vom Herzen zur Lunge verengt. „Für uns brach mit der Diagnose eine Welt zusammen“, sagt seine Mutter Susanne Gruber*. Schließlich waren bereits Jakobs zwei Schwestern mit einem Herzfehler geboren worden.

Viele Herzfehler können behandelt werden

Eines von hundert Babys in Deutschland kommt mit einem Herzfehler zur Welt. Rund 300.000 Menschen sind hierzulande davon betroffen. Manche haben nach einer erfolgreichen Operation kaum noch Beschwerden, so wie Jakobs älteste Schwester. Bei der zweiten Schwester verschloss sich das Loch im Herzen nach einigen Monaten sogar von selbst. Andere Herzfehler sind komplex, lebensbedrohlich und zum Teil so selten, dass sie nur schwer erforscht werden können.

Für Jakobs Art der Fehlbildungen hat die Gesundheitsforschung jedoch eine Behandlungsmethode gefunden, die so genannte „Rastelli-Operation“: Gut ein halbes Jahr nach der Geburt setzten ihm die Ärzte eine Prothese mit integrierter künstlicher Herzklappe sowie eine Abflussbahn ein, über die das sauerstoffreiche Blut nun in den Körperkreislauf gelangt. „Zuvor hatte er bereits zwei Herzkatheter-Eingriffe überstanden. Die Zeit war für uns Eltern und für Jakobs Geschwister natürlich sehr belastend“, sagt Susanne Gruber heute.

Hilfen für Eltern und Kinder

Ein lebensbedrohlicher Herzfehler, Operationen, ständige Sorge – all das ist eine enorme Belastungsprobe für die ganze Familie. Welcher Elternteil bleibt beim Kind im Krankhaus, wer kümmert sich um die Geschwister? Wird das Kind je ein unbeschwertes Leben führen können? Wie findet die Familie zurück in den Alltag?

Um die Eltern zu unterstützen, haben einige Kliniken psychosoziale Dienste eingerichtet. In der Kinderkardiologie der Universitätsklinik Köln etwa, werden Betroffene von der Sozialpädagogin Ellen Kuhn beraten. Sie stellt Kontakt zu Selbsthilfegruppen her und beantwortet Fragen zum Umgang mit der Diagnose Herzfehler. „So etwas löst immer Trauer aus und manchmal auch das Empfinden, versagt, das eigene Kind nicht genug beschützt zu haben.“ Die Schuldgefühle verleiteten manche Eltern zu Aktionismus: „Man tut den Kindern aber keinen Gefallen, wenn man ihnen alle Aufgaben abnimmt“, versucht Kuhn ihnen dann klar zu machen. Immer wieder treffe sie Jugendliche, die keine Lehr- oder Arbeitsstelle finden, weil sie nie gelernt hätten, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. „Wie selbstbewusst Herzkranke mit ihrer Situation umgehen, ist auch entscheidend dafür, wie zufrieden sie mit ihrem Leben sind“, sagt Ellen Kuhn.

Hoffen auf die Forschung zu genetischen Ursachen

Susanne Gruber ist es wichtig, dass ihre Kinder möglichst normal aufwachsen. Jakob muss allerdings alle drei Monate zur Kontrolle und ihm stehen weitere Operationen bevor: Die Herzklappen-Prothese muss irgendwann ausgetauscht werden. „Hoffnung machen uns allerdings Berichte über erfolgreiche Operationen mit mitwachsenden Herzklappen. Das könnte für Jakob die Lösung sein“, sagt sie.

Eine Erklärung, warum alle drei Kinder mit einem Herzfehler geboren wurden, haben die Mediziner bislang noch nicht. Klar ist: Das Risiko für Kinder eines herzkranken Elternteils, ebenfalls mit einem Herzfehler auf die Welt zu kommen, ist achtmal höher als für Kinder gesunder Eltern. Doch in der Familie Gruber hat niemand sonst einen Herzfehler, auch nicht in der Großelterngeneration. Wahrscheinlich gibt es bei den meisten Herzfehlern mehrere auslösende Faktoren, die zum Teil wieder Einfluss auf das Erbgut haben. Bestimmte Gene werden zum Beispiel  erst durch Umweltfaktoren ein- oder ausgeschaltet“, erklärt der Biologe und Genetiker Dr. Thomas Pickardt vom Nationalen Register für angeborene Herzfehler.

Mit Hilfe der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Patienten-Datenbank werden unter anderem die genetischen Zusammenhänge hinter den Herzfehlern erforscht. Neben den Krankheitsdaten von rund 40.000 Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen speist das Register auch Blut- und DNA-Proben in eine Biomaterialbank ein, seit 2010 werden sogar Herzgewebeproben gesammelt.

Um die Gesundheitsforschung voranzubringen und eines Tages vielleicht Antwort auf ihre Fragen zu bekommen, haben auch die Grubers ihre Kinder registrieren lassen. „Wir hoffen, dass sich durch die Auswertung möglichst vieler Daten Diagnostik und Behandlungsmethoden weiter verbessern“, sagt Susanne Gruber.

* Namen von der Redaktion geändert

 

Weitere Informationen:

Unabhängige Informationen für Mediziner und Laien sowie Erfahrungsberichte von Patientinnen und Patienten aus ganz Europa:
www.corience.org

Nationales Register für angeborene Herzfehler:
www.herzregister.de

Eltern-Netzwerk Herzkranke Kinder e. V.
www.bvhk.de