Krankheiten, die das Volk betreffen

Früher waren es Typhus oder Cholera, heute zählt man Krebs oder Diabetes zu den Volkskrankheiten.  Die Gesundheitsforschung konzentriert sich auf die Leiden, die eine Vielzahl von Menschen betreffen. An sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam daran, moderne Wege der Prävention, Diagnostik und Therapie zu entwickeln. Dabei setzen sie auch auf Individualisierte Medizin.

„Eine einheitliche Definition von Volkskrankheiten existiert nicht“, sagt Prof. Hajo Zeeb, Abteilungsleiter beim Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin und stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie. Epidemiologen wie Hajo Zeeb, die die Häufigkeit, Ursachen und Folgen sowie die Verbreitung von Krankheiten erforschen, vermeiden den Begriff ohnehin: Denn alle Krankheiten betreffen das Volk im Sinne von Bevölkerung.

Im Laufe der Jahrhunderte änderten sich die Leiden, die als Volkskrankheiten bezeichnet werden. Waren es früher Infektionskrankheiten wie Typhus oder Cholera, begünstigen unsere Lebensbedingungen heute andere Erkrankungen, auch Zivilisationskrankheiten genannt. In Deutschland gelten vor allem Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen, Diabetes und neurodegenerative Erkrankungen sowie Rückenleiden als so genannte Volkskrankheiten, die eine hohe Krankheitslast verursachen. Sie führen häufig zu Arbeitsunfähigkeit, krankheitsbedingten Fehlzeiten und Pflegebedürftigkeit, also zu „erheblichen sozio-ökonomischen Folgen“, sagt Christa Scheidt-Nave vom Robert-Koch-Institut (RKI). Diese Folgen sind zunehmend gravierend, denn im Alter treten meist mehrere Erkrankungen gleichzeitig auf (Multimorbidität).

Die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, Herzstück des Ende 2010 von der Bundesregierung beschlossenen Rahmenprogramms Gesundheitsforschung, sollen die Gesundheitsforschung weiter entwickeln und zukunftsfähig machen. Durch das Deutsche Zentrum für Neuro- degenerative Erkrankungen (DZNE) , das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung (DZD), das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK), das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), das Deutsche Zentrum für Lungenforschung (DZL) und das Deutsche Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) werde die Forschung in Deutschland an Stärke gewinnen, sagte Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung, bei der Vorstellung der Zentren.

In Zeiten des demografischen Wandels und den absehbaren erheblichen Kosten für das  Gesundheitssystem kommt der Prävention „enorme Bedeutung“ zu, sagt Prof. Hajo Zeeb. Zur Prävention gehört es, die Risikofaktoren für teure Volkskrankheiten wie Diabetes, Fettleibigkeit oder Herz-Kreislauferkrankungen zu erkennen und entsprechend zu handeln. Eigentlich kann jeder Patient, jede Patienten, etwas tun gegen ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht, Tabak- oder Alkoholkonsum. Prävention, sagt Zeeb, „sollte eigentlich für jeden Einzelnen ein interessantes, gern zu verfolgendes Ziel darstellen und nicht etwas Lästiges mit Verbotscharakter“. Gesund zu bleiben sei besser als Krankheit zu behandeln. Doch die Vorbeugung hat sich bisher als stumpfes Schwert erwiesen. Bei Übergewicht und Adipositas etwa seien die Erfolge der Präventionsprogramme bislang sehr begrenzt, kritisiert Prof. Manfred Müller vom Institut für Humanernährung und Lebensmittelkunde der Universität Kiel. Die wichtigsten Risikofaktoren seien allerdings Bildung und Übergewicht der Eltern, und beides sei von außen kaum zu steuern.

Für Hajo Zeeb ist der Weg zur effektiven Prävention klar: Jeder einzelne müsse sein persönliches Verhalten prüfen und es gegebenenfalls ändern. Gleichzeitig gelte es die sozialen Verhältnisse in den Blick zu nehmen: „Es wird derzeit vieles getan, ohne zu wissen, welche Effekte es hat. Wir brauchen viel mehr Erkenntnisse dazu, was wirklich funktioniert.“ Zeeb plädiert für neue Zugangswege in der Prävention: „Prävention im Alter oder Prävention über die Nutzung moderner Medien, beispielsweise etwa über Smartphones, das sind aktuelle Forschungsgebiete der Gesundheitsforschung.“

Ebenso die Individualisierte Medizin: Um den Volkskrankheiten medizinisch mehr entgegenzusetzen, konzentriert sich die  Forschung auf die kleinen Bausteine des Lebens, auf Gene und Proteine. Ziel ist es, den  Stoffwechsel zu entschlüsseln. Die Fortschritte sind dank der technischen Entwicklung rasant. Die Genetik und die Molekularbiologie entschlüsselt im Blut und im Urin mehr und mehr verwertbare Biomarker, um das Stoffwechselprofil von Patienten zu lesen und das Risiko für bestimmte Erkrankungen abzuschätzen. Biomarker sind messbare biologische Merkmale (Zellen, Gene, bestimmte Moleküle wie Enzyme oder Hormone), die zur Indikation von Krankheiten dienen.

Der „Aktionsplan Individualisierte Medizin“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) fokussiert Erkenntnisse aus der Gesundheitsforschung im Rahmen des aktuellen Wissenschaftsjahres „Forschung für unsere Gesundheit“.
Die Wissenschaftsjahre sind eine Initiative des BMBF gemeinsam mit Wissenschaft im Dialog (WiD). Seit 2000 dienen die Wissenschaftsjahre als Bühne für den Austausch zwischen Öffentlichkeit und Wissenschaft entlang ausgewählter Themen und haben dabei vor allem junge Menschen im Blick. Der Erfolg der Wissenschaftsjahre basiert auf der Beteiligung zahlreicher Partner aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur in ganz Deutschland.

 

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